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Jungs, was soll der Urlaubsbart?

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Ihr tragt ja gerne Bärte, derzeit. Aber nicht alle von euch tragen sie waldschratmäßig lang, viele mögen den gepflegten Dreitagebart, manche geben dem Trend auch gar nicht nach und rasieren sich jeden Morgen nass. Wieder andere können beim Trend gar nicht so richtig mitmachen, weil ihr Bartwuchs eher spärlich ist. Aber ich glaube, eins habt ihr alle, ob mit oder ohne, ob mit langem oder mit kurzem Bart gemeinsam: Einigermaßen gepflegt soll es in eurem Gesicht schon zugehen.

Ich liege sicher nicht falsch mit meiner Annahme, dass ihr gerne und ausgiebig nachdenkt, über den Zustand eurer Gesichtsbehaarung und dass selbst ein ungepflegter Bart stets gepflegt ungepflegt ist, um den Schnäuzer herum hin und wieder gestutzt wird (der Essensreste wegen) und vor Vorstellungsgesprächen in Form gebracht wird. So eitel seid ihr doch mindestens.

Aber: Das alles gilt nur für den Alltag. Für die Zeit, in der ihr zur Uni und ins Büro geht, in euren kreativen shared Workspaces rumsitzt, auf Konferenzen sprecht, in der Werkstatt an Autos rumschraubt, Kinder hütet, Drinks mixt, Oma besucht oder was ihr sonst so alles macht in eurer natürlichen Umgebung. Sobald ihr allerdings den Alltag verlasst, sobald ihr Urlaub macht und die Welt bereist, gilt alles, was mit Bartpflege zu tun hat, auf einmal nicht mehr. Schon zwei Wochen vor der Abreise sagt ihr: „In Guatemala rasier ich mich nicht!" Und so geschieht es dann auch. Während der 25-tägigen Rundreise zwischen Karibik und Pazifik rasiert ihr euch nicht. Ich lasst wuchern, was da wuchern will (bei manchen mehr, bei manchen wenigern), streicht euch die Reste gebratener Kochbananen aus dem Schnäuzer und piekst sehr, wenn ihr uns küsst.

Und jetzt wüssten wir gerne, was das eigentlich soll, mit dem Urlaubsbart? Ihr hört ja auch nicht auf einmal auf, euch zu waschen, sobald ihr weiter als 300 Kilometer von daheim entfernt seid, oder tragt nur noch die ältesten Klamotten, die ihr im Schrank habt. Kurz: Ihr werdet ja auf Reisen nicht insgesamt zu ungepflegten Schmuddelbuben mit fettigem Haar.

Warum also das fröhliche Pausieren der Bartpflege? Ist die so anstrengend, dass man davon auch mal Urlaub braucht? Wollt ihr Gepäck sparen und lasst darum den Nassrasierer respektive den Bartschneider lieber daheim (die beide jetzt nicht sooo arg ins Gewicht fielen, würdet ihr sie auch noch einpacken)? Wollt ihr testen, wie weit der Bart geht, wenn man ihn mal einfach gehen lässt? Oder steckt da irgendein Wunsch nach einem Abenteurer-Eroberer-Freiheitskämpfer-Weltenbummler-Gefühl dahinter, das sich nur einstellt, wenn man sich nicht rasiert?

Klärt uns auf, wir können es nicht wissen, denn wir haben keine Bärte!

Auf der nächsten Seite liest du die Jungsantwort von jan-stremmel.




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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Für einen großen Schritt braucht man Anlauf. Das klingt stärker nach Kalenderspruch als es soll, deshalb starte ich lieber mit Kai Diekmann.  

Vor zwei Jahren ging der Bild-Chef auf Reisen. Er wollte ein Jahr in Kalifornien leben, um Inspiration zu finden. Nach ein paar Monaten besuchten ihn deutsche Reporter. Sie kehrten zurück mit Fotos, die kurz darauf in vielen Redaktionen kichernd in die Teeküche gehängt wurden: Der sonst demonstrativ aalige Diekmann trug plötzlich Kapuzenpulli, Beulenjeans und diese eigentümlich kabellosen Chucks. Vor allem aber wies sein sonst glattgewienertes Gesicht einen soliden Dreiwochenbart auf. Es ist nicht überliefert, ob Diekmann die Reise mit dem Spruch antrat: „In Kalifornien rasier ich mich nicht!“ – aber vermutlich hat er es mindestens kurz gedacht.  

Entscheidend ist an diesem Vorgang die Tatsache, dass die Diekmann’sche Verbartung nicht etwa Stück für Stück unter aller Augen im Berliner Springer-Haus geschah - sondern maximal weit davon entfernt.

Urlaub ist Auszeit und damit auch: Ausprobierzeit. Nicht nur für uns Jungs übrigens. Zur Erinnerung: Irgendwann in eurer Prä-Pubertät kam fast jede von euch mindestens einmal aus dem Sardinien-Urlaub zurück und trug die Haare auf dem Kopf zu Cornrows verknotet oder kombinierte die Frisur mit einer bunt umflochtenen Perlen-Zündschnur an der Schläfe. Ich schätze, es ist unsere mitteleuropäische Idee von „Exotik“, die uns nach drei Wochen Mykonos denken lässt, weiße Leinenhosen und ein Fußbändchen aus Leder (respektive WLAN-Turnschuhe im Silicon Valley) seien ein notwendiges Style-Upgrade.

Unser Guatemala-Bart ist also vor allem ein Bart auf Probe. Schließlich sagt uns Jungs niemand, ob der Bartwuchs, der tief in unseren Wangen schlummert, in ausgewachsener Form dicht und halbwegs formschön ist oder inakzeptabel löchrig. Ob da ein Galifianakis-Vollbart drin ist oder wenigstens ein Selleck-Schnäuzer. Wir müssen ihn einmal rauswachsen lassen, so wie man ein schnelles Auto einmal auf der Garmischer Autobahn zum Anschlag hochjagen muss, auch wenn bei 170 der Auspuff qualmt und die Leute hupen. Es geht um die Gewissheit! Danach bummelt es sich mit deutlich besserem Gefühl auf der rechten Spur weiter.

Teil zwei der Erklärung nimmt nun Bezug auf obigen Kalenderspruch: Ein Bart unterscheidet sich von den optischen Eingriffen, die euch so zur Verfügung stehen, durch die Notwendigkeit eines gewissen Vorlaufs. Ein Bart ist nicht einfach da, wie etwa ein Pagenschnitt oder ein schnell gestochener Nasenring. Je nach Anspruch braucht ein Bart zwei bis fünf Wochen. So lange wuchert er in einer unwürdigen Beta-Phase in unserem Gesicht herum. In dieser Zeit hören wir von Freunden, Kollegen und unseren Müttern angesichts der Baustelle in unserem Gesicht andauernd den süffisanten Satz: „Oh, du lässt dir einen Bart stehen?“ Um da jedes Mal mit durchgedrückter Brust „ja, geil oder?“ zu entgegnen, braucht man schon ein Ego aus Edelstahl - zumindest aber das Wissen, dass am Ende der Baustellenphase auch ein vernünftig aussehender Bart steht. Eine öffentlich sichtbare Schnurrbartzucht nach zwei Wochen mangels Erfolg einfach abzubrechen und wieder glattrasiert aufzutauchen? Das wäre das Eingeständnis unseres Irrglaubens in unsere Bartfähigkeit und damit kolossal demütigend.

Einen Bart wachsen lassen ist wie Kulissenwechsel im Theater. Und der findet ja auch nicht grundlos hinter herabgelassenem Vorhang statt. Weil wir schlecht einen Vorhang tragen können, legen wir diese Zeit also lieber auf den Urlaub. Und die Guatemalteken gelten ja als sehr diskret.

jan-stremmel

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