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"Jungs, wer ist das Bandmädchen?"

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Die Mädchenfrage:
 

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Im Gegensatz zu uns Mädchen habt ihr Jungs in eurer Jugend oft eine sehr wichtige Station: Ihr seid in einer Band, mit der ihr in der Regel mindestens einmal auftretet, und sei es nur auf dem Schul-Sommerfest.
 
Von uns Mädchen stehen dagegen fast alle im Zuschauerraum und betrachteten euch da oben, die ihr plötzlich so weit weg seid und so viel besser ausseht aus dieser Perspektive, obwohl ihr und eure lahmen Witze uns womöglich noch zwei Stunden vorher in Chemie unfassbar angeödet haben.
 
Vor allem sind wir aber unfassbar neidisch, wenn da auf der Bühne neben euch auch am Bass oder am Mikrofon ein Mädchen steht. Dieses Mädchen ist noch viel mehr als ihr Band-Jungs ein Mysterium. Wie hat sie es in die Band geschafft? Stand sie eines Abends an der Straßenecke und wurde von den anderen Band-Mitgliedern einfach ein- und im Proberaum wieder ausgepackt? Musste sie ein Vorsingen mitmachen und mit zwölf anderen Mädchen stundenlang in einem winzigen Nebenraum darauf warten, bis sich alle Bandmitglieder auf eine Kandidatin einigen konnten – ungefähr so dramatisch wie all diese Recall-Szenen in „Popstars“ und ähnlichen Formaten? Und natürlich muss man sofort darüber spekulieren, mit wem in der Band sie zuerst geschlafen hat und für wen sie denjenigen verlässt. Ist das Bandmädchen gleichberechtigt mit euch Bandjungs, wenn es um wichtige Entscheidungen geht, wie die Frage nach dem Bandnamen und dem Style? Seid ihr alle heimlich in sie verliebt? Wie funktionierte das auf Tour, wenn ihr Jungs vier Wochen lang das gleiche Paar Socken tragt und nach jeder Show ein anderes Groupie flachlegen könntet? Ist das Mädchen in der Band wirklich so unglaublich cool, wie wir dachten?

Natürlich könnten wir all diese Fragen auch dem Bandmädchen selbst stellen. Nur: Wir lernen sie nie kennen, weil sie viel zu cool für uns ist. Immer! Also müsst ihr uns jetzt erzählen: Wer ist dieses Mädchen?



  Die Jungsantwort:

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Ach, das Bandmädchen ist meistens viel weniger geheimnisvoll, als ihr euch das denkt. Es ist fast immer die kleine Schwester vom Bassisten. Bevor sie in der Band ist, war sie eher unauffällig, natürlich keine mit Pferde-Sweatshirt, sondern eher so eine, die sich mit dem Filzstift in Mathe die Fingernägel schwarz gemalt und dabei heimlich in Georg Trakl verliebt hat. In der Annahme, dass sie wegen derlei Neigungen sowieso keiner versteht, hat sie auch schon mal ein halbes Jahr mit niemandem gesprochen. Sie hört gute Musik,  und wegen ihrem Bruder kann sie auch Bass spielen (besser als er), aus Kindertagen auch noch Klavier.

So, und die ist dann eines Tages irgendwie im Proberaum dabei und hängt rum, als neutrales Persönchen, vor dem wir uns nicht allzu genieren. Irgendeiner aus der zweiten Reihe ruft dann: „Die Svenja kann das ja mal singen.“ Es folgt großes Gesträube etc, aber weil die Svenja eben auch keines von den Supermädchen ist, bei denen wir uns derlei Ungezwungenheiten ja niemals trauen würden, wird sie dann doch überredet. Natürlich singt sie sofort viel besser als alles was der Band stimmlich vorher so widerfahren ist, ganz einfach weil die Band ja gar keinen richtigen Sänger hatte und weil Mädchen, auch wenn sie nicht singen können, immer noch besser singen, als Jungs die nicht singen können. Ach, ist das ein Zauber! Auf einmal hat diese Band einen richtigen Sinn, auf einmal stimmen alle heimlich ihre Instrumente nach, auf einmal rücken Fanclubs in greifbare Nähe.

Sie kommt in der Folge nicht immer zur Bandprobe, aber ab und zu, und sie hat so einen Sonderstatus, irgendwo zwischen Aushilfsmitglied, Genie und tolles Statussymbol. Genau wie bei den Jungs überhöht die Bühne und das ganze Bandding dieses ehemals schüchterne Mädchen, auf einmal ist sie superinteressant und die Jungs in der Band schauen gebannt zu, bei dieser Wandlung. Bei den Auftritten grätscht sie zwar selten über die Verstärker, aber sie nuschelt unter einem Vorhang aus Haaren zuckersüß in das Mikro und verschwindet auch immer mal wieder von der Bühne. Sie ist dann nicht mehr die kleine Schwester vom Bassisten, sie ist was Besonderes, jeder Schritt, jede Zigarette die sie auf der Bühne raucht, werden gebannt beobachtet. Vorbilder, klar: Nico, Obermaier, Pony Hütchen.

 Wenn sie nicht die Schwester ist, dann entweder die aktuelle oder verflossene Freundin eines Bandmitglieds, was ihr zumindest eine Zeitlang eine ähnlich sakrosankte Position verschafft. Für die Bandjungs ist es eine unausgesprochen Regel, dass sich keiner gleich in sie hineinverliebt. Schließlich weiß man in jedem Proberaum der Welt von der verheerenden Wirkung, die derlei auf eine Band haben kann und schließlich war die Band und ihr Raum eben auch immer ein Ort der eingeschworenen Jungs-Verbundenheit gegen die Welt, mit ihren Liebeskummern, Gockeleien und anderen Doofheiten. Gegen das alles schreibt man ja Songs! Band ist ja letztlich auch nur Stammtisch, eben in cool.

Deswegen wird also erstmal versucht, das Bandmädchen kumpelhaft einzugemeinden, sie muss Schlagzeug schleppen, Witze über das Bandraum-Klo mitmachen und Plakate kleben. Aber diese Kumpelei funktioniert meistens nur halb. Meistens gibt es später eben doch mal irgendein dummes Geknutsche backstage, eine deftige Eifersuchtsszene mit der Freundin des Sängers oder Kumpels der Band, die beim Auftritt „Ausziehen!“ grölen und dann wird die Sache kompliziert. Denn so lässig wie Zia McCabe bei den Dandy Warhols sind die Bandmädchen dann oft doch nicht. Und wenn doch, stellen sie fest, dass sie die komischen Krücken aus Band gar nicht brauchen. Denn das ist ja, glaube ich, der Grund, warum ihr nicht so krampfhaft Bands gründet – Mädchen gelingt in diesem Alter eine Instant-Aufmerksamkeit viel leichter und solitärer, wenn sie nur wollen.

Wie geht es also weiter mit dem Bandmädchen? Nun, meiner Erfahrung nach, hat es nach einem Jahr weniger Bock und kommt irgendwann nicht mehr, eher nicht im Streit, sondern sie fadet sich so raus. Gut, sagen dann die Jungs trotzig, jetzt können wir wenigstens wieder den Fleischwurst-Rap spielen, den die Svenja immer boykottiert hat. Oder aber sie kommt immer öfter mit eigenen Texten an. Das ist zwar okay, aber es birgt auch die Gefahr, dass ein Graben entsteht, zwischen der musikalischen Stoßrichtung der Band und dem, was eigentlich zu den Texten passen würde. Oder die Jungs fühlen sich nur noch als pure Erfüllungsgehilfen für die neu entdeckte feministische Propaganda ihrer Dame, das führt dann auch zu leichtem Gemurre. Jedenfalls, wenn eines nicht allzu fernen Tages das letzte Stündlein der Band geschlagen hat, ist das Bandmädchen meistens nicht mehr dabei. Das ist auch richtig so, denn wichtig ist ja, dass sie am Höhepunkt, an dieser Handvoll toller Konzerte aufscheint und strahlt und bei allen Zuschauern das bewirkt, was in deiner Frage steht.

max-scharnigg

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