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Jungs, wieso sprecht ihr nicht über eure Träume?

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Die Mädchenfrage:

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Einer meiner Lieblingsmomente des Tages ist es, morgens aufzuwachen und den unterschiedlichen Post-Schlaf-Gefühlen nachzuspüren. Ich rekonstruiere dabei Schritt für Schritt all die merkwürdigen Traumbilder der vergangenen Nacht. In einem Zustand des permanenten Staunens denke ich „Oh“, und „Wow“ und „Häh?“, und wenn das Erinnern eine Weile hakt, grabe ich angestrengt weiter. Manchmal denke ich dann unvermittelt „Geil!“ und kurz darauf „Hilfe!“, erröte vor Scham und hänge trotzdem eine Weile den absurd-verbotenen Fantasien nach, die ich mir in Anwesenheit meiner Vernunft wahrscheinlich eher nicht so detailliert ausgemalt hätte.  

Manchmal begleiten mich diese Traumszenen den restlichen Tag, sie fallen mir immer wieder völlig unvermittelt ein und wenn gerade jemand in der Nähe ist, erzähle ich sie ihm. Denn an Träumen ist supergut, dass man sowohl leichtfüßig über sie herumblödeln kann, als auch tiefgründig darin umhersinnieren darf. Das macht sie zu einem ziemlich interessanten und niemals langweiligen Thema. Die darin auftauchenden Geschichten sind zwar meistens so skurril und absurd, dass man geneigt ist, sie auf der Stelle zu verwerfen – aber wenn man dann einmal genau hinsieht, geben sie oft erstaunliche Hinweise auf Sehnsüchte, Ängste und andere verdrängte Begehrlichkeiten. Sie sind also ganz und gar nicht nur die zufällig zusammen gewürfelte Resteverwertung all dessen, was mir am Tag so passiert ist. Sie sind viel mehr. Oft führen die verdrehten Situationen sogar zu genialen Ideen, auf die man sonst nie gekommen wäre. Im Traum wird immerhin alles frei assoziiert und deshalb gibt es nichts Aufschlussreicheres und Spannenderes, als sich ihnen ausführlich zu widmen. Ich würde behaupten, dass sehr viele gute Romane, Filme oder sonstige Großartigkeiten aus wirren Traumbildern geboren wurden. 

Mit jeder Frau kann man hervorragend über diese Fantasien sprechen. So bald ich allerdings mit Wesen männlichen Geschlechts darüber sprechen will, blocken sie recht kommentarlos ab. Weder scheinen sie meine Träume zu interessieren, noch setzen sie sich mit ihren eigenen auseinander. Ihre Gesichter verziehen sich beim Thema lediglich zu gelangweilten Mienen und sie sagen Sachen wie: „Och, ich träume eigentlich nicht“ oder „Boah, echt keine Ahnung, irgendwas halt“ oder „,Erinner’ ich mich nicht dran, aber ist doch auch total egal, oder?“ Das Ausführlichste, was ich einen Jungen je zu Träumen habe sagen hören war, dass sie zur Verarbeitung dessen dienen, was das Hirn während des Tages nicht verdauen konnte und es daher völlig kontraproduktiv und gegen Sinn und Zweck unserer menschlichen Natur sei, sie am nächsten Tag noch einmal detailliert aufzurollen. 

Denkt ihr wirklich so? Interessiert euch das, was nachts in den Kammern eures verwinkelten Hirns ohne das Zutun eurer Vernunft so alles passiert, wirklich kein bisschen? Steckt ihr da noch in einer alten Vorstellung vom Mann als unsensiblen Stahlwesen fest und ihr findet im Reden über Träume eine unattraktive Schwachstelle? Oder fürchtet ihr vielleicht, wir Mädchen könnten mit unseren pseudopsychoanalytischen Assoziationswerkzeugen zu grob in eurer Intimsphäre herumpflügen? Selbst wenn: Müsstet ihr denn nicht wenigstens arschneugierig darauf sein, was in unseren heimlichsten Kopfverquirlungen passiert?


Die Jungsantwort:

Ich fange so an, wie du es erwartest. Wissenschaftlich. Man weiß immer noch nicht genau, was Träume sind und warum es sie gibt. Die Sache mit der Verarbeitung des Tages stimmt wohl, aber nur in einem gewissen Rahmen. Dann ist aber die Frage, inwiefern das bei Menschen der Fall ist, die von Albträumen geplagt werden, die sich dauernd wiederholen. Verarbeiten die immer wieder dasselbe? Es gibt andere Annahmen, nach denen ein Traum das Geräusch sei, das entstehe, während das Gehirn arbeite. Ein Wissenschaftler meinte mal, die Horrorerlebnisse im Traum seien dazu da, sich auf Gefahren des Alltags einzustellen. Am meisten aber hat wohl Sigmund Freud mit seiner Traumdeutung die Wissenschaft vom Träumen geprägt. Er war sich sicher, dass das alles was bedeutet, was da nachts im Kopf passiert.

Persönlich glaube ich, dass Träume irgendwas können. Es gibt zum Beispiel Menschen, die Wahrträumen, die also Ereignisse im Schlaf vorwegnehmen können. Wie das genau geht, ist eine Frage, die noch nicht ausreichend beantwortet ist. Ich weiß es jedenfalls nicht und finde es spannend. Ein bisschen sind solche Träume ja mit Deja-Vus verwandt, mit diesen Momenten, in denen uns auffällt, dass wir eine Situation schonmal irgendwie erlebt haben. Du siehst, mich interessieren diese Seiten des Traumes. Was sie können, wo sie herkommen, die Forschung danach. Die Bilder und Geschichten eines Traumes sind mir nicht so wichtig. Dir offenbar schon. Vielleicht bist du eine Freudianerin oder sowas, die sich sehr lange mit dem Traumgeschehen befasst. Das kann ich nicht, weil es mir zu irr, zu verworren, zu abseitig erscheint. Ich schlafe gedanklich ein, wenn mir die Kollegen am Esstisch ihre Träume erzählen. Ich weiß, dass es im Schlaf zugeht. Bei mir ja auch. Aber was bringt es, das zu erzählen?

Die Erklärung "Ich träume nicht" ist übrigens Quatsch. Jeder träumt normalerweise. Die Frage ist nur, ob man aus einer REM-Phase erwacht, in der wir meistens träumen und an die wir uns, wenn wir aus ihr aufwachen, leichter erinnern. Schließlich geht es auch um den Willen, sich an den Traum zu erinnern. Man muss es schnell machen. Wer nur ein paar Sekunden zwischen Traum und Wachheit lässt, der vergisst sofort. Ich vergesse dauernd, weil mich beim Wachwerden sofort andere Dinge beschäftigen.

Neulich war wieder Buchmesse und ich habe gelesen, dass die meisten Romane von Frauen gekauft werden. Frauen, hieß es da, lieben Erzählungen, während Männer eher so für die Sachbücher da sind. Du musst mal in den Kindergarten gehen. Die ersten, die eine Kindergartenfrau nach dem Vorlesen fragen, ob das Gelesene denn echt sei, sind die Jungs. Jungs haben mehr Spaß an der plastischen, haptischen, drehbaren Welt. Mädchen nicht so. Mädchen, so hat es mir mal eine Erzieherin aus ihrem Alltag erzählt, können sich angeblich viel besser verlieren - im Spiel, in einer Geschichte, in einem Zauberland. Warum also nicht auch im Traum?

Peter Wagner  



Text: mercedes-lauenstein - Bild: photocase/ froschperspektive

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