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"Wir haben mehr als 100 Morddrohungen erhalten"

Foto: Bellina Francesco / AFP

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Seit Längerem gibt es Spannungen zwischen italienischen Behörden und deutschen NGOs, die Flüchtlinge vor dem Ertrinken im Mittelmeer retten wollen. Den privaten Organisationen wird vorgeworfen, die Aktivitäten von Schleppern mit ihrem Handeln zu begünstigen. Deshalb wollte man sich am vergangenen Montag auf einen Verhaltenskodex für private Seenotretter auf dem Mittelmeer einigen. Viele Organisationen, darunter "Ärzte ohne Grenzen" und "Jugend Rettet", hatten den Kodex allerdings nicht annehmen wollen, weil sie mit einigen Bedingungen nicht einverstanden waren.

Am Mittwoch beschlagnahmten die italienischen Behörden dann ein Schiff deutscher Flüchtlingshelfer: die „Iuventa“, das Schiff der Organisation "Jugend Rettet“. Sie kreuzte seit 2016 auf dem Mittelmeer. Am Donnerstag wurde außerdem öffentlich, dass die italienischen Behörden Gespräche der Iuventa-Crew abgehört hatten. Daraus wäre laut den Behörden ersichtlich, dass die Seenotretter nicht bereit wären, mit ihnen zu kooperieren und Fotos auszuhändigen, auf denen Flüchtlinge und Schlepper identifizierbar wären. Der angebliche Vorwurf ist, die Crew habe so verhindern wollen, dass Schleuser verhaftet werden. Wir haben mit Philipp Külker von "Jugend Rettet" über die Situation gesprochen.   

Jetzt: Euer Schiff ist beschlagnahmt worden – warum?

Philipp Külker: Über die genauen Gründe können wir leider noch nichts sagen. Wir haben einen Durchsuchungsbeschluss vorliegen, durch den wir uns erst einmal durcharbeiten müssen. Unser Anwalt in Italien hat vollständige Akteneinsicht beantragt. Bisher haben wir aber noch nichts gefunden, das erklären würde, warum unser Schiff aus dem Verkehr gezogen wurde.

Wie hat die Beschlagnahmung denn überhaupt stattgefunden?

Am Montag hat uns das italienische MRCC, die italienische Koordinationsstelle für Seenotfälle, aufgefordert, zwei syrische Geflüchtete von einem italienischen Küstenwachenschiff zu übernehmen und nach Lampedusa zu bringen. Das haben wir getan und sind daraufhin auf erneute Aufforderung des MRCC Rom mit der Iuventa Suchmuster gefahren. Es wurde uns nämlich auch ein weiteres Boot gemeldet, auf dem sich angeblich 50 Personen befanden. Dann gab es auf einmal die Order, dass wir den Hafen von Lampedusa anlaufen sollen.

Dort wurden einzelne Crew-Mitglieder befragt. Das ist für uns erstmal nichts Neues, insbesondere, wenn Geflüchtete an Bord sind. Die Kapitänin muss dann zum Beispiel vorweisen, dass sie eine entsprechende Lizenz hat. Dieses „Interview“ wurde aber ausgeweitet und auf einmal wurde uns ein Durchsuchungsbeschluss für die Iuventa vorgelegt. Das Schiff wurde dann direkt vor Ort durchsucht und die privaten Gegenstände der Crew wurden teilweise konfisziert.

Nun war bereits in verschiedenen Medien zu lesen, dass italienische Behörden angeblich eure Gespräche an Bord abgehört haben. Die Aufnahmen würden zeigen, dass ihr nicht bereit wart, mit den Behörden zu kooperieren. Was ist da dran?

Die deutschen zitieren die italienischen Medien, wenn wir das richtig sehen. Und die wiederum berufen sich auf Bild- und Tonmaterial, das wir selbst derzeit noch sichten. Soweit wir die Aufnahmen kennen, werden sie in der Berichterstattung jedenfalls komplett aus dem Kontext gerissen und falsch übersetzt. Wir müssen zunächst herausfinden, wo das Material ursprünglich überhaupt herkommt und können deshalb noch nicht viel dazu sagen. Generell versuchen wir aber immer, die Vorgaben der Behörden einzuhalten, solange sie sich im Rahmen des gültigen Rechts bewegen.  

Ihr hattet wenige Tage vor der Beschlagnahmung den neuen Verhaltenskodex, den die italienische Küstenwache mit zivilen Seenotrettern vereinbaren wollte, nicht unterschrieben. Könnte das etwas mit der Beschlagnahmung der Iuventa zu tun haben?

Der ermittelnde Staatsanwalt hat gesagt, der Durchsuchungsbefehl habe keinen Bezug zu unserer Nicht-Unterzeichnung des „Code of Conduct“ am Montag. Das nehmen wir so zur Kenntnis, aber natürlich wirft die zeitliche Nähe Fragen auf. Wir waren immer bereit einen Kodex zu unterschreiben. Diesen Kodex haben wir aber deshalb nicht unterzeichnet, weil er sich gegen unsere grundsätzlichen humanitären Prinzipien richtet, unsere Rettungskapazitäten eingeschränkt hätte und mit geltendem internationalen Recht im Konflikt steht. Mit unserer Nicht-Unterzeichnung wollten wir uns aber nie prinzipiell gegen die italienischen Behörden stellen. Wir waren und sind immer gesprächsbereit. Das wissen die Italiener.

Eines dieser Prinzipien ist, dass ihr euch nicht von einem bewaffneten Polizisten auf dem Schiff begleiten lassen wollt. Warum lehnt ihr diese Forderung von italienischer Seite so rigoros ab?

Wir agieren als humanitäre, also unabhängige und neutrale Organisation. Dies würde durch die Anwesenheit italienischer Polizei auf unserem Schiff gestört. Außerdem müssen uns die Geflüchteten Vertrauen auf Sicherheit schenken. Dieses Vertrauen wäre beeinträchtigt, wenn wir bewaffnete Polizisten an Bord hätten. Mit Waffen auf dem Schiff könnten außerdem auch die Retter selbst schnell in Gefahr geraten. Die Befragung der Geretten kann später in Italien stattfinden. Deshalb sind wir an diesem Punkt nicht zu Kompromissen bereit.

Was bedeutet die Beschlagnahmung der Iuventa für euch konkret? Was macht ihr jetzt?

Im Moment sitzt die Crew noch auf Lampedusa fest, hofft aber, die Insel bald verlassen zu können. Das scheitert bisher nur an logistischen Fragen, alle Mitglieder dürfen sich frei bewegen. Die Iuventa ist gerade in Sizilien angekommen. Was da weiter mit dem Schiff passieren soll, wurde uns nicht gesagt.

 

Wie ist die Stimmung in Bezug auf „Jugend Rettet“ in Italien? Muss die Crew um ihre Sicherheit fürchten?

Wir haben auf jeden Fall viele Gegner in Europa. Besonders die italienischen Medien machen derzeit Stimmung gegen uns. Sie zerlegen das abgehörte Bild- und Tonmaterial gerade nach allen Regeln der Kunst. Aus der Bevölkerung bekommen wir nicht ganz so viel mit. Ich habe natürlich auch einige unterstützende Tweets gefunden. Wir erleben aber gleichzeitig auch einen regelrechten Shitstorm auf Facebook und per E-Mail, bei Anrufen von bestimmten Telefonnummern gehen wir schon gar nicht mehr ran. Vor allem die Leute, die in der Vergangenheit oft ihr Gesicht für "Jugend Rettet" in der Öffentlichkeit gezeigt haben, werden bedroht und angefeindet. Die Spannungen, die sich in Europa wegen der gesamten Flüchtlingsfrage schon länger aufgestaut haben, entladen sich scheinbar gerade an uns. Wir haben alleine per Email in den letzten zwei Tagen mehr als 100 konkrete Morddrohungen erhalten.

 

Kommen die Anfeindungen auch aus Deutschland?

Ja, auch. Was gerade bei uns ankommt, kommt sogar vor allem aus Deutschland. Auch von Politikern wie Beatrix von Storch, da haben wir natürlich einen besonderen Blick drauf. Aber wie sich das in Zahlen und im Verhältnis widerspiegelt, kann ich im Moment noch gar nicht abschätzen.

 

Ihr wurdet schon zuvor immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert, das Verhalten von Schleppern zu begünstigen. Der wird jetzt noch lauter. Wie reagiert ihr darauf?

Für „Jugend Rettet“ sind diese Vorwürfe tatsächlich nichts Neues. Auch andere NGOs, die zivile Seenotrettung betreiben, werden immer wieder mit diesen Vorwürfen konfrontiert und auch die Kriminalisierung von Seenotrettern ist ja ein alter Hut. 2004 wurde der Cap Anamur ähnliches vorgeworfen. Nach einem langen Gerichtsverfahren, konnte davon nichts bewiesen werden. Auch ähnliche Vorwürfe gegenüber Sea-Watch wurden nie bewiesen. Wir haben uns zur Klärung von früheren Vorwürfen immer maximal kooperativ und transparent gezeigt, wir saßen ja schon im italienischen Parlament und haben uns mit deutschen und italienischen Ministerien getroffen. Uns wurde immer signalisiert, dass die Vorwürfe keine Grundlage haben, deswegen überrascht uns diese plötzliche Wendung schon. Uns ist natürlich bewusst, dass wir gerade ein Spielball der großen Politik sind, in einem Feld, dass europaweit polarisiert.

 

Wie schaut ihr angesichts all dieser Schwierigkeiten in die Zukunft?

Im Grunde sind wir zuversichtlich, dass sich bald alles klären wird. Erst einmal gilt es aber, abzuwarten, welche Vorwürfe tatsächlich gegen uns formuliert werden. Das prüfen unsere Anwälte gerade. Aber natürlich wollen wir so schnell wie möglich wieder aufs Wasser raus. So sieht es auch die Crew. Es geht ja nicht darum, dass wir unbedingt einen Rechtsstreit gewinnen wollen, weil man uns etwas weggenommen hat. Es geht darum, dass wir, solange das nicht geklärt ist, keinen einzigen Menschen vor dem Ertrinken retten können – das macht uns unglaublich traurig, aber wir werden alles daran setzen, möglichst bald wieder im Einsatz zu sein.

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