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„How to be Österreich“

Foto: Paul Urban

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Was macht einen wahren Österreicher aus? Welche Werte sind ihm heilig? Das klärt das Handbuch „How to be Österreich: Der Werteguide für Integrationswillige“ (Milena Verlag). In kurzen Texten wird darin abgehandelt,  was echt österreichisch ist – von „Alkohol“ und „Alufolie“, über „ewiger Nazi“, „Freunderlwirtschaft“ „Heimat“ und „Neid“, bis hin zu „Proporz“, „Tod“ und „Walzer“. Und der Bedarf an eindeutiger Werte-Aufklärung scheint hoch zu sein: Nur etwas mehr als zwei Monate nach der Veröffentlichung ist die erste Auflage des Buches schon vergriffen und die zweite gerade in den Handel gekommen. 

Verfasst wurde der Guide, der sich laut Eigenbeschreibung unter anderem an „Flüchtlinge, MigrantInnen, Neuzuwanderer, Tourist*innen, Piefkes, Saisoniers“ und Felix Baumgartner richtet, vom österreichischen Satire-Kombinat „Hydra“. Maximilian Zirkowitsch, 32, ist hauptberuflich Sozialarbeiter in der Flüchtlingshilfe in Wien, Hydra-Mitglied und Co-Autor des Buches. Kurz vor der anstehenden Neuwahl des österreichischen Bundespräsidenten hat Maximilian uns erzählt, warum „How to be Österreich“ geschrieben werden musste, was er gegen den Begriff „Realsatire“ hat und warum Norbert Hofer seine Anhänger enttäuschen wird.

Jetzt: Wenn ich euer Buch lese, bekomme ich den Eindruck, dass der Österreicher ein träger Grantler ist, der gerne Leberkäse mag, und will, dass alles so bleibt, wie es ist. Wolltet ihr dieses Bild vermitteln?

Maximilian Zirkowitsch: Wir versuchen eigentlich gar nicht, den Österreicher an sich zu beschreiben, weil es den ja sowieso nicht gibt. Das Buch ist eher eine Art Liebeserklärung an die Unzulänglichkeiten, die dieses Land und unsere Gesellschaft ausmachen. Und wir kultivieren dieses Bild vom schlampigen, etwas faulen Volk ja auch ganz gerne – gerade die Deutschen denken ja mit Vorliebe so von uns und kommen dann her, machen Urlaub und kaufen die Sachen, die hier produziert werden. 

Welchen „Wert“ aus dem Buch magst du am liebsten?

Ich mag den Wert der „Gleichheit“, wie wir ihn interpretiert haben, sehr gerne (Zitat: „Gleichheit: Spezielle österreichische Zeitform zwischen Gegenwart und Zukunft. Die Ankündigung, dass etwas ‚gleich’ geschehe, verweist auf einen scheinbar naheliegenden Zeitpunkt, der dann aber nie eintritt.“ Anm. d. Red.). Und die ‚Höflichkeit‘ als das Gegenteil von Freundlichkeit (Zitat: „Es wird Ihnen hier bei uns bald auffallen, dass eingeborene ÖsterreicherInnen unfreundlich und höflich zugleich sein können. Das manifestiert sich in der Frage: ‚Host a Problem?‘ Anm. d. Red.). Wenn ich einen Unterschied zwischen Deutschen und Österreichern benennen müsste, dann den, dass die Deutschen freundlich und die Österreicher höflich sind. Deutsche sind oft sehr direkt und ehrlich – das ist zwar sehr freundlich, aber auch extrem unhöflich. 

Warum braucht es euren „Werteguide“ für Österreich?

In Österreich wird viel über Flüchtlinge und Integration diskutiert und dabei ist ständig von „Werten“ die Rede, die man hier vertreten müsse. Jeder hat dazu was zu sagen, sogar die katholische Kirche hat eine eigene Werte-Fibel rausgebracht, und zuletzt haben das Innen- und das Außenministerium Broschüren mit österreichischen Werten veröffentlicht. Und wenn sich Behörden anschicken, dem Volk zu erklären, wie es ist und welche Werte es teilt, ist das ja praktisch ein Auftrag für die Satire. Dieses Feld darf man ihnen nicht einfach alleine überlassen!

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Aus dem Buch "How to be Österreich"

Abbildung: Milena Verlag
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Aus dem Buch "How to be Österreich"

Abbildung: Milena Verlag
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Aus dem Buch "How to be Österreich"

Abbildung: Milena Verlag
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Aus dem Buch "How to be Österreich"

Abbildung: Milena Verlag
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Aus dem Buch "How to be Österreich"

Abbildung: Milena Verlag

Was steht in diesen Broschüren so drin?

Zum Beispiel, dass Homosexuelle in Österreich nicht diskriminiert werden. Was so nicht stimmt: Homosexuelle dürfen zwar Kinder adoptieren, aber nicht heiraten. Man lügt sich also in die eigene Tasche und es findet keine Auseinandersetzung mit den eigenen Diskriminierungsstrukturen statt. Stattdessen wird unterstellt, dass „der Flüchtling an sich“ sexuell übergriffig ist oder Homosexuelle diskriminiert. Manche Sachen sind aber auch bloß zum Schmunzeln. 

 

Zum Beispiel?

In einem Leitfaden steht „Mülltrennung“ mit drin. Ist ja auch wichtig – aber „Freiheit, Gleichheit, Mülltrennung“ halte ich für ein sehr eigenwilliges Dreigestirn. Das Gesundheitsministerium hat auch einen eigenen Folder rausgebracht, mit dem Titel „Die österreichische Ernährungspyramide“. Und die Grundlage dieser Pyramide sind: alkoholfreie Getränke…

 

Ich kenne eine Integrations-Broschüre aus Deutschland, in der steht, dass man hier im Herbst das Laub aus dem Vorgarten entfernt.

Das ist doch brutal, oder? Wer nicht seinen Vorgarten harkt, ist nicht deutsch! Diese Guides sind genau genommen eine Bedrohung für die Mehrheitsgesellschaft, weil sie sehr viele Menschen ausschließen. Das homogene Österreich oder Deutschland, das da nahegelegt wird, gibt es einfach nicht. Und ein Zustand, in dem alle einer Meinung sind, wäre doch auch sehr beängstigend. 

 

Du arbeitest selbst in der Flüchtlingshilfe. Wie kommen diese Integrations-Tipps denn bei den Menschen dort an?

Unterschiedlich. Es gibt durchaus Menschen, die das als wertschätzenden Geste oder als freundliches Angebot verstehen. Ich kenne aber auch Leute, die schon lange da sind, mittlerweile ausgezeichnet Deutsch sprechen, aber immer noch auf den Ausgang ihres Asylverfahrens warten. Die fühlen sich oft nicht ernst genommen, wenn sie so was lesen. In einem Flüchtlingsheim in Wien gab es den Fall, dass neuangekommenen Flüchtlingen die Hausordnung erklärt wurde – unter anderem, dass sie bitte keine Essensreste aus dem Fenster werfen sollen. Die Flüchtlinge haben dann etwas verwirrt gefragt, ob das in Österreich üblich sei und man es deswegen verbieten muss. 

 

Kennst du jemanden mit Fluchterfahrung, der euer Buch gelesen hat?

Ja, eine Frau, die mittlerweile deutsche Sprache und Literatur studiert hat. Sie ist in den Neunzigern nach Österreich gekommen und sagte mir, dass sie vieles im Buch vor allem deswegen lustig fand, weil ihre Erfahrungen von damals sich so wenig von dem unterscheiden, was heute passiert. 

 

Was grade vor allem passiert: Am Sonntag findet die Neuwahl des österreichischen Bundespräsidenten statt und die Themen Integration und Flüchtlinge haben im Wahlkampf eine große Rolle gespielt.

Ja, aber ich habe den Eindruck, dass beide Kandidaten sehr darum bemüht sind, nicht nur über Flüchtlinge und Integration zu sprechen. Erstens, weil das verfehlt wäre, wenn es um das Amt des Bundespräsidenten geht. Und zweitens ist beiden klar, dass sie mit ihrer jeweiligen Position zu dem Thema keine Mehrheit gewinnen können.

 

Norbert Hofer, der Kandidat der FPÖ, hat aber ziemlich eindeutig mit Begriffen wie „Heimatliebe“ und einer harten Asylpolitik geworben.

Ja, und die Hofer-Anhänger schreiben ihm jetzt Haltungen zu, die er so am Ende vielleicht gar nicht vertreten wird. Sie gehen davon aus, dass er als Bundespräsident alle Ausländer aus Österreich schaffen wird. Und trotz all meiner Bedenken, was Norbert Hofer angeht, gehe ich nicht davon aus, dass er wirklich Menschen deportieren wird. 

 

In eurem Buch gibt es unter dem Punkt „Berufswahl“ eine Rangliste, welche Berufe angesehen sind und welche nicht. Ganz oben stehen Ärzte, ganz unten stehen gemeinsam Politiker und Satiriker. Was verbindet euch mit Politikern?

Wenn wir es gut machen, haben wir beide einen festen Standpunkt. Und den Anspruch, die Welt zu verändern. Viele Politiker haben sich von diesem Anspruch allerdings verabschiedet – und Satiriker scheitern oft daran. Aber da halte ich es mit Dario Fo: Der hat gesagt, dass die Satire selbst nichts verändert, sondern nur die Verhältnisse so darstellen kann, dass die, die sie verändern können, das auch wirklich tun.

 

Macht die aktuelle politische Stimmung in Österreich es leichter oder schwerer, Satiriker zu sein?

Ich finde das größte Problem, dass die Menschen hier immer häufiger von „Realsatire“ sprechen, wenn etwas Absurdes passiert. Wenn eine Wahl aufgehoben wird und man davon ausgehen kann, dass die letzten zwanzig Wahlen in Österreich nicht ganz gesetzesgemäß stattgefunden haben, ist   das erschütternd und blamabel – aber deswegen noch lange keine Satire. Satire ist schließlich immer noch eine Kunstform. Etwas, das bewusst geschaffen wird.

 

Hast du als Österreicher zum Schluss noch einen Tipp für die Deutschen?

Wenn Norbert Hofer die Wahl gewinnt und die ersten österreichischen Flüchtlinge in Deutschland ankommen, wäre es schön, wenn die Deutschen sie mit offenen Armen aufnehmen und ihnen zugestehen würden, dass das ein sehr guter Fluchtgrund ist. 

 

Ich meinte eher: Können die Deutschen etwas von den Österreichern lernen, mit Hinblick auf die Bundestagswahl im kommenden Jahr und den wachsenden Populismus…?

Mh. Das letzte Mal, als sich ein Österreicher angeschickt hat, den Deutschen zu erklären, wie es richtig läuft, ging das ja nicht so gut aus. Also lassen wir das lieber.

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