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Jungs, müsst ihr euch für Sport interessieren?

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In einem Punkt bin ich ein richtiges MädchenMädchen: Ich interessiere mich nicht für Sport, außer zu Europa- und Weltmeisterzeiten. Das ist ein bisschen peinlich klischeehaft, aber als weibliches Wesen wird mir das glücklicherweise von niemandem weiter nachgetragen. Im Gegenteil: ich kann meinem Freund saudumme Fragen zu seinem Lieblingsverein stellen, ihn ein wenig provozieren, wenn der mal wieder verloren hat und er sieht mir das grummelnd nach. Umgekehrt muss er sich auch nicht für die neueste amerikanische Spitzenfernsehserie interessieren. Bei euch Jungs dagegen stelle ich mir das ein wenig schwieriger vor. Schon rein rechnerisch können sich nicht alle Männer für Sport interessieren. Ein paar müssen ja doch immer die Fernsehquote nach unten drücken und stattdessen eine Operninszenierung auf 3Sat anschauen. Aber ich stelle mir vor, dass das Leben für derartige männliche Sport-Ignoranten nicht ganz so leicht ist. Schließlich ist die montägliche Unterhaltung über die neuesten Liga-Entwicklungen nach meiner Beobachtung ja ziemlich Beziehungs-stärkend in Arbeit, Schule und Uni. Ungefähr so wie eine gemeinsam verbrachte Abenteuer-Reise nur ohne den ganzen Stress und die Kosten. Und ist Sport bei Jungs nicht auch das Thema, auf das sich die meisten – ungeachtet Herkunft, Geld oder Adelstitel – einigen können und worüber man auch mit dem hinterletzten Kollegen fachsimpeln kann? Auf der nächsten Seite kannst du die unsportliche Jungsantwort lesen


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Das letzte Fußballspiel, das ich in voller Länge gesehen habe, war 2006 Brasilien gegen Ghana. Ich habe gerade nachgeschaut: Es war das Achtelfinale und Ghana verlor natürlich. Ich habe Ghana die Daumen gedrückt. Das soll ja übrigens auch eine typische weibliche Eigenschaft sein, wenn es um Fußball geht: Dass man immer für den kleinen, schwachen Außenseiter ist. Der Sommer 2006 war überhaupt eine nicht so schöne Zeit für mich. Ständig sausten Fragen wie „Und wo schaust du das Spiel an?“ direkt auf mein Ohr zu und dann geradewegs an mir vorbei, während im Hintergrund dieses Sportfreunde Stiller-Lied dudelte. Ich war im Sommer 2006 physisch anwesend, aber zu einer Quantité négliable geworden, einem vernachlässigbaren Faktor. Ich trug den Makel, den großen stinkenden Stempel, auf dem stand: „Er interessiert sich nicht für Fußball.“ Sogar jetzt, während ich diese Zeilen schreibe, sehe ich die Augen der Leser größer werden, ihre Münder spitzen sich, und gleich wird diese eine Frage aus ihnen heraus brechen: Warum? Wie kann man sich nicht für Fußball interessieren? Die Antwort ist: Ich weiß es nicht. Ich würde mich nämlich sehr gerne für Fußball interessieren. Ich habe sogar mehrere gescheiterte Versuche hinter mir, in denen ich mich mit Bier bewaffnet mit Freunden vor einen Fernseher klemmte. Anfangs lief es ganz gut: Das Bier schmeckte, die Gespräche plätscherten vor sich hin und Grün soll ja das Auge entspannen. Doch dann, als der Ball ins Netz rollte und alle aufsprangen und jubelten, in diesem Moment, in dem sich die ganze Spannung der vergangenen 90 Minuten entlud, als es um alles ging und die Emotionen hoch kochten, in diesem Moment blieb ich sitzen. Denn in mir war es still. Ich hörte ganz genau hin, und tastete mein Inneres nach irgendeiner Seelenregung ab. Doch es war da kein Gefühl, weder der Freude noch des Leids. Es war einfach nur: Nichts. Wenn ich mich für Fußball interessieren würde, könnte ich über Klinsmann und die Leistungen den FC Bayern fachsimplen. Oder mich über die gigantische Ablösesumme irgendeines spanischen Kickers echauffieren. Oder mit einer wildfremden Person, die ich gerade in einem Zug in Griechenland kennengelernt habe, über den Verkauf eines englischen Clubs an einen russischen Milliardär diskutieren. Kurzum: Mein soziales Leben würde sich um gefühlte 20 Prozent verbessern. Sport verbindet Männer: Er erinnert uns daran, wie wir einmal gewesen sein müssen und wie wir ganz tief in uns drinnen vielleicht noch immer sind. Sport, und vor allem Fußball ist der verklausulierte Krieg. Jeder Stamm schickt seine besten Männer in den Kampf, der Rest feuert sie nach Kräften an. Alles, was zählt, ist die körperliche Überlegenheit, der Schweiß, die Willenskraft, an dessen Ende entweder ein erhabener Triumph oder eine schmachvolle Niederlage steht. Beide sind großartig, denn es sind große, aber doch einfache Gefühle. Auch der letzte Gefühlskrüppel versteht, was ein 2:0-Sieg bedeutet. Endlich und plötzlich ist da etwas, das wir zwischen Mathe-Stunde und Bürojob, zwischen Drei-Monats-Beziehung und Maschinenbaustudium nie finden konnten: Es ist die Hingabe. Es ist Identifikation mit etwas, das größer ist als wir selbst und für das wir uns aufopfern. Und wer dabei nicht mitmacht, ist im besten Fall ein Spielverderber, ein Weichei, ein Nerd oder ein Sonderling, vielleicht aber auch ein Nestbeschmutzer, ein Kastrat, ein Gruppenschwein oder ein Deserteur. Ich will kein Mitleid, ich habe gelernt, mit diesem Makel zu leben und ich boxe. Aber das ist die Wahrheit. philipp-mattheis

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