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Wer kauft denn jetzt das Brautkleid? - Ortstermin bei H&M

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Morgens, halb zehn in Deutschland, genauer gesagt München, Kaufingerstraße. Im Nieselregen steht eine ziemlich beachtliche Traube Menschen vor den Türen des H&M-Stores. Allesamt aufgeregt und in großer Vorfreude. Die Lieferwagen, die morgens durch die Fußgängerzone fahren, kommen kaum vorbei. “Was ist denn da los?“, fragen die Passanten.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Schließlich hat das Warten ein Ende und die Menschentraube stürmt nach innen in den Laden. Alle haben dasselbe Ziel: die kleine Abteilung mit der neuen Viktor & Rolf – Kollektion. Die beiden holländischen Designer sind das diesjährige Highlight des schwedischen Modelabels H&M, wie zuvor bereits Karl Lagerfeld und Stella McCartney. Es strömt Links an die Seite gedrängt stehen die Verkäufer der Filiale in ihren Viktor&Rolf-Werbeshirts Spalier und empfangen - sehr offiziell- ihre Kunden. Nur wenige Minuten nach Einlass ist in der begehrten Abteilung die Hölle los. Die zuvor dekorativ angerichteten weißen Lilien hängen schon schräg in ihren Vasen, die Warentische stehen bereits schief und ragen in den Gang hinein, zwischen den Kleidungsständer ist es eng geworden. Circa 70 Leute kämpfen dort um die besten Teile, jeder schnappt sich was er ergattern kann. Seltsamerweise strömen ausschließlich Frauen, dabei gibt es doch auch eine Kollektion für Männer.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die Szenerie wird von einem Kamerateam festgehalten, das den Eindruck entstehen lässt, es handle sich hier um die Premiere eines Hollywoodfilmes oder um ein Robbie Williams-Konzert und nicht um einen Donnerstagmorgen bei H&M. Auch, wenn sich die Kundinnen in der Tat wie wild gewordene Groupies verhalten. Begeisterte Fashionistas mit strahlenden Augen und voll bepackten Armen stehen in langen Schlangen vor den Umkleidekabinen, Warten macht ihnen nichts aus. Eine Verkäuferin wacht am Durchgang zu den Umkleiden und passt auf, dass auch ja alles geregelt abläuft. Hinter ihr hängt das wohl größten Objekte der Begierde: Das Viktor&Rolf-Hochzeitskleid, bereits vorreserviert. Tatsächlich gibt es einige Interessenten. Die meisten unter ihnen wollen das Kleid „einfach mal zum Spaß“ anprobieren. Wann hat man schon mal die Möglichkeit in einem gewöhnlichen Bekleidungsgeschäft zu sehen, wie man in einem echten Brautkleid aussieht? Eher selten. Doch da Viktor&Rolf als Thema die Liebe ausgewählt haben, ist es gar nicht so abwegig auch ein Brautkleid in die Kollektion aufzunehmen. Kleid ist König Aber wer gedacht hat, man könne hier und heute einfach so das Brautkleid von der Stange schnappen und ab in die Umkleidekabine verschwinden, der hat sich getäuscht. Nur auf Anfrage wird eines der edlen Teile nach unten gebracht. Sie seien sehr empfindlich, heißt es. Und Nur-zum-Spaß-Anprobiern wird da natürlich überhaupt nicht gern gesehen. Das Brautkleid ist also so eine Art VIP unter den H&M-Klamotten. Einige Minuten später liegen zwei Brautkleider bereits an der Kasse. Um sie herum wuseln fünf Mitarbeiter, Hektik macht sich breit. Das Kleid wird wie mit Seidenhandschuhen angefasst. Ein Mann der ebenfalls an der Kasse steht und zufällig den „Traum in weiß“ streift, wird angeblafft: „Hände weg, das Kleid ist empfindlich!“. Nicht sehr freundlich. Aber wenn es um das Brautkleid geht, müssen eben Prioritäten gesetzt werden und die liegen in dem Fall eindeutig beim Kleid und nicht beim Kunden.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die Dame, die dann letzten Endes mit den beiden Brautkleidern in zwei Tüten aus dem Geschäft eilt, will leider nicht genau erklären wofür sie die jetzt gekauft hat. Der Herr, der sie begleitet wimmelt ab. “Heute nicht“, sagt er. Die Kleider seien für eine Hochzeit, ruft die Dame im Gehen noch zurück. Zwei Kleider, für eine Hochzeit? Sehr seltsam. Vielleicht eines auf Vorrat gekauft? Die sind ja „sehr empfindlich“, da kann schon mal was kaputt gehen. Epilog: Beim Blick zurück in den Laden ist nur noch Chaos erkennbar. Die Tische und Kleidungsständer sind inzwischen abgegrast, die H&M-Damen kämpfen sich durch die verbliebenen Wühler um Ordnung zu schaffen. Immer noch strömen Kunden in den Laden, doch viele werden enttäuscht. Die besten Sachen haben sich schon andere unter den Nagel gerissen. Fotos: AFP

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