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Die Madonna-Werdung des Kanye West

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1. So hat man eine Hiphop-Crew noch nie gesehen: In Sergeant-Pepper-Manier posieren Kanye und Band, knallbunt, mit Nerdbrillen, Leopardenjeans und Aktentäschchen wie aus Omis Antiquitätenladen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Das Foto wurde vor Kurzem in Paris während der Männermodenwoche geschossen und löste im Internet etwas aus, das einem Tumult glich. „Gay!“ schrien man in der Hiphopszene auf, 50 Cent eilte eifrig zur Seite und sekundierte mit einem homophoben Diss. Kanye West konterte: „Ich ziehe mich besser an als viele schwule Männer.“ Da er Homosexuelle als kreative und stil sichere Menschen kennengelernt hat, sei das Wort „schwul“ für ihn mittlerweile eher ein Kompliment. Ob sich Homosexuelle um Beistand von Kanye West freuen, dessen neue Flamme Amber Rose Gerüchten zufolge bisexuell ist, sei mal dahin gestellt. Andererseits kommt es ja nicht gerade oft vor, dass ein bekannter Hiphopper öffentlich Stellung gegen Homophobie bezieht. 2. Muskelhemd-tragenden Testosteronstieren à la 50 Cent missfällt das Treiben des Kanye West schon lange, treibt dieser doch seit Jahren eine Entwicklung im Genre voran, die nichts weniger ist als die Aufweichung der traditionellen Hiphop-Gesetze. Zu seinen Verdiensten zählt etwa, elektronische Musik dem Hiphop nahegebracht zu haben, wo Techno in den USA doch bislang ein trauriges Dasein am Rande der Aufmerksamkeit des Mainstreams fristete. Denn Kanye West ist mittlerweile für die afroamerikanische Hiphop-Community, was die Madonna für die 80er Jahre war: Revolutionär. 3. Neben der Obama-Familie übt derzeit wohl niemand einen so großen modischen Einfluss auf junge Afroamerikaner aus wie Kanye. Er verändert das Aussehen des Hiphop. Baggyhosen und Bling-Bling verschwinden und machen dafür Platz für schmale Hosen und gut geschnittene Hemden. Seit kurzem kursiert sogar eine neue Wortschöpfung über dieses Phänomen. Es nennt sich „Blipster“, black hipster. 4. Kanye West nennt sich selbst den „hellsten Stern im ganzen Universum“. Eine bescheidene Natur kann man ihm nicht gerade zusprechen. Eines ist er aber garantiert nicht: Dumm. Im Gegenteil. Derzeit gibt es wohl niemanden im Popgeschäft, der das Spiel auf der Klaviatur der Selbstinszenierung so virtuos beherrscht wie Kanye West. Unermüdlich feilt er daran, dem Idealtypus des zeitgenössischen Mannes zu entsprechen, der sich mit Begeisterung um Fragen des schönen Scheins kümmert. 5. Kanye West hat aus seiner Person eine umspannende Lifestyle-Marke gemacht. Wie Madonna schaut er weiter über den Tellerrand als alle anderen Kollegen. Das Ziel: Kanye West in allen ästhetischen Disziplinen zu verankern. Das möglicherweise größte existierende männliche Fashionvictim, der nur noch auf Modeschauen abzuhängen scheint, meint es wirklich ernst: Vor kurzem erst hat er sich für ein unbezahltes Praktikum bei Designer Raf Simons beworben. Hier bloggt Kanye recht fachkundig über ein anderes Steckenpferd: Architektur und Produktdesign. Auf der nächsten Seite: Wo der hellste Stern im Universum seine Ideen findet.


6. Auf seinem aktuellen Album „808s & Heartbreak“ wurden nahezu alle Vocalparts durch einen Verzerrer gejagt. Böse Zungen behaupten deshalb, man habe bei der Produktion Kanye eine Roboterstimme verpasst, damit sein eher beschränktes Raptalent nicht auffällt. Kennt man irgendwo her: Madonna hat auch noch niemand nachgesagt, besonders gut singen zu können. 7. Das macht Kanye West mit anderen Eigenschaften wett: Mit übersteigertem Ehrgeiz, einem zur Selbstüberhöhung neigendem Ego und… 8. … der Fähigkeit, neue Popströmungen in Windeseile zu absorbieren. Kanye transportiert diese aus der Subkultur in den Mainstream und bringt gleichzeitig das Kunststück fertig, dabei als künstlerischer Urheber dazustehen.

9. Ähnlich wie Madonna, die zu ihren goldenen Zeiten fälschlicherweise als Innovatorin neuer Trends gesehen wurde, liegt auch hier eigentlich ein Missverständnis vor. Für die neuen eklektischen Einflüsse im Hiphop zeichnet sich eigentlich ein anderer verantwortlich. Und zwar André 3000, dessen Album „The Love Below“ neue Genremaßstäbe setzte, bevor Kanye sein erstes Album veröffentlichte. Übrigens wurde André 3000 auch schon vor Jahren vom Männermagazin „Esquire“ schon zum best gekleideten Mann der Welt geehrt 10. Fazit: Kanye erfindet nichts Neues. Aber er ist der cleverste Early Adopter weit und breit. Zu den Vorbildern in seiner Jugend befragt, antwortete Kanye West neulich, seine Stilikone sei Carlton Banks aus „Der Prinz von Bel-Air“ gewesen. Falls jemand sich nicht mehr an ihn erinnert: Carlton war jener Paradeschüler der Familie, der immer seinen Pulli über sein Polohemd legte. Ein Streber aus gutem Hause; wie Kanye West.

Text: xifan-yang - Foto: Jakandjil.com

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