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Jungs, was soll der Beschützerinstinkt?

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Als Brüder, insbesondere als große, finden wir euch super. Es ist toll, wie ihr uns Tricks beibringt: Höhlen bauen mit sechs, Carrera-Bahn-fahren mit acht und das Bier mit dem Feuerzeug aufmachen mit 14. Dafür sind wir euch dankbar.

Aber es gibt, ungefähr zeitgleich zur Feuerzeug-Lektion mit 14, einen Moment, da kippt unser großer-Bruder-kleine-Schwester-Verhältnis ins Ungute. Es ist der Moment, in dem ihr kapiert, dass wir uns  liebesmäßig für Jungs interessieren und Jungs sich eventuell auch liebesmäßig für uns. Plötzlich verwandelt ihr euch von dem coolen Bruderkumpel in einen bevormundenden Vollspießer oder/und Vollprolet.

Ein Beispiel: Mein erster Freund war ein netter Junge. Nur ein Jahr älter als ich und so wohlerzogen, dass er mich nach jedem Date nach Hause brachte. In dem Moment, in dem mein großer Bruder uns auf einer Party beim Knutschen beobachtete, sah er plötzlich alles so rot, wie der Erdbeer-Limes war, den wir auf dieser Party tranken. Das Fazit der Knutscherei waren demolierte Stühle, Rumgebrülle und ein sehr angeknackstes Verhältnis zwischen mir und meinem Bruder. Noch lange Zeit ließ mein Bruder, wie auch viele große Brüder anderer Freundinnen, keine Gelegenheit aus, in großer Runde darüber zu monologisieren, welcher Mann für mich gut genug war und welcher nicht und wovor diese dreisten Typen sich gefälligst in Acht nehmen sollten.

Meine These also: In dem Moment, in dem eine kleine Schwester sich mit einem anderen Mann einlässt, werdet ihr hypersensibel.

Nur, warum? Ihr wünscht euch doch nicht ernsthaft lebenslange Jungfräulichkeit für uns. Habt ihr vielleicht nur Angst vor komischen Geräuschen aus dem Nebenzimmer? Oder glaubt ihr etwa wirklich, wir seien so hilflos und schwach, dass wir dringend einen männlichen Aufpasser bräuchten? Oder ganz anders: ist das ganze Gehabe gar nicht zu unserem Schutze gedacht, sondern reine Eifersucht eurerseits, weil plötzlich ein anderer Mann in unserem Leben wichtig wird? Ist es euch in Wahrheit sogar ziemlich wurscht mit uns und unseren Loverboys und ihr veranstaltet den Terror nur deshalb, weil ihr euch so eurer sogenannten "Männlichkeit" (Stärke, Autorität etc.) vergewissern könnt? Oder denkt ihr womöglich, wir erwarteten dieses Verhalten von euch, weil es zur Rolle des starken Bruders dazugehört? Höchstverwirrt bitten wir: Klärt uns auf!

Auf der nächsten Seite liest du die Antwort von lucas-grunewald.


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Zunächst einmal: Schwestern unterscheiden sich ja von Tanten oder Müttern dadurch, dass sie die einzigen weiblichen Ableger unserer Familie sind, die sich in einer ähnlichen Peergroup bewegen wie wir. Die Chancen stehen also gut, dass wir unsere Schwestern in Jugendjahren irgendwann an Orten treffen, an denen man Bierflaschen mit Feuerzeugen öffnet, am Bushäuschen oder vor dem runtergebogenen Festivalzaun.

Nun sind diese Örtlichkeiten häufig auch bei anderen Nachwuchs-Bieröffnern beliebt. Und wo eine Traube junger Menschen gemeinsam Biere öffnet, muss man kein verholzter Sittenwächter sein, um als älteres Familienmitglied ein wenig wachsam zu werden. Schließlich bringt ein Mehr an Erfahrung immer auch ein Mehr an Verantwortung, und ein Mehr an Bier in Jungsbäuchen, soviel wissen wir, bedeutet immer auch ein Mehr an Busenwitzen und anderen Schmierigkeiten. Nennt es pathetisch, nennt uns Taliban, aber der Schutz der kleinen Schwester vor den Unwägbarkeiten des Älterwerdens gehört ein paar Jahre lang zu unserer Berufsbeschreibung als ältere Brüder.

Und damit zum ungleich verzwickteren Teil deiner Frage: Jungfräulichkeit, Sex, Geräusche aus dem Nebenzimmer. Über die sexuellen Erfahrungen unserer kleinen Schwestern machen wir uns ähnlich gern Gedanken wie über die Lieblingsstellung unserer Tante oder den genauen Zweck des Babyöls im Bad unserer Eltern. Es ist so: Tut alles, worauf ihr Lust habt – aber lasst uns bloß damit in Ruhe. In dem Moment, indem ihr aber nach sieben Alkopops dem Stürmer-Lasse aus unserer Fußballmannschaft den Mundraum ausleckt, stellt ihr euer Sexpaket mitten in unseren Vorgarten. Wir stolpern dann ständig darüber oder müssen fortan umständlich drübersteigen. Und wenn man sich dauernd an etwas das Schienbein anhaut, ist es schwer, so zu tun, als wäre es nicht da.

Irgendeine Haltung müssen wir zu all diesen Dingen ja entwickeln, und im Zweifelsfall ist das erstmal eine ablehnende – je weniger Alkopops im Spiel sind, desto weniger robust ist diese Abwehrhaltung in der Regel, und wenn Stürmer-Lasse uns irgendwann beim Sonntagstee das Milchkännchen reicht, ist von unserem Schutzreflex schon lange nichts mehr übrig. Wächst sich alles raus. 
 
lucas-grunewald



Text: merle-kolber - Cover: timbec_photocase.de

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