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Jungs, warum sagt ihr uns nicht, wenn ihr uns kacke findet?

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Liebe Jungs,  

dass ihr euch untereinander ziemlich gut beleidigen könnt, ist ja hochwissenschaftlich erwiesen. Ihr macht euch über eure körperlichen Unzulänglichkeiten lustig („Platti“, „Blumenkohlpenis“ „Zwerg“) und auch an spontanen Verhaltenstherapie-Maßnahmen spart ihr nicht. Hat ein Kumpel von euch etwas sackdummes gesagt, sagt ihr ihm das. Ist er zu blöd, eine Flasche zu entkorken, sagt ihr das auch. Und wenn er zu lange an eurer (zukünftigen) Freundin gräbt, dann sagt ihr ihm erst recht, wie scheiße ihr das findet – und dann haut ihr ihm manchmal noch eine runter. Zumindest ist, meiner neutralen Beobachtererfahrung nach, den meisten Schlägereien verbale Kritik vorausgegangen.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Geht es allerdings um Frauen, wird eure sonst so enorme Austeilfähigkeitl jämmerlich. Die zum Drüberlesen vorgelegte Bachelorarbeit ist Grütze? Ihr schwafelt trotzdem etwas davon, dass das ja alles schon sehr spannend sei und man nur an ein paar Stellen noch ganz behutsame Korrekturen vornehmen könnte. Wir heulen uns abends bei euch aus, dass alle anderen auf der Arbeit viel besser sind, und wir uns deswegen auch nie trauen würden, den Chef um eine Gehaltserhöhung zu bitten? Einem Freund würdet ihr sagen: Heul nicht rum sondern tu was! Bei uns gibt es hingegen warme Worte, Armeschunkeln, Verständnis. Vielleicht ein vorsichtiges: Du solltest dir mehr zutrauen. Kritik? Nö!  

Und selbst in dem ja eigentlich für dumme Sprüche extra erfundenen Metier des Autofahrens seid ihr, entgegen aller Stand-up-Comedy-Behauptungen, ganz handzahm. Ich selbst habe zumindest nur wenige Männer erlebt, die sich wirklich getraut hätten, meinen Fahrstil zu kritisieren.  

Nun ist natürlich klar, dass jemanden anzuschnauzen oder zu beleidigen im Konfliktfall nur selten hilft. Aber so ein kleines bisschen Kritik üben sollte doch nicht so schwer sein, oder? Woran liegt das? Seid ihr durch die ganze „Ich bin okay du bist okay“-Debatte verweichlicht? Habt ihr Angst, mögliche Kritik könnten wir direkt als sexistisch und diskriminierend empfinden? Oder findet ihr uns einfach so super, dass es an uns nichts zu bekritteln gibt? Das wäre natürlich fein!            

Auf der nächsten Seite liest du die Jungsantwort von elias-steffensen.



Charlotte, du umfassend promovierter Lurch, warum quälst du jetzt eigentlich ausgerechnet mich mit diesem halbgar vorgewimmerten Dreck?! Werd doch bitte erwachsen, Prinzesschen. Dann müssten wir dich nicht immer mit lenorgewaschenen Samthandschuhen anfassen. Püppi. Alter, manchmal denke ich mir: Äße ich jetzt eine Buchstabensuppe und kotzte sie wieder aus (im kalten Strahl!), ergäbe das einen besseren Text als deinen. Du Arschloch!  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Merkst du was? Gell, passt nicht ganz. Dem Helten, den ich der Ironie wegen dann allerdings auch beim Nachnamen nennen würde, könnte ich das theoretisch so sagen. Dem Stremmel sowieso. Aber dir, oder Nadja, Mercedes, Kathrin – nope, da sperrt sich was. Selbst wenn es inhaltlich gerechtfertigt wäre, was es ja hier nicht ist, weil ja viel Wahres in deinem Text steht. In schön geschrieben. Ehrlich. Bussi.  

Aber jetzt pass auf: Denn dass das nicht passt mit den Schimpfwörtern und euch, und der harschen Kritik und euch, und manchmal auch nur dem Geradeheraus und euch, das liegt schon auch – genau: an euch. Auch! Denn du hast sicher Recht: Wir sind in der ganzen „Jeder ist doch für irgendwen 'ne Zehn“-Debatte verweichlicht. Oder weniger blöd formuliert: Wir haben genauso wenig Bock drauf, uns wie Vollidioten aufzuführen wie ihr. Axt im Wald muss nicht sein, egal, gegenüber welchem Geschlecht. Die wenigstens von uns sind glaubwürdige Bad Boys. Und der Rest hat tatsächlich eine diffuse Angst davor, als machohaft verschrien zu werden. Ein „Boah krass, hast du gehört, der hat seiner Freundin gerade gesagt, dass sie Unsinn redet“, das wirkt ja auch schnell wie die Vorstufe zu häuslicher Gewalt.  

Dass wir im Versuch, eben diesen Eindruck zu vermeiden, letztlich genauso machohaft sind (weibliche Nazis nicht zu schlagen ist ja auch Sexismus), ist uns inzwischen bewusst. Aber wir kommen dem trotzdem nicht ganz aus. Und das liegt, glaube ich, auch an schlechten Erfahrungen. Ihr seid empfindlich. Nicht alle. Nicht immer. Nicht bei jedem Thema. Aber in grober Linie – Himmel, wenn’s jetzt schon drum geht, mag mich da auch nicht drum herum tänzeln - eben schon. Punkt! Ein einfaches „Ich finde, dein Text/dein Outfit/deine Argumentation funktioniert nicht“, kommt bei euch schnell auf einer tieferen Ebene an als bei uns. Und oft dauert es zudem sehr viel länger, bis es von dort wieder hervorkommt. Hervorkriecht! Monsterartig, schnauben, geifernd. Denn bis dahin ist es gewachsen, hat Hörner bekommen und einen dornigen Schweif. Und es kann Feuer speien.  

Das ist freilich kein Naturgesetz. Genetisch auch nicht. Es ist einfache Empirie, möglicherweise falsch, und wenn richtig, dann bestimmt gesellschaftlich geprägt. Aber in meiner Erfahrung, so sorry, da war das echt oft so. Und das gebrannte Kind, das zündelt auch verbal nicht mehr gern. Bisschen rational ist das schon.

Aber wie wäre ein Deal? Wir versuchen, öfter klar zu sagen, wenn wir an/mit/von euch irgendwas kacke finden. Und ihr sagt dafür direkter, wo wir uns diese Meinung hinstecken können. Und dann trinken wir ein Bier und knutschen!

Text: charlotte-haunhorst - und Elias Steffensen / Bild: emoji / photocase.com

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