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Warum ich mir den Kleiderschrank mit meiner Mama teile

Illustration: Lucia Götz

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Klassischerweise sehe ich meiner Mutter ähnlich. Sogar sehr ähnlich, so dass auch meine langjährigen Freundinnen in regelmäßigen Abständen zu mir gerannt kommen und dann euphorisch etwa sowas erzählen: „Ich hab deine Mama vorhin getroffen. Boah, ihr seid einfach so gleich, soooo gleich! Einfach alles, Lachen, Mimik, Gestik, was ihr so erzählt, wie ihr’s erzählt.” So weit nichts Neues, denke ich dann. Seit etwa drei Jahren kommt aber manchmal noch so ein Satz hinterher: „Ach ja, und sie hatte übrigens deine blaue Bluse an.” Dann lächel ich und denke, dass es witzig ist, dass sie die Bluse nochmal angezogen hat, obwohl ich die letzte Woche auf einem Sommerfest schon vollgeschwitz und danach nicht in die Wäsche getan habe.

Denn während ich so einige Schwesternkonstellationen kenne, die regelmäßig ausflippen, wenn die jeweils andere ihre Sachen anzieht, haben meine Mama und ich einen gewissen Kleiderkommunismus eingeführt. Dabei rotieren Klamotten aus meinem Schrank an den Körper meiner Mutter und dann (oft) in die Wäsche. Nach dem Waschen landet das Teil sogar möglicherweise statt in meinem in ihrem Schrank. Und das ist voll okay, weil es sich andersrum genauso verhält. Man kann sich einfach alles zurückklauen.

Dieses familieninterne Second-Hand-Konzept hat sich mittlerweile sowohl aus ökonomischer als auch ökologischer Sicht als praktisch erwiesen. Eigentlich hat es nur angefangen, weil ich keine Schwester und oft weder Zeit, Lust noch Geld habe, mir was Neues zu kaufen. Und meine Mama hat die Gelegenheit genutzt und sich revanchiert. Der Vorteil ist offensichtlich: Die Auswahl ist einfach größer. Wenn man im eigenen Schrank mal wieder nichts zum Anziehen findet, gibt es da noch einen zweiten Schrank, in dem sich eventuell doch noch etwas passendes finden lässt.

Das alles funktioniert natürlich nur, weil wir die gleichen Größen haben: Wir sind nahezu gleich groß und seitdem ich von einer Reise ein paar mehr Kilos (nicht im Koffer) mitgebracht habe, haben wir auch ziemlich genau die gleiche Kleidergröße. Nur ihre Hosen sind mir dann doch ein kleines Stückchen zu weit, aber so bekommen halt die Mom-Jeans eine wortwörtliche Bedeutung.

Als ich klein war, war das ganz anderes: Ich fand alles, was meine Mutter für mich kaufte, schrecklich und wollte immer statt Sommerkleidern die wildesten Klamotten, am besten abgeranzte T-Shirts von meinen Brüdern, tragen. Und weitestgehend haben mich meine Eltern auch gelassen. Jetzt frag ich sie, wenn mal wieder ein Bild von mir in den sonderbarsten Klamotten auftaucht, warum sie mir bitte ein paar Sachen nicht verboten haben. Während dann in der Antwort immer Phrasen wie „wichtig für die Entwicklung”, „eigener Stil” und „was du sonst für einen Aufstand gemacht hättest” auftauchen, frage ich mich, ob sie mich da nicht manchmal besser vor mir selbst hätten schützen sollen.

Selbstverständlich bin ich auf genau die Teile, die ich eigentlich nicht anziehen darf, besonders scharf

Mittlerweile bin ich diejenige, die meine Mama – zumindest aus meiner Perspektive – vor ein paar modischen Fehltritten bewahrt. Meistens sind es dann nicht neu gekaufte, sondern alte Sachen, die sie von ganz unten aus dem Schrank oder Keller zieht, schon längst hätte aussortieren sollen und trotzdem einen kühnen Versuch startet, das karierte Schulterpolsterjackett „neu aufzupeppen”. Klappt eher selten.

Trotz aller Gemeinsamkeiten gibt es natürlich auch noch ein paar verbotene Kleidungsstücke: Selbstverständlich bin ich dann auf genau die Teile, die ich eigentlich nicht anziehen darf, besonders scharf. Wie das halt mit Verboten so ist. Aber ich halte mich natürlich daran.

Um genau zu sein so lange, bis meine Eltern für ein paar Tage wegfahren. Und dann verhält es sich ein bisschen wie früher, wenn ich heimlich fern geschaut habe und die Fernbedienung im Nachhinein wieder genauso hingelegt habe, wie sie davor da lag, damit es nicht auffällt. Ich merke mir also, wo ich das Kleidungsstück rausgezogen habe und drapiere es später wieder genauso hin. Das geht soweit, dass ich meiner Mutter manche Fotos nicht zeigen kann, weil mir in letzter Sekunde auffällt, dass ich ihre mir verbotene Jacke anhatte. Aber wirklich gut ist meine Mama in solchen Verboten eh nicht, denn irgendwann ist das Teil sowieso nicht mehr so neu und sie hat es eh nicht so oft an und dann fällt ihr gar nicht mehr auf, dass ich es eigentlich nicht anziehen darf.

Meine Sachen darf sie theoretisch alle anziehen. Die Sachen von denen ich nicht wollen würde, dass sie sie anzieht, sind ihr meistens eh zu durchsichtig oder zu kurz.

Wenn ich Freundinnen frage, warum es eigentlich zwischen ihnen und ihren Schwestern mit dem Klamottentausch nicht klappt, heißt es meistens, dass die andere die Sachen oft ausgeleiert, mit Flecken drauf oder gar nicht zurückbringen würde. Vielleicht funktioniert es bei uns unter anderem so gut, weil wir solche Kleinigkeiten sehr schnell verzeihen. Klar ärgert man sich kurz, zumal man beispielsweise den Fleck nicht mal selbst verschuldet hat, aber wir sind uns eben in noch einer Sache ähnlich: Essen ohne zu tropfen können wir beide schlecht.

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