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"Musik ist nicht dazu da, von jedem gemacht zu werden."

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Sie haben in der jetzt.de-Kolumne „Mies aufgelegt“ einmal von Ihrem übelsten DJ-Erlebnis erzählt. Erinnern Sie sich an den glücklichsten Moment Ihrer Karriere?  
Letztes Jahre bekam ich während eines Trips durch Südafrika einen Anruf von Nelson Mandelas Enkel: Sein Großvater wollte mich treffen. Ich zweifelte bis zuletzt, ob ich einem Scherz aufgesessen war. Bevor ich zu ihm durfte, musste ich bewaffnete Leibwächter und einen Metall-Detektor wie auf einem Flughafen passierten. Dann kam ich in sein Zimmer:  Da saß der alte Mann, vollkommen entspannt, in der Zeitung blätternd. „Hereinspaziert!“ Puh, ich wusste auf einmal nicht mehr, wohin ich meinen Fuß setzen sollte....  

Weil Sie es nicht glauben konnten, dass ein weltberühmter Staatsmann einen DJ empfängt?  
(Lacht) Nun es war eher so, dass der Enkel seinen Großvater als Faustpfand ins Spiel führte, um endlich sein DJ-Idol zu treffen. 

 DJs sind also – zumindest für junge Menschen - immer noch das Größte?
 Für mich war das als Jugendlicher defintiv so.Ich kam zwar aus Houston, aber besuchte öfters meinen Großvater in New York. Dort sah ich in den Supermarkt-Arkaden zum ersten mal B-Boys tanzen. Ihre Moves waren verdammt cool, aber dann erst die Musik: Der DJ spielte „Supersperm“ von Captain Sky, und wiederholte diesen einen Part der Platte, zu dem ich tanzen wollte, zog den Höhepunkt immer weiter in die Länge. Daheim in Texas erzählte ich allen meinen Klassenkameraden davon.

Heute kratzt das digitale Zeitalter kräftig an der DJ- Aura. DJs gelten kaum noch als Schrittmacher des kulturtechnischen Fortschritts, sondern eher als auswechselbare Klangproduzenten für Kaffeebars wie Kinderparties.
 Ich komme aus einer Zeit, als man noch zum DJ aufblickte. Wir waren nicht nur diejenigen, die HipHop  - die Rapper holten wir erst später dazu - aus der Taufe hoben. Der MC hat auch immer den DJ vorgestellt, ihm kleine Fenster gelassen: Hört mal wie mein DJ diese Platte auseinander nimmt, tschumm, tschutschutschumm.
Wenn DJs heute nicht mehr so viel Respekt bekommen, dann sind sie auch selber dran schuld. Sie haben vergessen, dass ihr Job mehr sein kann als das Aneinanderreihen von Songs. Dass auch Scratchen dazugehört, der Ehrgeiz, seine eigenen Beats zu basteln, oder auch eine frische Radioshow zu produzieren.  

Sie halten dagegen die Tradtion des Allround-DJs am Leben.Was unterscheidet den DJ noch vom Unterhaltungs-Dienstleister?
Das gleiche, was Jazzmusiker von bloßen Muckern unterscheidet. Wir DJs stehen in der Tradition von Thelonious Monk und Miles Davis. Jazzmusik gab den Menschen eine ungeheure Freiheit, die selbe Freiheit, die DJs genutzt haben, um neue Techniken und Klang-Collagen zu entwickeln. Allerdings sind die DJ-Erfindungen, die die Popmusik revolutionierten nun doch schon fast so alt wie Monk und Miles. Jazzer genau wie Old-School-HipHopper scheinen heute vor allem überkommene Spielweisen zu konservieren.

 Ist  etwas Schlechtes daran, Qualitäts-Standards zu bewahren?
Deswegen mache ich doch Platten: Um diese Sorte Musik zu konservieren, die ich mit HipHop verbinde. Damit die Musik in alle Richtungen offen bleibt, die DJs ihre Wurzeln nicht vergessen. Irgendwann wird das Pendel zurückschlagen: Dann bin ich jemand, der die Blaupausen liefern kann.

 Sie gelten als Verkörperung des authentischen HipHop-Sounds. Kommen Sie da nicht manchmal in eine onkelhafte Rolle, die junge DJs und Produzenten ausbremst?
Sehen Sie, was ein DJ mit zwei Plattenspielern und einem Mixer anstellen kann, das ist heute alles schon angestellt worden. Also geht es mir vor allem um eines: Dass der Funk nicht verloren geht. Dass James Brown, Bootsy Collins, George Clinton, Prince, Rick Rubin und Marley Marl im Mix bleiben.

 Aber hängt der Funk denn auch davon ab, dass man den ganzen alten analogen Geräte-Kram einsetzt? Die meisten Produzenten sind doch längst viel weiter.
Nein, für mich gibt es da keinen Unterschied zwischen DJ und Produzent. Für beides nutze ich Vintage-Ausrüstung, etwa einen MPC 60 Sampler und die alten Pads, die ich schon in den 80er- und 90er-Jahren spielte. Fortschritt kommt nicht aus neueren Geräten. Sondern aus dem Kopf des Produzenten. Lass mich deinen Arsch mikrofonieren, und ich mach dir einen geilen Beat daraus.

Mit Computer-Programmen wie „Tractor“ können heute auch Anfänger sauber mixen.
Klar, jeder kann einen Beat halten und eine heiße Platte spielen. Aben wenn du als DJ Soul haben willst, musst du die Musik studieren und mit ihr wachsen. Es gibt genug DJs die zwar technisch gut sind, aber noch längst keine Party rocken können. Es geht nicht darum, wie ich 50 000 Vinylscheiben im Plattenschrank zu haben, sondern um das Wissen, wer dir die Gleise gelegt hat, um die Neugier, was deine Idole gehört haben: Jeder DJ sollte zumindest einen Song von Duke Ellington, John Coltrane, Miles Davis, Sly Stone und George Clinton kennen.

Lange Zeit galt es als exklusives Markenzeichen eines DJs, möglichst viele seltene Platten und einen originellen Geschmack zu besitzen. Heute kann sich jeder die Raritäten von russischen Webseiten herunterladen.
Das ändert für mich rein gar nichts: Die Tatsache, dass du Songs auf deinem Rechner hast, heißt noch lange nicht, dass du sie richtig einsetzen kannst. Alle DJs mögen etwa „Rappers' Delight“ besitzen – aber nicht alle haben das Wissen: Dass ich diesen Song vor diesem Song spielen muss, dass ich vor jener Platte drei Sekunden Stille brauche, und in die dritte kurz vor dem Break einsteige. Das gibt es nirgends nachzulesen.

Sie sehen das DJ-Sein immer noch als elitären Beruf?
Musik ist nicht dazu da, von jedem gemacht zu werden. Einige Leute sollten sich besser darauf beschränken, zuzuhören, CDs und digitale Alben zu kaufen.

Haben Sie selbst jemals mit digitalen Systemen gearbeitet?
Tractor habe ich noch nicht ausprobiert, aber heute abend werde ich mit (dem Computer-gesteuerten) Serrato-System auflegen.

Ich dachte, von Festplatte aufzulegen, wäre unter Ihrer Würde?
Keine Frage: Eine Menge Serrato-DJs würden auf einer Vinyl-Only-Party kläglich abkacken. Außerdem werde ich es vermissen, die Platten in die Hand zu nehmen und zu wechseln.

Warum benutzen Sie dann diese Technologie überhaupt?
 Ich hatte meine Zweifel, aber dann sagte mir mein Freund Grandwizard Theodore (der in den 70er Jahren das Scratching erfand): Serrato ist die Belohnung dafür, dass du dein Leben lang Platten geschleppt hast, du dir die Beine mit den Kisten aufgeschürft hast, dir die Finger verstaucht hast, während du deine Ausrüstung irgendwelche Treppen hochgewuchtet hast, um dich am Ende in ein Auto auf den Schoß eines Mit-DJs zu quetschen, weil der Rest mit Koffern vollgepackt ist. Wir haben das lange so gemacht, weil es keine Alternativen gibt.Jetzt sehe ich Serrato als Geschenk.

 Da werden eine Menge Digital-DJs aufatmen.
Aber nicht alle! Ich denke jeder sollte – wie beim Kauf einer Kreditkarte oder eines Autos – erstmal einen Bonitäts-Check durchlaufen: Ich will Serrato kaufen! Okay, wieviele Platten besitzt du? Öhm, so um die vierzig... Nein, tut mir leid, abgelehnt. Der nächste bitte: Ich möchte Serrato kaufen. Hast du schon davor als DJ gearbeitet? Ja, zwei Jahre lang. Zwei Jahre nur? Lass dich hier nicht mehr blicken! Der nächste bitte: Hast Du jemals deine Plattenkisten getragen? Dann lass mich deine Schürfwunden und gebrochenen Fingernägel sehen. Und was ist mit dir, du legst Techno und Elektro auf? Okay: Nenne mir drei elektronische Platten aus den 80er Jahren. Du kennst nicht Kraftwerk und Cybertron? Tut mir leid, kein Serrato! Nur so können wir die Tradtion aufrecht erhalten.             

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