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"Stopp! Die Zigarette ist falsch herum."

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Was kann man einen Mann fragen, über den schon 25 Bücher geschrieben wurden? Welche Fragen gibt es, die Helmut Schmidt noch nicht beantworten musste? Vielleicht ja die: „Herr Schmidt, worüber werden Sie eigentlich am seltensten befragt?“ Helmut Schmidt blickt einer Rauchwolke nach, lächelt kaum sichtbar und antwortet: „Über Mathematik und Physik, denn davon verstehe ich nicht viel.“ Helmut Schmidt war Bundeskanzler und hat viele Superlative angeheftet bekommen. „Weltökonom“ zum Beispiel. Oder „höchste Autorität“. Was hält er davon? „Ich ertrage es mit Gelassenheit“, sagt Schmidt. Helmut Schmidt ist 91 Jahre alt. Ich bin 24 Jahre alt, Praktikant und wollte mal mit Helmut Schmidt reden. „Lass dich mal zehn Minuten anbellen“, sagte mir einer, der Schmidt regelmäßig sieht vorab halb im Scherz. „Du darfst nur nicht unsicher rüberkommen, dann denkt er du bist ein Weichei.“ Mein Wunsch war ein vorsichtiger: Vielleicht 15 Minuten mit Herrn Schmidt? Seine Sekretärin Rosemarie Niemeier entgegnete nach zwei Tagen Wartezeit: „Ruhig auch etwas länger.“ Sie ahnte womöglich nicht, was sie damit in mir auslöste. Zur Vorbereitung lese ich im Schnelldurchlauf die Interviews mit Zeit-Chefredakteur Giovanni die Lorenzo. Dann blättere ich ein, zwei Biographien durch. Gibt ja genug. Seinen Wikipedia-Artikel kann ich auch halb auswendig. In der Nacht davor schlafe ich schlecht, „Viel Glück und erzähl mir wie‘s war“-SMS erscheinen auf meinem Handy. „Sie müssen langsam mit ihm sprechen. Und deutlich“, unterrichtet mich Rosemarie Niemeier, die das Vorzimmer von Schmidts Büro im 6. Stock des Hamburger Pressehauses bewacht. „Er wird ihnen zu Anfang sagen, dass sein Computer im Kopf langsam arbeitet, da der vom lieben Gott ist und nicht von Siemens. Von denen ist aber sein Hörgerät.“ Dann öffnet sie die helle Holztüre und bittet zum Vieraugengespräch mit dem Altbundeskanzler. Helmut Schmidt sitzt im Rollstuhl an seinem Schreibtisch und liest. Er hat eine Tasse Kaffee vor sich, einen Aschenbecher sowie ein Holzkistchen mit Menthol-Zigaretten. Er trägt einen dunkelblauen Anzug. Die Fenster sind geschlossen, es riecht – natürlich – nach Rauch. Ich schalte mein Aufnahmegerät ein, lege es auf den Tisch und sage: „Hallo Herr Schmidt.“ „Langsam reden“, sagt der Bundeskanzler a.D., „ich verstehe akustisch die Hälfte von dem, was Sie sagen. Die andere Hälfte“, er tippt sich an die Stirn, „muss ich in meinem Computer kombinieren. Der ist aber vom lieben Gott und nicht von Siemens, das heißt der arbeitet langsam.“ Über Helmut Schmidt heißt es, er könne nach wie vor, wie auf Knopfdruck, druckreife Statements zu wirtschaftspolitischen oder gesellschaftlichen Themen abgeben. Ich versuche es mit einer Frage zum Warmwerden: Herr Schmidt, worüber, finden Sie, müsste man viel häufiger reden? - „Man muss gar nicht reden. Man darf nur reden, wenn man weiß, worüber man redet, und wenn man verstanden hat, was man sagen will. Sonst muss man nicht reden.“ Aber ist Reden nicht ein wichtiger Bestandteil politischer Diplomatie? - „Diplomatie und Reden sind zwei verschiedene Dinge. Die Rede ist für die Demokratie unverzichtbar, für die Diplomatie ist sie von geringerer Bedeutung.“ Schmidt spricht langsam. Als ich später die Tonaufnahme anhöre, finde ich kein einziges „Äh“. Wie, frage ich mich, hört es sich wohl an, wenn Helmut Schmidt eine Pizza bestellt? Er schaut mir selten in die Augen. Wenn doch, dann so eindringlich, dass ich innerlich Haltung annehme. „Was ist stattdessen für die Diplomatie von Bedeutung?“, frage ich zurück. „Das Gespräch, notfalls auch die Verhandlung. Nicht die Rede.“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Als Schmidt 1983 Herausgeber der Zeit wurde, sei das anfangs im Haus nicht sonderlich gut angekommen, erzählt mir Rosemarie Niemeier. „Da hat er noch häufig den Bundeskanzler raushängen lassen.“ Inzwischen, glaubt sie, sei er unter den meisten Redakteuren beliebt. Immer noch besucht er die große Redaktionskonferenz der Wochenzeitung und immer noch schreibt er Artikel für das Blatt. Zu seinem Tagesgeschäft gehöre es aber auch, sagt er, „dass ein junger Mann wie Sie kommt und sagt: Ich will mal mit dem alten Mann reden.“ Für viele scheint Schmidt wie ein Orakel zu sein, das immer Rat weiß. Er selbst lehnt diese Rolle ab: „Ich bin im Prinzip nicht sonderlich geeignet und nicht sonderlich daran interessiert, Ratschläge zu geben.“ Trotzdem ist seine Meinung gefragt. Ende Januar war er zum ersten Mal seit langer Zeit Gast in der SPD-Vorstandssitzung in Berlin. Es ging um die Afghanistan-Strategie seiner Partei. „Haben Sie eigentlich die vielen Bücher gelesen, die andere über Sie geschrieben haben?“, möchte ich von ihm wissen. - „Nein. Warum sollte ich?“ Schmidt steckt sich die nächste Zigarette, die vierte während unseres Gesprächs, in den Mund. Allerdings falsch herum, mit dem Filter nach vorne. Er will sie anzünden, doch das Feuerzeug streikt. Sechs Mal dreht er erfolglos am silbernen Feuerzeugrädchen. Als die Flamme schließlich doch erscheint, mache ich ihn im letzten Moment aufmerksam: „Stopp! Sie haben die Zigarette falsch herum.“ Mit einem gemurmelten „Merci“ dreht er sie richtig und zündet sie an. Was bleibt nach einer halben Stunde und vier Zigaretten mit „dem alten Mann“? Es kommt mir vor, als habe ich ihn von seiner Arbeit abgelenkt. Als ich das Foto mache, ist er schon wieder in seine Arbeit vertieft. Am Abend stecke ich meinen Pullover in die Waschmaschine.

Text: stephan-knieps - Foto: Autor

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