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Mies aufgelegt: Erdem Tunakan auf der Popkomm

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Meinen schlimmsten Abend als DJ habe ich Ende der 90er Jahre auf der Popkomm in Köln erlebt: Die Party fand open air auf dem Gelände einer aufgelassenen Fabrik statt. Plattenspieler, Verstärker und Mischpult hatten die Veranstalter auf eine alte Eisenbrücke gezwängt, die eine Fabrikhalle mit der anderen verband, und höchst baufällig wirkte.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Patrick Pulsinger & Erdem Tunakan Schon der Aufstieg hatte etwas von einem Abenteuer-Parcours: Ein Nachtwächter führte mich im Schein seiner Taschenlampe über ein verwinkeltes Stiegenhaus zum DJ-Pult. Überall riesige Rostlöcher. Man musste den Fuß sorgfältig aufsetzen, um nicht plötzlich durch den Boden zu krachen. Und das Teil wackelte auch noch bei jedem Schritt... Ein höchst luftiger Arbeitsplatz. Hier würde ich ohne fremde Hilfe nicht mehr so leicht wegkommen. Getränke für den DJ? Fehlanzeige! Das nächste Klo? Nur unter Lebensgefahr zu erreichen. Aber warum sich Sorgen machen? In zwei Stunden – so hieß es - sollte ich abgelöst werden. Ich stand mehr oder minder im Dunkeln, war als DJ so gut wie unsichtbar. Immerhin hatte ich ein euphorisches Publikum weit unter mir: Also zündete ich einen Kracher nach dem anderen: Ideal auf Kurtis Blow, Mixmaster Morris auf Liaisons Dangereuses. Auch wenn niemand so recht wusste, woher der Sound kam, tanzten die Leute wild, ihre Stimmung schien mit fortschreitender Uhrzeit immer ausgelassener. Während mein Barometer stetig am Sinken war. Nach drei Stunden noch immer keine Ablöse in Sicht! Dabei hatte ich Durst. Und musste dringend mal entwässern. Aber DJ-Ehre ist DJ-Ehre. Also noch ein New Wave-Schlager auf den Plattenteller gehievt. Und noch eine HipHop-Partynummer hinterher. Und immer ein Auge suchend auf das dunkle Loch am Ende der Brücke gerichtet. Hatten die mich hier wirklich vergessen? Die Beine schmerzten vom ständigen Balancieren zwischen den Roststellen. Dreieinhalb Stunden. Vier Stunden. Viereinhalb Stunden. Handy besaß ich damals noch keines. Und selbst wenn ich die Anlage heruntergefahren hätte – bei dem Partylärm hätte mich unten niemand hören können. Fünf Stunden. Und Schüttelfröste. Wegen dem Zugwind. Vielleicht auch aus Angst, hier oben übernachten zu müssen: Fünfeinhalb Stunden: Mir gehen die Songs aus. Also die Platten vom Anfang des Sets noch mal auflegen. Und bloß nicht an das Schlimmste denken. Endlich! Der Lichtkegel einer Taschenlampe. Und ein Nachtwächter. „Solltest du nicht schon längst abgelöst werden?“ Ich klammere mich an den Mann wie ein Ertrinkender ans Rettungsboot. Genug balanciert für heute. Und in Zukunft nur noch mit gesicherten Fluchtwegen auflegen! Foto: cheap records

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