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Warum ich meinen Eltern jede Woche ein Mixtape schenke

Illustration: Katharina Bitzl

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Meine Eltern hören keine Musik. Nicht zu Hause, nicht beim Sport, nicht im Auto. Zumindest keine, die sie selbst auf­legen. Irgendwann in den vergangenen zwanzig Jahren ist ihr Tape im Kassettendeck hängen geblieben. Seitdem leiert nur noch dasselbe Gedudel vom Band. Wenn überhaupt.

Dabei beginnt meine früheste Erinnerung an Musik mit dem alten Audi meines Vaters; dem Geruch von sommerwarmen Ledersitzen und Aaliyah oder den Stones aus den Boxen. Heute liegen Papas Platten und CDs auf dem Dachboden, und man kann mit dem Finger Linien in den Staub auf Isaac Hayes’ Gesicht malen. Nostalgie, gepresst in Plastik.

Würde man sie frei pusten von den Flusen und sie noch mal einlegen in die Anlage, ja, nicht in den CD-Player, sondern in eine Anlage mit Verstärker und Kleinwagen- teuren Boxen, dann würde man auf melancholischste Art durch das Fotoalbum im Kopf meiner Eltern blättern: Mit Dylan zurück zu dem Moment, als ihr Freund Karl bei seinem 30. Geburtstag besoffen vom Stuhl kippte. Mit Mick Jagger in die Zeit, als man mit dem klapprigen Opel durch die Toskana juckelte und „Satisfaction“ aus dem Schiebedach dröhnte. Mit Hannes Wader nach Gorleben, Kalka, und Brokdorf. Anketten an irgendwas. Für irgendwas.

Heißt nicht genau das, jung zu sein und zu brennen: Musik körperlich fühlen?

Nun sind die CDs gestapelter Müll, dessen Gesamtspiellänge locker auf einen mittelgroßen USB-Stick passt.

Ein paar Tage nach Silvester aßen wir dann zusammen. Grünkohl aus dem Eisfach, grobe Mettwurst, Kartoffeln. Ich stocherte – im Essen und in der Formulierung meiner Frage. „Warum bedeutet euch Musik nichts?“ Denn da war doch mal mehr. Irgendwo zwischen „Heute hier, morgen dort“, „Songs in A Minor“ und „Frère Jacques“ war ihnen etwas abhanden­gekommen. Bei scheppernden Snare-Drums, Gitarrensoli und selbst im Gute-nachtgesumme klang doch auch bei ihnen mal mehr mit als nur ein Song. Heute laufen Lieder längst nur noch als Beiwerk im Radio. Zufällig. Passiv. Der Soundtrack wurde zum Hintergrundrauschen. 

Bei mir summt dieser Sub-Ton noch mit. Musik kriegt mich. Kopfnicken, mitwippen, ja sogar Rentnerschnippen kommt vor. Und heißt nicht genau das, jung zu sein und zu brennen: Musik körperlich fühlen, tanzen beim Kochen, Texte googeln und mit ihnen beim Autofahren aus dem Golf 4 von meiner Oma andere Verkehrsteilnehmer anrappen? „SL Benzer und so / die Felgen aus Chrom, der Lack frisch Carbon.“ Und wird man nicht genau dann bedrohlich alt, wenn Abende im Freundeskreis nicht mehr regelmäßig in „Hör-dir-das-mal-an-Sessions“ ausarten, in denen wild durch YouTube und Spotify-Listen geklickt wird? Weil: Manchmal gibt es doch Dinge, die zu unfassbar gut sind, um sie nicht sofort allen zu zeigen. Und ganz oft sind diese Dinge doch Musik. Eigentlich immer.

 

Die Antwort meiner Eltern war pragmatisch. Sie wüssten zwar nicht, wo sie ihr Interesse für Musik verloren hätten, aber ich solle ihnen doch mal einfach schicken, was ich gut fände. Sie würden sich das dann anhören.

 

Seitdem schicke ich meinen Eltern „Musik­listen“. Meistens sonntags. Immer mit Datum. Fünf bis zehn Songs, die mir etwas bedeuten. Die mich aufwühlen, entspannen, irritieren, antreiben oder eben einfach so unerklärbar gut sind.

 

Und ich schreibe ihnen kleine Er­klärungen, Fragen oder Hinweise zu den Songs. Versuche, meine Faszination hinter einem Lied runterzubrechen. Oder den Künstler einzuordnen. Zum Beispiel den britischen Rapper Stormzy: „Er ist Ver­treter einer aktuell sehr beliebten ‚Art‘ des Rap: Grime. Das ist ein eigener Stil zu rappen und maßgeblich von britischen Künstlern geprägt.“ Oder über Anderson .Paak und Mac Miller: „Multitalent Anderson .Paak hatten wir hier ja schon mal ver­treten. Bis auf seinen Nasenring ist der auch gut angekommen. Bei ‚Dang!‘ trifft der aufstrebende Stern auf den längst ver­superstarten Mac Miller. Tut beiden gut.“

 

Mama hört die Musik meistens an ihrem alten Computer. Und Papa über Kopfhörer auf seinem Handy, wenn er auf der Terrasse sitzt und Zigarre raucht. Nach dem Hören schreiben sie mir ihre Meinung zu den Titeln. Zu „Bianco“ von Yung Hurn feat. Rin zum Beispiel: „Das Video ist ekelig. Ohrwurm ja, aber nur beim ersten Mal. Beim zweiten Mal geht der mir gehörig auf die Zwiebel.“ (Mutter) Und: „Oh – unglaubliche Assoziationen: russische Birkenwälder, überfall der Nazis auf die Sowjetunion, Partisanen, die gejagt werden, Blut auf Baumrinde bilden die Bilder für dadais­tische Beziehungslyrik auf eingängigen Beats. Verstörend.“ (Vater)

 

Musik verbindet Menschen. Warum nicht auch Kinder mit ihren Eltern?

 

Oder sie fragen mich was: zum Trap-Hit „Panda“ von Desiigner, den sie „nervig“ und „irgendwie zugedröhnt“ finden, vielleicht etwas wie: „Was heißt eigentlich ‚Black X6, Phantom / White X6, killin’ on camera‘?“ Und: „Frage an den Profi: Wie lyrisch ist denn der Text?“

 

Und dann diskutieren wir. Ich ver­suche zu erklären, wo die Faszination bei Yung Hurns dadaistischem Gesabbel ist, warum ich Ta-ku am liebsten auf der Autobahn höre und wieso Kanye West kein Vollidiot ist. Und sie überraschen mich. Nicht nur weil meine Eltern sich das tatsächlich alles reingezogen haben, sondern auch, weil da wohl noch etwas ist unter den verstaubten Plattencovern: Gespür für Melodien und Texte. Und harte Kritik. Zu „Addis läuft“ von Max Herre und Samon Kawamura schreibt mein Vater: „Das ist so: Ich bin der große Afrika-Versteher. Sieh mal, die können sogar laufen, und singen können die auch. Nee, das ist mir zu viel Neokolonialismus. Äthiopien braucht was anderes als Max-Herre-Songs.“

 

Vor ein paar Wochen bin ich dann wieder mal nach Hause gekommen. Aus den Boxen der Anlage, nicht aus dem CD- Player, aus der Anlage, tönte einer meiner Lieblingssongs. In der Küche stand eine entkorkte Flasche Weißwein, und meine Mutter tanzte barfuß auf dem Wohnzimmerparkett.

 

Das ist erst mal merkwürdig. Aber dann auch sehr, sehr schön. Um mal die Werbetexter-Pathoskeule rauszholen: Musik verbindet Menschen. Warum dann nicht Kinder mit ihren Eltern?

 

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