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"Geht mehr raus!"

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Ich fliege nach Berlin. Dort soll ich mir den viel besprochenen Facebook-Film „The Social Network“ ansehen, bevor er am Donnerstag in den deutschen Kinos anläuft. Danach darf ich mit Hauptdarsteller Jesse Eisenberg 15 Minuten lang im Einzelgespräch reden. Man hört und liest das ja oft: Journalisten treffen Stars in feinen Hotels zum Kurzinterview. Großes Gedrängel, alle stellen dieselben Fragen, der Star ist PR-mäßig glattgebügelt und so richtig spannend wird das Gespräch eigentlich nicht. Ich allerdings bin ziemlich gespannt, denn ich mache das heute zum ersten Mal.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Jesse Eisenberg, der Hauptdarsteller im Facebook-Film. Im Sony Screening Center am Potsdamer Platz bekomme ich eine Visitors Card und setze mich in die moderne Wartelounge an einen runden Tisch. Andere Journalisten setzen sich nach und nach dazu. Alle kritzeln konzentriert in dem dicken Pressehefter zu „The Social Network“ herum. Mit dem gläsernen Fahrstuhl geht es schließlich nach oben in den Kinosaal. Er sieht aus wie jeder andere auch, nur halb so groß. Der Film ist ganz unterhaltsam, schon in der ersten Szene entwickle ich ein Faible für die mir bisher unbekannte Schauspielerin Rooney Mara. In der Rolle der Erica Albright trennt sie sich mit folgenden Worten von Mark Zuckerberg: „Du wirst dein Leben lang denken, die Mädchen mögen dich nicht, weil du ein Nerd bist. Doch das ist nicht wahr: Sie mögen dich nicht, weil du ein Arschloch bist!“ Und dann beginnt die Geschichte, in der Jesse Eisenberg ein wirklich großartiges Arschloch spielt und die einem minutiös vorhersehbar genau das erzählt, was man als sensationsgeiler Zuschauer im ersten Moment auch hören will: Mark Zuckerberg, ein skrupelloser Hacker hat alle überlistet und gewissermaßen die Weltherrschaft der heutigen Zeit an sich gerissen: Das Internet. Nun ist er der jüngste Milliardär aller Zeiten. „Punk, Genie, Verräter, Milliardär“ - was in großen Lettern auf den Filmplakaten steht, ist Programm. Eine tolle Geschichte, von einem tollen Regisseur erzählt und von tollen Schauspielern abgebildet. Leider geht man ohne jeglichen Mehrwert aus dem Kino heraus. Denn der Film liefert keine Antwort auf das, was man eigentlich wissen will. Und das wäre erstens: Wie es denn nun wirklich war. Es ist ja bekannt, dass das Drehbuch mindestens zur Hälfte frei erfunden ist. Außerdem geht es mir in dem Film zu sehr um Mark Zuckerberg selbst, als um den Nerv der Gesellschaft, der den großen Erfolg von Facebook überhaupt erst möglich macht. Das Einzige, was der Film mit mir macht, ist, dass er mein Bewusstsein schärft. Als ich zum Mittagessen ein wenig durch die Stadt laufe, fällt mir noch stärker als sonst auf, wie präsent Facebook mittlerweile in unserem Alltag ist. Es ist überall. Kleine Bäckereien werben auf ihrer Schaufensterscheibe dafür, sie auf Facebook zu ‚liken’, Modegeschäfte ebenfalls und auch der Spanier am Nebentisch brüllt alle drei Minuten irgendetwas mit ‚Facebook’ in sein Telefon. Aber ich frage mich ernsthaft, was Jesse Eisenberg mir nun dazu erzählen soll. Offensichtlich konnte er ja auch nur raten, wer Mark Zuckerberg ist und versuchen, ihn nach diesen Informationen und nach Vorgaben des Drehbuchs halbwegs authentisch darzustellen. Ihn jetzt so zu behandeln, als sei er Zuckerberg selbst oder hätte pikante Informationen in der Hinterhand parat, kommt mir blöd vor. Und deshalb entscheide ich mich dafür, heute einfach einen Jesse Eisenberg zu treffen, der als Indieschauspieler gerade in höhere Sphären aufsteigt und seinen 27. Geburtstag genau heute damit verbringen muss, die ewig gleichen Fragen von gehetzten Journalisten zu beantworten. Ich will ihm einen einfachen Fragebogen vorlegen. Im Hotel Adlon ist es sehr fein. Ein Brunnen plätschert, es riecht nach warmen Keksen und schwarzem Tee. Alte Ehepaare sitzen schmuckbehängt in den Sesseln. An einem Empfangstisch nenne ich meinen Namen und werde gebeten, auf der Ansammlung von Sesseln und Sofas Platz zu nehmen. Einige andere Wartende sitzen mit mir hier, eine blonde Frau hält ein Radiomikrofon auf dem Schoß, den Sender erkenne ich nicht. Überall laufen herausgeputzte Hotelangestellte herum und Menschen, die offensichtlich versuchen, die Interviews zu koordinieren. Ich versuche zu erahnen, hinter welchen Türen die einzelnen Crewmitglieder des Films wohl jetzt sitzen, doch ich habe keine Ahnung. Eine Frau kommt zu mir und sagt, dass sie im Verzug seien und dass sich mein Termin um eine Viertelstunde verschiebt. 15 Minuten später sitze ich in einem großen Saal mit Blick auf das Brandenburger Tor. Zwei Stühle, ein Tisch. Eine andere, sehr nette, kleine dicke Frau rückt den Stuhl, auf dem Jesse gleich sitzen soll, so zurecht, dass er den besten Blick hat. Mütterlich sagt sie: „Kannst du auch gut sehen? Ihr sollt euch ja wohlfühlen.“ Das finde ich charmant. Ich hatte mir diesen Abfertigungsbetrieb viel rabiater vorgestellt. Auf der nächsten Seite erfährst du, was Jesse seiner Freundin aus Berlin mitbringt und warum es in seinem Apartment in New York leider nicht so gut riecht.


Dann kommt Jesse. Ein kleiner, dünner Lockenkopf in einem gut sitzenden grauen Anzug. Er ist sehr höflich und sehr ernst. Ich sage ihm, dass ich bloß einen ganz willkürlichen Fragebogen vorbereitet habe und das bestimmt schnell und einfach geht. Wir werden alleine gelassen und haben ab jetzt exakt fünfzehn Minuten. Bevor ich anfange, fragt er sehr interessiert nach meinem Befinden und möchte gerne mehr über meinen Namen wissen. In Schnellversion erkläre ich es ihm und will dann aber loslegen. Er antwortet brav und höflich, aber etwas unbeholfen. Seine Sätze klingen manchmal so zerstückelt, dass man fast glauben könnte, er sei ein wenig aufgeregt. Sarkasmus verpackt er in einen so selbstverständlichen Tonfall, dass man es immer erst eine Sekunde später kapiert. Ja, den nerdigen Charme des Indieschauspielers hat er perfekt verinnerlicht. Du hast heute Geburtstag – was hast du heute schon gemacht? Nichts, außer den ganzen Tag über die verfilmte Geschichte von Facebook geredet. Macht aber nichts, denn es gefällt mir, meinen Geburtstag zu überspielen. Wie nervig ist es, stets dieselben Fragen gefragt zu werden? Es ist gar nicht nervig. Es ist sogar ziemlich schön. Die Leute mögen den Film und ich bin stolz, so etwas wie ein Botschafter dafür sein zu dürfen. Wenn du Zeit hättest, jetzt etwas anderes zu tun, was wäre das? Ich würde mir die Stadt ansehen, denn ich finde es ziemlich einzigartig, wie in dieser Stadt Historisches mit Modernem kombiniert wird. Der Reichstag ist dafür ein gutes Beispiel. Außerdem würde ich meine Tante, meinen Onkel und meinen Cousin in Stettin besuchen, die leben dort. Was fällt dir zu Berlin ein? Ich erinnere mich an einen Moment aus meinem sechsten Lebensjahr. Meine Eltern riefen mich in ihr Schlafzimmer und setzten mich vor den Fernseher. Menschen sprangen von einer Mauer, die gerade eingerissen wurde. Als meine Eltern mir erklärten, was da passierte, war ich geschockt. Ich empfinde die Geschichte der ehemaligen DDR heute noch als eine der gruseligsten Geschichten, die ich kenne. Fensterplatz oder Gang im Flugzeug nach Berlin? Die ganze Crew fliegt luxuriöserweise in einem kleinen Privatjet, in dem es nur Fensterplätze gibt. Wir haben Gurkensandwiches gegessen und alle Ginger Ale getrunken. Eigentlich wollte nur ich Ginger Ale. Aber plötzlich wollten alle anderen auch Ginger Ale. Das ist oft so, ich habe eine Idee, und plötzlich finden alle, dass es eine ganz wundervolle Idee ist und wollen dasselbe. Wie lange bleibst du in Berlin? Nicht mehr lange, in ein paar Stunden geht es schon weiter nach Madrid. Welchen Deutschen würdest du gerne einmal treffen? Angela Merkel. Das erste weibliche Staatsoberhaupt der Welt! Das finde ich ganz schön beeindruckend. Was bringst du deiner Freundin aus Deutschland mit? Die kleinen Seifenstücke, die immer in den Hotelzimmern liegen. Wie sieht es gerade in deinem Zimmer aus? Mein Apartment in New York City riecht permanent nach Katzenurin. Ich habe zwei Katzen, Shanty und Snowleopard. Sie verstehen das Prinzip Katzenklo nicht. Sie benutzen lieber mein Bett. Manchmal wünschte ich, sie würden einfach weglaufen und nie wieder kommen. Aber irgendwie liebe ich sie zu sehr. Wenn du kein Schauspieler wärst, was wärst du dann? Ein politischer Journalist. Hat Mark Zuckerberg dich schon angerufen? Nein, aber mein Cousin hat gerade einen Job im Facebook Office bekommen. An seinem ersten Arbeitstag sagte Mark zu ihm: Dein Cousin Jesse hat gute Arbeit geleistet in dem Film. Was würdest du ihm sagen? Dass ich großen Respekt vor ihm habe. Und dass ich hoffe, dass es in Ordnung ist, wie ich ihn dargestellt habe. Wie viele Freunde hast du auf Facebook? Null. Ich bin nicht auf Facebook. Ich bin viel zu beschäftigt damit, meiner Freundin Seifen aus Hotelbadezimmern mitzunehmen. Außerdem bin ich nicht gerne im Internet. Die Leute schreiben dort gemeine Sachen, die ich nicht lesen will. Ist es komisch für dich, vom Indieschauspieler zum Mainstreamstar zu werden? Die Öffentlichkeit ist mir unangenehm, ja. Ich fühle mich immer ein bisschen bloßgestellt. Aber wenn ich in so großen Filmen mitspielen will, muss ich da eben durch. Jetzt geht die große, dunkle Holztür auf und die dicke Frau gibt mir deutlich zu verstehen, dass ich jetzt die letzte Frage stellen muss. Die vorgegebene Zeit einzuhalten ist nicht so einfach, denn Jesse will bei jeder Frage wissen, was ich darauf antworten würde. Er fragt konsequent nach. Ganz brav und ernst, wie der Junge von nebenan. Seine Masche, den niedlichen Nerd zu spielen, klappt großartig. Ich kann nicht umhin, ihn ein bisschen süß zu finden. Welche Botschaft möchtest du in die Welt tragen? Geht mehr raus! Wir geben uns die Hand, Jesse fragt, wie alt ich bin und wie lange ich das mit dem Journalismus schon mache. Aber die Koordinationsfrau hat es jetzt wirklich sehr eilig und ich stammle ein, zwei kurze Sätze, er sagt „Wonderful!“, wir drücken uns die Hände und ich verlasse den Raum. Hinter mir gehen die edlen Türen auf und zu, Angestellte und Journalisten laufen herum, es wird viel Englisch gesprochen. Das war interessant, denke ich, bin aber gleichzeitig sehr erleichtert, die Interviewmaschinerie wieder verlassen zu haben. Ich schlendere vorbei am Buffet, nehme noch ein paar Weintrauben und gucke dem Klavierspieler zu. Dann warte ich ein paar Minuten, für den Fall das Justin Timberlake gleich um die Ecke kommt. Natürlich kommt er nicht. Außerdem bin ich ja auch kein Teenager mehr. Dann gehe ich langsam die Marmortreppe herunter und verlasse das Hotel durch die Drehtür. Draussen ist es schon dunkel.

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