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Mädchenfrage: Jungs, wie sitzt man alleine an der Bar?

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Ich weiß nicht warum, aber alle paar Monate so kurz vor dem Wochenende bilde ich mir ein, jetzt müsste ich endlich mal das Aufregendste tun, was man als Mädchen so am Wochenende tun kann: Alleine ausgehen. Denn alleine an der Bar stehen ist ja viel mehr als nur die bloße Pose. Es bedeutet: wer alleine an der Bar steht, braucht keine Bestätigung von außen. Wer alleine in die Bar geht, ist unabhängig und kennt den Unterschied zwischen Einsamkeit und alleine sein. Wer alleine an der Bar gelehnt steht, ist dem Leben gegenüber offen. All das wäre ich auch gerne manchmal. Aber wann immer ich denke „Heute ist es so weit, heute gehst du alleine und ohne Ausrede in die XY-Bar und genießt einen Abend mit dir alleine.“, wird mir ganz besonders komisch ums Gemüt. Ich habe panische Angst davor, von allen in der Bar angestarrt und gar bemitleidet zu werden, weil sie vielleicht denken, ich hätte keinen einzigen Freund auf dieser Welt. Oder aber sie würden mich für eine Schlampe halten, Nutte gar, die es ganz eindeutig auf einen Aufriss abgesehen hat. Oder ich breche vor lauter Schweigen zusammen und verlasse – kurz vor dem Heulen – die Bar, nachdem ich die Getränkekarte auswendig gelernt habe,. Lauter unschöne Vorstellungen, die am Ende immer dazu führen, dass ich mich doch lieber mit entfernten Bekannten auf ein Bier treffe, anstatt es mal endlich durchzuziehen. Denn die Vorstellung, so glamourös und „Nighthawk“-mäßig sie mir erscheint, macht mir vor allem eins: Angst. Dann denke ich voll Neid an euch Jungs, die ihr ja bestimmt fast jeden zweiten Abend alleine an irgendeiner Hotelbar lehnt, eingehüllt in eine Aura aus Melancholie und Schnapsdrossel und es einfach mal wieder: draufhabt. Deshalb heute mal eine zweiteilige Frage an euch, Jungs: Könnt ihr uns bitte erstens einmal Schritt für Schritt erklären, wie man stilvoll alleine an der Bar lehnt? So ganz ohne Panikanfälle und so-tun-als-käme-die-Freundin-gleich-vom-Klo? Und zweitens: Wie ist eure Einschätzung von einem Mädchen, das tatsächlich alleine ausgeht? Tendiert die eher in Richtung „Arme Wurst“ oder eher in Richtung „Wowowowowow!“? Danke! Und Prost! Auf der nächsten Seite kannst du die Jungsantwort lesen.


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die Jungsantwort: Ach, die Bar. Die verfolgt uns auch. Schließlich gehört das ebendortige Herumlungern zu den Dingen, die wir schon sehr lange vorgemacht bekommen: Erst in Westernfilmen, dann in der Hemingway-Biographie, später von den Freunden, die begeistert vom Schumann's schwärmen, oder von der kleinen Strandbar in Tel Aviv. All diese Episoden reichern unser Bild vom Mann an der Bar an, der zu diesem Zeitpunkt längst ein regelrechtes role model geworden ist. Da schwingt vieles mit: Schwere Gedanken (und Bücher schreiben), leichte Frauen (die wie von selbst an dem Typ kleben bleiben), teure Getränke (und das Expertenwissen darüber) und nicht zuletzt auch die seltsame Solidargemeinschaft mit dem Barkeeper, der ja so eine Art Ersatz für den Butler geworden ist, den kaum einer von uns mehr zur Verfügung hat. Ihr werdet euch denken können, dass es für uns nahezu unmöglich ist, dieser tollen Figur da an der Bar auch nur ansatzweise zu entsprechen. Das Verhältnis ist vielleicht ein bisschen so, wie bei euch und den Models auf den Zeitschriftencovers, wobei denen ja die intellektuelle Ebene fehlt. Wir versuchen also eine Zeit lang und viel zu früh der Figur nachzueifern und betreten Bars, vielleicht sogar alleine, aber bestimmt weit weniger cool als vorgesehen. Wir bestellen Whisky in einer Pose, die wir für passend halten, die den Barkeeper aber lächeln lässt. Und dann, wenn die Eiswürfel klimpern und die Abendsonne durch die Fensterritzen ins staubige Innere der Bar spitzt…ist nichts. Wir sind wir, ob bei der Krankengymnastik oder im Schumanns, die Umgebung verändert uns nicht im erwünschten Maße. Tiefsinnige Gedanken stellen sich nicht ein, wenn die Kopfkamera ständig um uns kreist und versucht, Stilfehler zu vermeiden. Wir lesen da wie ihr die Tageskarte rauf und runter. Trinken den Whisky viel zu hektisch, so dass er nach vier Minuten schon leer ist. Der Barkeeper weicht unserem flehenden Blick aus. Die Spülmaschine dampft unfein und Frauen, die man mit einem gekonnt müden Blick streifen könnte, sind gerade aus. Dann rufen wir eben doch lieber einen Freund an. Und trinken doch lieber wieder Bier, im Stehen und im Eck. Alleine an der Bar ist einfach eine schwere Disziplin, für Jungs und Mädchen gleichermaßen, würde ich sagen. Es verlangt viel Selbstbewusstsein, obwohl man gar nichts machen muss. Es ist wie auf den Zehn-Meter-Turm klettern, einsam und von allen beobachtet. Das wirkt auch nur gut, wenn man es ansatzlos und ohne Zögern durchzieht. Also hin, hoch, vor und runter. Zack. Genauso ist es an der Bar: Hin, als ob es keinen anderen Platz gäbe, bestellen als wären alle anderen Getränke ungenießbar und dann runter, fallen lassen, sich in die Gedanken stürzen, die man schon lange diskutieren wollte und zwar mit sich. Die Ruhe und Rauheit die einem dabei hilft, hat man nicht als 20-Jähriger. Wenn der da sitzt und sein Leben oder auch nur den Tag überdenkt, wirkt das überwiegend affig. Einen 50-jährigen Mann, den lässt man unbesorgt da sitzen. Wir wachsen also eher rein, in diese Bar-Geschichte. Wobei es nicht immer die Deluxe-Hemingway-Variante sein wird, sonder viel öfter die Pilsstüberl-am-Eck-Version, die aber im Prinzip das Gleiche ist. Ich glaube aber, dass ihr nicht unbedingt hineinwachst. Eure beste Zeit an der Bar ist vermutlich schon eher jetzt und nicht in zwanzig Jahren. Es gibt im Grunde nichts, was uns wahnsinniger und wilder macht, als eine gute Frau an einer guten Bar. Vorausgesetzt eben, ihr macht es konsequent und mit der richtigen Portion Weltverachtung. Nur dann nehmen wir euch das Bargefühl ab – und lassen euch in Ruhe, knurren höchstens von Weitem. Wenn wir aber merken, dass ihr da nur so rumamselt und eure Unsicherheit durch die exponierte Lage noch verstärkt – dann kleben wir gleich links und rechts an euren Backen. Denn dann registrieren wir nur eine, die es nicht gewohnt ist, hier alleine zu sein und denken: Die ist verlassen worden! Die hat Streit mit dem Freund! Die ist auf der Suche! Hin! Spätestens dann müsstet ihr uns mit der Kantigkeit eines John Wayne abprallen lassen. Könnt ihr das? Wenn nicht, sucht euch solange einen Barkeeper der euch beschützt – oder geht doch zu zweit aus, so wie wir. max-scharnigg

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