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Weg mit den „lustigen“ Socken!

Bunte Socken, wie sie auch Trudeau schon trug, findet unser Autor höchstens scheinindividuell.
Foto: Canadian Press/Rex/Shutterstock

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Wer in den Neunzigerjahren jemals das Glück hatte, dem Firmenfest eines Kleinunternehmens beizuwohnen, sollte das Prinzip eigentlich kennen: Der Chef, auch bei 30 Grad im Nadelstreifen, ist heute mal locker drauf. Die erste Bratwurst wendet er sogar noch selbst, dann hüpft er von Tisch zu Tisch, bisschen plaudern. Um dabei einen Kumpeleinstieg zu finden, hat er sich zuvor das Accessoire aus der Hölle um den Hals gebunden: Die „lustige“ Krawatte, bedruckt mit Fischen, Tetrismuster oder, Schlimmstfall, dem durch geschmacksbefreite Farbgebung entstellten Firmenlogo. Wer nun jemals ein solches Objekt vor sich baumeln gesehen und um Worte oder auch nur ein gestelltes Lachen aus den Untiefen seiner Verunsicherung gerungen hat, der weiß: Der Gipfel der Spießigkeit ist der ironische Bruch mit ihr selbst.

Die lustige Krawatte ist mittlerweile Geschichte, der Chef möglicherweise auch. Aber mit Günter Grass gesprochen ist es mit der Geschichte, und leider eben auch mit der Mode, wie bei einem verstopften Klo: „Man spült und spült, die Scheiße kommt trotzdem hoch“ – womit nun weiß Gott nicht der Chef gemeint ist, sondern der Hang dazu, die maximalkonforme Anzug-Uniform durch ein Stück Stillosigkeit zu veredeln. Heutzutage trägt der Mann ohne Eigenschaften dieses aber nicht mehr um den Hals, sondern am Fuß. Kaum war die lustige Krawatte ein Gegenstand von Hohn und Spott geworden, kam der knallbunte Nachfolger mit voller Wucht nach oben gejagt: Hallihallo, ich bin's, die „lustige“ Socke! 

„Ihr denkt vielleicht, ich bin ein Langweiler geworden, aber hey, würde ich dann solche Socken tragen?“

Ein Unternehmen aus Schweden hat daraus ein Geschäftsmodell entwickelt, es begann damit, seine „happy socks“ im Sechserpack an den Mann – oder aber die Frau – in der Stil-, Quarter- oder Midlife-Crisis zu bringen. Seitdem sieht man immer mehr Menschen mit sinnfreien Sprüchen an den Sohlen: „If you can read this“, sagt der eine Fuß, „bring me a beer“, sagt der andere. Grinsende Fratzen, mürrische Katzen, skelettierte Stinkefinger: Die Auswahl steckt knöcheltief im Klischee.

Der Mechanismus, über den hier die vermeintliche Lustigkeit entstehen soll, entspricht etwa dem von kopulierenden Vorgartenzwergen: Ihr denkt vielleicht, ich bin ein Langweiler geworden, aber hey, würde ich dann solche Socken tragen? Die ehrliche Antwort lautet, und das ist das Traurige: Ja, eben deshalb! Auf den durch und durch marktkonformen Konsum-Menschen wirken die Socken vielleicht wie ein Fashion-Statement gegen den monochromen Alltag aus Büro und Flatscreen-TV. In Wirklichkeit ist die dadurch zum Ausdruck gebrachte Unangepasstheit in etwa so wild wie der Firmenausflug im Hochseilgarten - nicht mehr als domestizierte Simulation. So plump wie Bauchladenverkäufe beim Junggesellenabschied. Und, in aller Klarheit: Nicht. Witzig.

Von dieser Lehre sind die Spaßstrumpfmenschen allerdings weit entfernt. Schließlich erhalten sie am Ende meist noch die gewünschte Bestätigung. Ein „das sind ja witzige Socken!“ fällt im Zweifelsfall eben doch leichter, als ihrem Träger die Wahrheit zu sagen.

Dieser Artikel wurde zum ersten Mal am 3. August 2017 veröffentlicht und am 9. Dezember 2020 noch einmal aktualisiert.

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