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Warum Liebe besser ist, wenn sie aus Freundschaft entsteht

Guten Freund*innen gibt man ein... naja ihr wisst schon.
Foto: lisa:> / photocase

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Seit ungefähr acht Jahren kenne ich meinen heutigen Freund. Aus Freundschaft wurde Liebe. So ekelhaft, kitschig und Rosamunde-Pilcher-mäßig das auch klingt – so war es wohl. „Nein, lass das mal lieber sein. So etwas geht nie gut“, hat mein Vergangenheits-Ich damals gesagt. „Damit machst du dir nur die Freundschaft kaputt.“ Und mit dieser Meinung war ich nicht allein.

Heute bin ich überzeugt, dass diese „Freundschaftsliebe“ die bessere ist. Und ja, natürlich weiß auch ich, dass meine drei Jahre Beziehung keine goldene Hochzeit sind. Aber sie zeigen, dass Beziehungen, die aus einer Freundschaft entstehen, nicht das sind, was viele denken: zum Scheitern verurteilt. Im Gegenteil, sie haben viele Vorteile.

Vorteil 1: Start in Level zwei

In einer neuen Beziehung gibt es viele erste Male, die Anspannung pur bedeuten: Beim ersten Aufeinandertreffen mit dem Freundeskreis des Partners fühlt man sich unwillkürlich wie ein exotisches Zootier, das von allen interessiert beäugt wird. Bei der kleinsten Äußerung tritt sofort der „All eyes on me“-Moment ein, alle lauschen gespannt bis kritisch, was der oder die Neue zu sagen hat. Unangenehm. Beim ersten Besuch in seiner Wohnung oder WG fühlt man sich in etwa so, wie sich der bürgerliche Besucher im Buckingham Palace fühlen muss: Ob ich wohl dieses Glas benutzen darf? Ob grade jemand im Bad ist? Mist, jetzt habe ich das ganze Klopapier aufgebraucht und habe keine Ahnung, wo es Nachschub gibt. War man vorher schon befreundet, hat man diesen Spießrutenlauf bereits hinter sich, beziehungsweise nie als solchen empfunden.  

Sogar die Königsdisziplin der schrecklichen ersten Male fällt weg: das nervenaufreibende Eltern-Kennenlernen. Meist kennt man Mutter und Vater des Partners schon, selbst wenn man sie nur mal kurz und stark alkoholisiert auf einem Dorffest angelallt hat. Im besten Fall denken sie sich: „Hach, was für ein nettes Mädchen.“ Meist haben Eltern für die Freund*innen ihrer Kinder doch irgendwie etwas übrig, schließlich haben auch sie einen Teil dazu beigetragen, dass der eigene Nachwuchs dort steht, wo er nun steht. Zack, schon ist man von ihnen als Partner*in akzeptiert.

Der sonst oft ungewisse erste Besuch fühlt sich also eher an wie die eigene Homecoming-Party. Kein Siezen-Duzen-Problem, keine Fettnäpfchen, keine peinliche Stille, denn für Gespräche gibt es ja schon Anknüpfungspunkte. Und all die schönen ersten Male, vom ersten Kuss oder Sex bis hin zum zweisamen Urlaub, erlebt man ja trotzdem gemeinsam.  

Vorteil 2: Deine Macken kenne ich

Neigt er zu Stimmungsschwankungen, ist sie extrem unordentlich, schießt er sich auf jeder Party vollkommen ab? Bei langjährigen Freundschaften lassen sich auch die schlechtesten Seiten nicht verbergen. Frisch Verliebte neigen hingegen dazu, die Macken des Partners erst einmal zu übersehen – bis die Realität sie einholt. Bei der Freundschaftsliebe wird die sprichwörtliche Katze nicht im Sack gekauft. Man weiß genau, wie der andere tickt.

Mir war schon vor der Beziehung klar, dass sich das Organisationstalent meines Freundes gelinde gesagt in Grenzen hält. Er wusste längst, dass ich den emotionalen Fall von himmelhoch jauchzend auf zu Tode betrübt in absoluter Rekordzeit schaffe. Wir konnten also zuvor entscheiden, ob wir mit diesen und anderen Macken des anderen auf Dauer leben können. Natürlich kommen auch im Laufe einer solchen Beziehung vermeintlich negative Merkmale zum Vorschein – ganz ohne wäre es ja auch langweilig. Doch die Überraschungstüte fällt deutlich kleiner aus. 

Vorteil 3: Der Zusammenschweiß-Effekt

Natürlich ist es spannend und fühlt sich gut an, dem neuen Freund Anekdoten aus der eigenen Vergangenheit zu erzählen. Aber seien wir mal ehrlich: Den Witz oder die Magie des Momentes kann oft nur verstehen, wer auch dabei war. Wie oft fallen unter Freund*innen die Sätze: „Erinnerst du dich an...“ oder: „Weißt du noch, als...“. Der gedankliche Ausflug zu den gemeinsame Erlebnissen endet meist in Gelächter und einem Gefühl von Verbundenheit. Was könnte also besser sein, als mit dem oder der Partner*in solche Rückblicke machen zu können?

Zudem ist es in der Realität einfach unfassbar praktisch, wenn der andere genau weiß, von wem man ihm gerade erzählt. „Damals, in der zehnten Klasse, war eine Julia bei mir im Jahrgang, ...“, so könnte eine von dutzenden Vor-unserer-gemeinsamen-Zeit-Geschichten anfangen. „Klar, Julia kenne ich noch. Die saß doch neben dem komischen Paul“, kann mein Freund mir entgegnen. Gemeinsames Schwelgen in Erinnerungen, Lästern und Lachen also statt langen, ermüdenden Erklärungen, nach denen man oft schon vergessen hat, was man dem anderen eigentlich gerade erzählen wollte. 

Vorteil 4: Lebenslüge ade

Gerade am Anfang einer Beziehung neigt jeder dazu, seine eigene Lebensgeschichte etwas zu verschönern und auszuschmücken. Details, die den neuen Partner abschrecken könnten – wie eine zuvor dramatisch gescheiterte Beziehung oder ein schwieriges Elternhaus – werden erst weggelassen, dann häppchenweise serviert. Aspekte, von denen man glaubt, sie würden zeigen wie cool und unabhängig man sei, werden ausgebaut. „In meiner Familie hat bildende Kunst schon immer eine zentrale Rolle gespielt“, erzählt die frisch Verliebte, dabei kann sie das Wort „Feuilleton“ nicht einmal richtig aussprechen. Er hingegen gibt sich vor ihr als höchst politikinteressiert aus, nur weil er am letzten Wochenende alle Staffeln von „House of Cards“ am Stück gesehen hat.

In der Freundschaftsliebe spielt man von Anfang an mit offenen Karten, die eigene Biografie ist nicht geschönt. Wie auch? Schließlich hat einem der oder die neue Partner*in schon als Freund*in in den schlimmsten Zeiten zur Seite gestanden und Probleme offen angesprochen und diskutiert. Man kennt die Lebensgeschichte, die abgründigsten Vergehen und peinlichsten Momente des anderen, man hat sie vielleicht sogar selbst miterlebt. Mehr Reality-Faktor und Ehrlichkeit gehen nicht.

Vorteil 5: Zwei-in-Eins-Liebe

In meiner Generation, die sich gerne selbst den Stempel „beziehungsunfähig“ aufdrückt, glauben viele, dass Freundschaft wichtiger sei als Liebe – intensiver und wertvoller, vor allem hinsichtlich ihrer Haltbarkeit. Obwohl ich das Gefühl nicht loswerde, dass diese Heiligsprechung der Freundschaft vor allem durch Personen geschieht, die sich gerade halt bei der Partnersuche schwer tun, würde auch ich sagen: Ja, das stimmt. Freund*innen verurteilen dich nicht, sie zweifeln nicht, wenn man sich mal einen Tag nicht meldet oder das geplante Treffen absagt. Freundschaften sind meist entspannter und weniger fordernd als Liebesbeziehungen.

Doch genau das spricht für die Freundschaftsliebe, denn sie ist die Kreuzung aus beidem. Es ist ja nicht so, dass die Freundschaft auf einen Schlag verschwindet und sich stattdessen nur noch Liebe ausbreitet. Das Beziehungsgebilde ist eher wie eine Pyramide aufgebaut, deren Basis aus Freundschaft und deren Spitze aus Liebe besteht. Wie ein kleines Sahnetörtchen voller dicker, fetter Freundschaft, auf dem eine Kirsche platziert wird – aus inniger Liebe. 

Dieser Text erschien erstmals am 27.10.2017 und wurde am 10.02.2021 nochmals aktualisiert.

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