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Jungs, dürfen wir euch einkleiden?

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Die Mädchenfrage:

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Meinen ersten Freund habe ich sehr bewundert, denn, so schien es mir, er konnte so ziemlich alles: je nach Lebenslage immer etwas Passendes von Robert Gernhardt oder dem Dude zitieren. Hoch in die Luft springen, sich dabei in die Waagerechte legen, mit den Füßen zusammenklatschen und elegant wieder landen. Ein richtig gutes Chili con Carne kochen. Mich zum Lachen bringen.  

Was er allerdings nicht so wirklich konnte: sich gut anziehen. Wobei, ich glaube, es war ihm in erster Linie egal, in welchem Pulli und welcher Hose er durch die Welt hüpfte oder sein Chili zusammenrührte. Mir war es nicht egal. Also ergriff ich Maßnahmen. Wenn wir zusammen einkaufen gingen, versuchte ich ab und zu, ihm Klamotten aufzuschwatzen: das grüne T-Shirt, das seine Augen leuchten ließ. Die gut sitzende Jeans mit der leicht ausgeblichenen Waschung. Oder die Jacke, die neben praktisch eben auch schön war. Oft waren diese Versuche erfolgreich: Er kaufte die Sachen, die ich ihm nahe gelegt hatte, und trug sie häufig. Offensichtlich also gerne. Zumindest redete ich mir das ein.  

Aus der Außenperspektive finde ich diesen immer mal wieder zu beobachtenden Prozess der Geschmacksüberstülpung nämlich eigentlich selbst etwas fragwürdig: Junge und Mädchen kommen zusammen. Drei Monate später hat sie ihn im Extremfall bereits komplett neu eingekleidet und den Kleiderschrank generalüberholt. Der Junge ist dann manchmal – zumindest nach weiblichen Geschmacksmaßstäben – tatsächlich stilsicherer angezogen. Er sieht aber eben auch ziemlich anders aus als zu Single-Zeiten. Ich muss dann immer an die Vorher-Nachher-Show mit Gundis Zámbó denken, die früher auf tm3 lief.       

Warum wehrt ihr euch so oft nicht gegen diese modische Übergriffigkeit unsererseits? Weil es dann doch vielen von euch egaler ist als uns, was ihr für Klamotten tragt? Ihr euch unsicher fühlt in modischen Fragen und unser Regiment euch daher ganz gelegen kommt? Gefällt es euch, wenn wir euch einkleiden?      

Auf der nächsten Seite: die Jungsantwort!


Die Jungsantwort:

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Sein Bier stand schon mehrere Minuten ungetrunken vor ihm auf dem Tisch. Zu Beginn seiner Schimpftirade war es frisch und voller Schaum dort hingestellt worden. Mittlerweile lag die Bieroberfläche flach und ruhig weit unter dem Glasrand, obwohl noch kein Schluck getrunken wurde. Mein Kumpel schimpfte noch immer, ich beobachtete das Bier. Es ging um einen entfernten Bekannten, mit dem er sehr viel besser befreundet war (als ich). Bis dieser vor ein paar Tagen mit seiner Freundin zusammengezogen war. Seit dem hatte er sich komplett verändert, nicht nur sein Körper auch sein Zimmer trug plötzlich die Farben, die die Freundin „stilsicher“ nannte.

Ich muss an das traurige Bier und den traurigen Freund denken, weil dieses ominöse Wort auch in der Frage wieder auftaucht. „stilsicher“ - Mädchen sind es, Jungs eher nicht. So lautet die unausgesprochene Grundannahme eurer Frage. Darauf muss ich im Namen aller Jungs natürlich antworten, dass es eine unerlaubte Verallgemeinerung ist – wohl wissend, dass es durchaus Jungs gibt, bei denen ihr recht haben könntet. Wenn ihr euch aber für einen von uns entscheidet, dann zählt der doch vermutlich nicht zu der Gruppe. Dann gibt es doch etwas, was ihr an ihm mögt. Und um es mal so allgemein zu beantworten: Wenn ihr das nicht aus dem Auge verliert, dann dürft ihr ihm Kleidung empfehlen, Reiseziele vorschlagen oder eine Wohnungseinrichtung. Aber es sind eben Vorschläge, keine Wahrheiten, die ihr dann aussprecht. Auch wenn es – wegen dieser stilsicher-Annahme (s.o.) – für euch so wirken mag. 

 Die Antwort lautet also: „Ja, aber“ Und dieses „aber“ ergänzen wir übrigens nicht nur aus Eigeninteresse. Sondern auch weil wir nicht Bestandteil eines Paares werden wollen, das gleiche Jacken oder Hosen trägt – weil sie praktisch oder eben gemeinsamer Stil sind. Wir wollen Bestandteil eines Paares sein, das aus zwei eigenständigen Menschen besteht, denen es trotz aller Gemeinsamkeit gestattet ist, eigene Meinungen, eigenen Geschmack und eigene Vorstellungen zu haben. Ein Paar, das nicht jeden Satz mit „Wir“ anfängt. Auch die nicht, die von Kleidung handeln.  

Das müsste doch eigentlich auch in eurem Sinn sein. Darauf einigten wir uns an dem Abend mit dem traurigen Bier jedenfalls. Irgendwann wurde das nämlich doch noch getrunken und mein Kumpel und ich gelangten zu der Ansicht: Bei einem guten Paar ist ein „Wir“ die Gemeinsamkeit zweier eigenständiger Individuen. Bei einem schlechten Paar ist das „Wir“ das ausgedehnte Ich der einen Seite. Das will niemand!

stefan-winter

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