Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Jungs, was ist schlimmer: sexuelle oder emotionale Untreue?

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Die Mädchenfrage:

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Bettgeschichte, On-Off-Romanze, Bi-, Tri-, Polyamorie – die amouröse Verbindung zwischen euch und uns kommt ja bekanntermaßen in diversen Modellvarianten. Neben dem ganzen Schnickschnack ist natürlich auch die grundsolide Standardausführung Beziehung zu haben. Besonderes Merkmal des Klassikers: Exklusivität. Ihr gehört uns und wir gehören euch sozusagen. Die Sache mit der Treue ist so selbstverständlich, dass sie nur durch den kleinen Zusatz „offen“ den definitorischen Beziehungshinterausgang nehmen könnte. Bloß: Manchmal funktioniert das nicht so richtig mit der Exklusivität. Ihr betrügt uns, wir betrügen euch, und der Ex von der Freundin des Bekannten (oder so) betrügt ja angeblich alle seine Liebschaften. Im Suff, bei vollem Bewusstsein – das ist jetzt gerade mal egal. Dass hier sexuelle Untreue vorliegt, ist offensichtlich. Der Vertrauensbruch kann easy irgendwo auf der Fremdgeh-Skala zwischen hingehauchtem Küsschen und wildem Zwischen-den-Laken-Turnen eingeordnet werden. Schlimm, schlimmer, möglicherweise zu schlimm. Sexueller Betrug schmerzt, ist aber banal einfach. Auf der emotionalen Ebene ist es nicht immer so eindeutig. Und wahrscheinlich auch deswegen im Falle des Falles nicht klar als Untreue definiert. Geht ihr, emotional betrachtet, fremd, wenn ihr so wahnsinnig lange und angeregt mit dem Mädel auf der Party plaudert? Begehen wir einen seelischen Seitensprung, wenn wir uns ein bisschen zu sehr über die SMS eines Anderen freuen und euphorisiert zurücktexten? Unser eifersüchtiges Herz und unser schlechtes Gewissen sind sich da einig: Ja. Dass ihr mit, sagen wir, eurer ansehnlichen Referatspartnerin Anna, erst croissantkrümelnd und anschließend über den Flohmarkt schlendernd einen, wohlgemerkt sexfreien, Sonntagvormittag verbringt, ist für uns sogar die verletzendere Vorstellung, als dass ihr dieser zugegeben echt scharfen einen Dame mal an die Wäsche geht. Nur mal so als Gedankenspiel, nicht, dass wir die Alternativen attraktiv fänden: Eine heiße Affäre mit Anna, aber ohne Gefühle? Piekst ziemlich, da in der Herz-Gegend. Ihr erhebt Anna auf rein freundschaftlicher Basis zu eurer ersten Seelenverwandten? Das reißt uns das Herz aus der Brust. Gefühls-GAU! Denn die enge emotionale Bindung macht uns Angst, wir könnten euch verlieren. Und wir wollen euch nicht verlieren. Gut, dass euch mit Anna wirklich nur das Referat verbindet. Ab und zu haben wir den Verdacht, dass ihr das genau andersrum empfindet, was den Schmerzfaktor von emotionaler und körperlicher Untreue betrifft. Etwa dann, wenn ihr diesen indiskutablen Spruch bringt, den wir Mädchen nicht mal denken: „Appetit kann man sich woanders holen, aber gegessen wird zu Hause.“ Ergo: Wer mit wem ist die für euch letztlich entscheidende Kategorie. Das verstehen wir einfach nicht. Dass wir mit unserem Referatspartner nicht nur die Powerpoint-Folien ausarbeiten, sondern anschließend auch noch stundenlang mit ihm reden, reden, reden, weil wir uns von ihm so wahnsinnig gut verstanden fühlen wie von keinem anderem Menschen, das ist alles nur halb so schlimm, solange nichts „läuft“? Obwohl die Gefühle weltrekordverdächtig schnell sprinten? Soziobiologische Spekulationen würden das ja auch nahelegen: Angeblich ging es euch anno dazumal in erster Linie darum, eure Steinzeit-Gene zu streuen. Und deswegen musstet ihr vor allem fürchten, dass wir uns mit einem Nebenbuhler vergnügen, während ihr bei der Mammutjagd euer Leben riskiert. Wir dagegen mussten uns darauf verlassen können, dass ihr das große Stück Mammutfleisch uns mitbringt und nicht etwa der ins Bärenfell gehüllten Braut auf der anderen Seite des Lagerfeuers. Also war für uns euer seelisches Commitment schon damals wichtiger. Bloß sind wir ja nun schon etwas länger mehr oder weniger zivilisierte Menschen mit komplexen Geschlechterrollen und hauen uns auch nicht mehr mit der Keule gegenseitig den Schädel ein. Jungs, liegen wir trotzdem richtig mit der Vermutung, dass euch körperlicher Betrug stärker verletzt als emotionale Seitensprünge? Und warum eigentlich, in einer Welt ohne Mammuts?


Die Jungsantwort Großes, verzwicktes Thema. Ich kenne wirklich einige Frauen, die bereit wären oder schon waren ihrem langjährigen Partner einen einmaligen sexuellen Ausflug zu verzeihen, wenn dieser tatsächlich nur orgasmusorientiert war. Und das ist die Mehrheit der Ausflüge in diesem Zusammenhang, denn Jungs haben in einer recht ordentlich funktionierenden Beziehung nicht so sehr Sehnsucht nach neuer, anderer Liebe und Geborgenheit, sondern viel eher mal eingeredetes Verlangen nach anderen Brüsten und Schlünden. Die geschilderte Mädchenreaktion finde ich jedenfalls sehr großzügig und typisch weiblich weise, denn sie erkennt den Bonus einer langen und eigentlich guten Beziehung an und bewertet dagegen rational das Vorgefallene als das was es war: als körperlichen Schwachsinn. Gleichzeitig habe ich auch Verständnis, wenn das nicht geht und knallpengschluss ist, denn diese Variante liegt uns Jungs wesentlich näher, da ist uns das sonst so Rationale dann auf einmal sehr fern. Die Vorstellung, ihr würdet ebenfalls rein orgasmusorientiert mal eines abends nicht in unser Bett kommen, sondern dafür versehentlich beim Nachbarn klingeln, wäre für uns die komplette Bankrotterklärung und eine feindliche Übernahme der ganzen Liebes-AG. Auch wenn wir nicht mehr Keulen schwingen oder Wölfe erwürgen, können wir in diesem Moment eben nicht sehr gut trennen, zwischen dem großen, harmonischen und aufgeklärten Ganzen und dem kleinen, miesen Vorfall in der Unterabteilung Sex. Wie setzen beides gleich. Schuld ist archaisches Gekränktsein, verlorene Männerwürde und ja, vielleicht auch die ganz bildliche Besudelung unseres Territoriums durch einen anderen Mann. Es sind diese steinzeitlichen Reaktionen, die uns danach alles in Frage stellen lassen oder, genauso albern, dreimal schlimmer Rache nehmen. Das hat mit moderner Männlichkeit und gleiches Recht für alle nichts zu tun, die Sicherung brennt heute eben genauso durch wie vor 10 000 Jahren und der Schmerz wirft uns auf die Basisreaktionen zurück: Verletzt werden – Verletzen! Gekränkt werden – Krank sein! Hättet ihr dagegen eine platonische Liebe, einen sinnlichen Briefeschreiber in Kyoto vielleicht, der euch salbungsvoll und einfühlsam unterhält – nur zu. Es muss der Typ schon sehr handfeste Sauereien schreiben, bis uns das wirklich stört. Soll er euch Bücher und seine Remixe schicken und widmen, egal, solange er nicht zu Besuch kommt und in eurem Bettchen schlafen darf. Auch euer Spazieren mit ihm oder acht Stunden Milchkaffee trinken lässt uns nicht zwanghaft argwöhnisch werden. Wir haben unsere Qualitäten, denken wir, und schätzen die immer sehr großzügig ein. Dagegen, was ist das für ein Theater, wenn wir der netten Kommilitonin aus diesem einen Seminar nur schnell eine Kassette aufnehmen bzw. ihr eine Songlist basteln wollen. Da können wir euch hundertmal versichern, dass es nur die ordinärsten Indie-Charts sind und keinesfalls tiefgehende Kompositionen, ihr seid trotzdem angefressen wie ein ganzer Biberwald. Sehr komisch wird die Sache, wenn ihr uns einen klitzkleinen und brachial unbedeutenden Seitensprung verzeiht, wir euch aber acht Wochen später den gleichen Gefallen nicht tun, sondern pompös „Hinaus!“ brüllen, sobald ihr uns eine betrunkene Club-Küsserei beichtet. Wir messen, das scheint mir wirklich so, dann mit zweierlei Maß, alles andere fällt uns sehr schwer. Ohne dieses Paradox entschuldigen zu wollen (bzw: Ich entschuldige mich hier mal stellvertretend für alle Männer: Tschuldigung, liebe Frauen, wir sind mitunter doof!) und ohne auf Stammtischparolen zurückzugreifen, könnte eine Erklärung für diese Männereinschätzung einfach die Mechanik des Aktes sein. Wir hängen das triebhafte Gehänge in jemand anderen, wie Bienen ihren Rüssel in Blütenkelche. Und gleich darauf summen wir weiter, fast nix passiert, wir müssen nicht mal unbedingt unsere Hände benutzen. Ihr aber, ihr Blütenkelche, ihr empfangt und umfangt, ihr einverleibt und öffnet euch. Das wirkt auf uns viel intimer, als das was wir dabei tun, wir bewerten es viel persönlicher, als unsere Triebableitung via externes Pimmelgerät. Ich weiß, dass diese These nicht haltbar ist, aber wir halten uns bisweilen eben trotzdem dran und ertragen die Vorstellung nicht. Vielleicht fragt ihr in 10 000 Jahren nochmal? fabian-fuchs

  • teilen
  • schließen