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„Das hier ist ein demokratisches Land und ich glaube daran und an die Deutschen”

Fotos: Eileen Jordan, Johannes Brink, Instagram, Meki Fekadu, Privat

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Nach dem Einzug der AfD in den Bundestag fragten wir auf Facebook unsere Leser, wer am Montag mit einem anderen Gefühl auf die Straße ging. Wer sich jetzt persönlich bedroht fühlt. Auf Grund seiner Hautfarbe, Religion oder Sexualität.

Einen Tag später hätten wir locker 100 dieser Protokolle aufschreiben können. Unser Postfach quillt über vor Meldungen von Leuten, die zum Ausdruck bringen wollen, warum der Erfolg der AfD ein mulmiges Gefühl oder Schlimmeres in ihnen hervorruft. Aber es gab auch Kritik: Viele schrieben uns, dass sie sich auch als weiße, heterosexuelle Menschen in Deutschland von der AfD bedroht fühlten, andere fanden, man widme der AfD mit derartigen Umfragen viel zu viel Aufmerksamkeit. Wir bei jetzt haben allerdings die Haltung, dass man nicht über die Politik der AfD berichten kann, ohne auch mit den Menschen zu sprechen, die sie primär betreffen und ggf. auch bedrohen wird. Hier sind acht uns zugesandte oder von uns aufgezeichnete Protokolle:

„Noch am Wahlabend bekam ich herbe Nachrichten von Wildfremden”

Samira El-Ouassil, 31, Sängerin der Band „Kummer“, hat einen marokkanischen Vater und war 2009 Kanzlerkandidatin von „Die Partei”

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Foto: instagram

„IS-Schlampe“, „Antifa-Fotze“, „Flüchtlingsdrecksnutte“, „Parasit“ - noch am Wahlabend bekam ich herbe Nachrichten von Wildfremden, offenbar AfD-Sympathisanten, die mit mir ihre Freude über den Wahlsieg teilen wollten. Verschiedene Absender, unterschiedliche Diktionen, aufregendste Orthographie, aber die Inhalte waren immer gleich: Beleidigungen und Beschimpfungen mit Bezug auf mein Geschlecht und meine Ethnizität. Da wurde das „überlegene deutsche Volk” gelobpreist und erklärt, ich sei nun mal unterentwickelt, als Frau und Ausländerin. Es wurde erklärt, dass die AfD durchsetzen würde, dass ich sterilisiert werde und „wir“, wer auch immer gemeint ist, im Meer ertränkt werden. Es war alles natürlich viel zu abstrus, um es persönlich zu nehmen, aber ich war doch erstaunt: Angepöbelt wurde ich im Schutz der digitalen Anonymität immer mal wieder, allerdings hat es seit Sonntag tatsächlich eine andere Qualität. Roher. Enthemmter, brachialer. Die Absender trauten sich nun Grenzüberschreitungen, die Skrupel vorher nie als normales Verhalten zugelassen hätten. Die politische Legitimation der AfD im Bundestag gibt ihnen das Selbstbewusstsein ihren Rassismus eine laute und dokumentierbare Form zu verleihen.

Zwischen den Zeilen aber auch: als Häme getarnte Verbitterung. Ein tiefes Gefühl von viel zu lange zu unrecht vorenthaltenem Triumph schwappte mir entgegen, man habe es mir jetzt richtig gezeigt, „das deutsche Volk hat gewonnen, der Müll hat verloren und Müll gehört in eine Müllverbrennungsanlage“. Ich brauchte eine Sekunde, bis ich begriff, dass ich mit „Müll“ gemeint war.

 

„Ich habe Angst, weil ich Denkmuster wie die der AfD nur zu gut kenne“

Josefine, 44, Frau mit Autismus und Transsexualität aus München

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Foto: Privat

Ich fühle mich bedroht von der AfD, weil ich ihnen alles zutraue und keinen Deut vertraue. Auch wenn manche Parteimitglieder vorgeben, sich für meine Interessen als Transfrau einzusetzen, zum Beispiel Spitzenkandidatin Alice Weidel in aktuellen Interviews und mit dem Outing ihrer Homosexualität vor den Parteianhängern in der Wahlkampfabschlussrede. Aber das ist leicht zu durchschauen: Das Selbstverständnis der AfD ist es, andere zu diskriminieren. Und das heißt: Potenziell werden sie irgendwann auch auch andere Gruppen diskriminieren als jetzt. Und damit vielleicht auch mich.

Ich bin ein bisschen stolz darauf, dass ich vollständig immun gegen den Islamhass der AfD bin, obwohl ich als Transfrau schon oft von „südländischen“ – sorry, ein besserer Begriff fällt mir gerade nicht ein – Männern ausgelacht und auch schon sexuell belästigt worden bin. Aber die pauschalen Diffamierungen von Ausländern durch die AfD, die genau vor solchen Männern warnen und so tun, als wären sie alle eine Gefahr, machen mich wütend. Ich wohne in einem Viertel, in dem ich überwiegend mit Menschen ausländischer Herkunft zu tun habe. Und mit den allermeisten komme ich perfekt aus. Mehr noch: Ich schätze sie sehr.

Ich habe auch deshalb Angst, weil ich Denkmuster wie die der AfD nur zu gut kenne. Zum Beispiel die Unterteilung in „wertes“ und „unwertes“ Leben, die ich von meinen CSU-Eltern kenne. In deren Köpfen bin ich zumindest teilweise „unwertes“ Leben. Sie haben mich restlos aus der Familie verbannt. Sie denken in diesen Kategorien, und das obwohl sie eigentlich nicht böse sind. Dieses Denken ist Teil ihrer Wahrnehmungsstruktur. Und eine starke AfD hat das Potenzial, die Wahrnehmungsstrukturen in diesem Land zu verändern. Weil durch sie manche Dinge aussprechbar und denkbar werden, die es nicht sein sollten.

Ich bin Autistin und ohne Hilfestellung und geeigneten Job nicht in der Lage zu arbeiten. Obwohl ich Diplom-Ingenieurin für Maschinenwesen bin, scheint es keinerlei Interesse an meiner Arbeitskraft zu geben. Ich muss daher von Sozialhilfe leben. Wer wie ich von der Willkür des Sozialamts abhängig und dadurch von sozialer Teilhabe 100 Prozent ausgeschlossen ist und aufs Abstellgleis gestellt wurde, der hat natürlich längst die Hoffnung und den Glauben an diesen Staat verloren. Ich kann aus diesem Gesichtspunkt die AfD Wähler sehr gut verstehen. Denn sie haben wenigstens das eine begriffen: dass es grade nicht gut läuft in Deutschland. Die Rezepte der AfD sind aber fatal und schrecklich und dumm und ja, sie sind brandgefährlich.

„Ich habe Angst um meine physische Integrität“

Sercan Alkaya, 23, aus Bremen, Student der Politikwissenschaft mit türkischen Wurzeln

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Foto: Privat

Am Morgen nach der Bundestagswahl umhüllte mich ein beängstigendes und schauriges Gefühl. Innerlich kullerten mir schon die Tränen, als ich am Sonntag im Wahllokal half, die Stimmen auszuzählen.

Ich wurde hier geboren, ich bin hier zur Schule gegangen. Bis zu meinem 18 Lebensjahr hatte ich nur die türkische Staatsbürgerschaft, die deutsche habe ich erst mit 18 Jahren beantragen können.

An die alltägliche und strukturelle Ausgrenzung habe ich mich schon gewöhnt, ob bei der Bewerbung oder im sozialen Leben. Dass allerdings eine Partei in unser hohes Haus einzieht, die mit nationalsozialistischer Rhetorik Politik macht, löst in mir panische Angst aus. Ich habe Angst davor, dass die besondere geschichtliche Verantwortung unseres Landes uns, die Ausgegrenzten, nicht mehr beschützen wird. Ich hatte immer das Gefühl, dass die Großstädte wie Bremen, Hamburg oder Berlin immer eine Art Safe Space für die Vielfalt und Multikultur unserer Gesellschaft sind, doch mit dem flächendeckend sehr hohen Ergebnis für die AfD begegne ich jedem Gesicht auf der Straße mit Misstrauen. Ich habe Angst um meine physische Integrität.

„Ein Ordner einer AfD-Demo schrieb mir: ‘Hey, du lebst gefährlich’“

Lea F., 20, wohnt in Freiberg in Mittelsachsen, wo die AfD mit 31,2 Prozent die Mehrheit bekommen hat. Schon vor der Wahl erhielt sie Drohungen. 

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Foto: Johannes Brink

Ja, ich habe Angst nach dem Einzug der AfD in den Bundestag. Nicht vor der Verrohung des Diskurses, nicht davor, dass sie mit sinnlosen Anfragen, deren Antworten sie nicht einmal lesen, die parlamentarische Arbeit blockieren... nein. Das bin ich gewöhnt aus Sachsen. Ich wohne in Freiberg in Mittelsachsen, wo die AfD mit 31,2 Prozent die Mehrheit bekommen hat. Wovor ich Angst habe, sind die einzelnen Typen, die mit absolutem Stolz und unglaublichen Mengen an Selbstbewusstsein verfassungsfeindliche Parolen brüllen und dafür von ihren Fans bejubelt werden. Die davon erzählen, Andersdenkende zu beseitigen, Menschen, auch Deutsche, einfach aufgrund ihrer Profession („Politik- und Sozialwissenschaftler“) und ohne Obergrenze auszuweisen. Die Sätze wie „Rot-Grün aufs Schafott schicken“ offen feiern – ohne, dass jemand davon groß Notiz nehmen würde. Die Polizei schaut tatenlos zu und Gegenprotest findet quasi nicht statt. Bei einer sehr kurzfristig angekündigten Wahlkundgebung der AfD vergangenen Freitag kamen auf 200 AfDler nicht einmal zehn Gegendemonstranten. So schnell konnte keine Gegenkundgebung angemeldet, geschweige denn Protest mobilisiert werden.

Außerdem: Wer widerspricht, wird teils offen bedroht. Ich selbst bin Ortssprecherin der Grünen Jugend und bekomme von AfD-Anhängern Fotos von mir, die sie auf Gegendemonstrationen machen, und Nachrichten. Ein Ordner der AfD-Demo schrieb mir davor: „Hey, du lebst gefährlich.“ Wenn das normal wird, ist es vielleicht schon zu spät. Dass sich dieses Klima, das hier in Teilen Sachsens schon vorherrscht, ausbreitet, weil diese Partei jetzt auch im Bundestag Einfluss hat, macht mir Angst. Obwohl die CDU-Bundestagsabgeordnete meines Wahlkreises bereits laut über eine Koalition mit der AfD nachgedacht hat, muss muss ich fast froh sein, dass sie das Direktmandat haarscharf gewonnen hat. Ihr AfD-Gegenkandidat, der Professor an meiner Uni ist, hat nur knapp ein Prozent weniger Stimmen erhalten. Ich denke, das Wahlergebnis ist weniger die Ursache, als mehr die offensichtliche Folge eines tiefsitzenden gesellschaftlichen Problems. Man wird sehen, ob im Bundestag eine Debatte darüber stattfindet, wie man diese Menschen wieder mitnehmen kann, ansonsten fürchte ich, dass die AfD ab 2019 wohl die stärkste Kraft im sächsischen Landtag stellen wird.

„Ich frage mich, wie Deutschland aussehen wird, wenn ich selbst mal Kinder habe”

Aminata Belli, 25, deutsch-gambische Bloggerin aus Hamburg, hat Sorge, dass der Alltagsrassismus zunehmen wird. In ihrem Wahlkreis haben 5,5 Prozent die AFD gewählt.

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Foto: Eileen Jordan

Durch die AfD-Plakate à la „Neue Deutsche? Machen wir selber!“ habe ich mich noch nicht bedroht gefühlt, sondern eher schikaniert. Den Einzug in den Bundestag nehme ich jetzt allerdings als Bedrohung war. Als Deutsche, die nicht „deutsch“ aussieht, betrifft mich das einfach effektiv. Ich fühle mich von einer Masse dummer Menschen bedroht, weil ich weiß, dass viele dumme Menschen auf einem Haufen echt nicht gut sind. Durch falsche Berichterstattung, Facebook und Co. wird diese Masse vielleicht noch wachsen. Das macht mir Angst.

Im Moment laufe ich durch die Stadt und frage mich, wer wohl die AfD gewählt hat. Total bekloppt – aber obwohl ich damit gerechnet habe, war ich von ihrem Einzug in den Bundestag sehr geschockt. Die Tatsache, dass sich so viele meiner Mitmenschen gegen ein offenes Deutschland entschieden haben, hat mich wirklich sehr wütend und sehr traurig gemacht. Ich war viel emotionaler, als erwartet.

Seit Beginn der „Flüchtlingswelle“ und mit Aufkommen von Pegida und AfD, habe ich bereits viel mehr Ausländerfeindlichkeit und Diskriminierung erlebt. Ich weiß, dass mit einer Zunahme der rechten Kraft der Alltagsrassismus zunimmt, da sich manche Menschen nun bestätigt fühlen und denken, dass sie Dinge sagen „dürfen“, die früher nicht okay waren. Außerdem glaube ich, dass viele Leute auch anders mit Flüchtlingen umgehen werden, da sie die Geflüchteten als Ursache für ihre Probleme sehen. Menschen, die wie ich das Aussehen von Geflüchteten haben, werden ebenfalls betroffen sein.

Ich frage mich, wie Deutschland aussehen wird, wenn ich selbst mal Kinder habe? Denn die werden aufgrund meiner Gene natürlich auch nicht dem Prototyp des „Neuen Deutschen“ entsprechen. Am liebsten würde ich jedem erklären, dass die AfD mit ihrem Wahlprogramm nicht nur gegen Flüchtlinge wettert, sondern gegen so viel mehr. Ich habe das Gefühl, dass ich demonstrieren muss, dass ich alle Plakate abreißen muss und dass ich mich mit den Normaldenkenden zusammentun muss, um die andere Seite zu bekämpfen. Am Ende vielleicht auch nicht der beste Weg, aber ich versuche einfach so gut es geht für ein offenes Deutschland zu stehen.

 

„Das hier ist ein demokratisches Land und ich glaube daran und an die Deutschen”

Adnan Albash, 24, ist Anfang 2015 aus Syrien nach Deutschland geflohen. Er lebt in München und beginnt im Oktober sein Medizinstudium an der LMU.

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Foto: Privat

Ich habe die Wahl am Sonntag im Fernsehen, im Internet und auf Facebook verfolgt. Ich bin traurig, dass so viele Menschen die AfD gewählt haben. Aber ich habe keine Angst.

Warum ich keine Angst habe? Weil ich mir sicher bin, dass Deutschland nicht gegen uns ist. Das hier ist ein demokratisches Land und ich glaube daran und an die Deutschen. Die AfD hat zwar 94 Plätze im Bundestag, aber 87 Prozent der Wähler haben nicht für sie gestimmt und die werden nicht zulassen, dass die AfD Entscheidungen trifft. Ich habe gesehen, wie am Sonntag in Berlin demonstriert wurde und das zeigt ja: Die Wahl mag so ausgegangen sein, aber viele haben aus Enttäuschung die AfD gewählt, viele sicher auch eine falsche Entscheidung getroffen, und wenn es um die Realität geht, machen die Menschen das Richtige. Wirklich, ich lache über die AfD. Sie verbreitet immer falsche Informationen und findet lustige Ausreden dafür, warum Araber schlecht sind. Mir ist egal, was sie sagen, denn ich weiß ja, wer wir sind.

Zum Glück wohne ich in München, einer internationalen Stadt mit vielen Ausländern, in der ich bisher keine schlimmen Situationen erlebt habe. Aber ich höre leider immer wieder von Vorfällen in Bayern auf dem Land oder in Ostdeutschland. Das Wahlergebnis überrascht mich darum auch nicht – ich finde es normal. Es gibt eben immer Vorurteile. Ich bin Palästinenser aus Syrien und immer wenn es Probleme gab, haben die Syrer gesagt: „Ihr seid schuld, ihr seid Flüchtlinge.“ Und das, obwohl wir die gleiche Sprache und die gleiche Religion haben. Darum ist es doch logisch, dass manche Menschen in Deutschland, wo es eine andere Sprache und eine andere Kultur gibt, Vorurteile gegen uns haben. Aber ich begegne hier vor allem sehr viel Liebe und Toleranz.

„Vor allem macht Angst, dass gerade alles so schnell geht”  

Nico (26), Freiberufler, ist bisexuell und wohnt in München. Er macht sich Sorgen, dass Homophobie zunehmen könnte.

Als Bisexueller betrifft mich das Programm der AfD – denn die Partei ist ja bekanntermaßen alles andere als auf die Integration der LGBTQ-Gemeinde aus. Natürlich betrifft es mich aber auch in den anderen Aspekten, weil ich rechte Politik einfach nicht gutheißen kann.

Im Moment ist die Gefahr für mich noch nicht so akut. Ich lebe in München und nehme die Stadt bisher als eher liberal wahr, auf mich sind noch keine rechten Schläger losgegangen. Aber natürlich mache ich mir Sorgen, weil die Bedrohung in Zukunft eben eine andere sein könnte – vor allem macht Angst, dass gerade alles so schnell geht.

Anfangs hat mich noch überrascht, dass die AfD in so kurzer Zeit so viel Macht bekommen hat. Denn im vergangen Jahrzehnt hatte ich eher den Eindruck, dass unsere Gesellschaft offener gegenüber Minderheiten, auch gegenüber der LGBTQ-Gemeinde würde. Jetzt folgt aber eben dieser heftige Rückschritt. Ironisch ist, dass Alice Weidel selbst lesbisch ist – was ja nichts daran ändert, dass die meisten Parteimitglieder homophob sind. Deshalb möchte ich in diesem Artikel auch erst einmal kein Bild von mir – nicht, dass das die falschen Menschen zu Gesicht bekommen.

Vor der Wahl war ich schon sehr pessimistisch. Es wundert mich inzwischen auch nicht mehr im Geringsten, dass die AfD starken Zulauf bekommt. Die Umfragen hatten ihren Erfolg ja schon prophezeit. Nur die Prozentzahl und dass sie tatsächlich die drittstärkste Partei sind, fand ich dann trotzdem sehr krass.

Im Moment versuche ich, mich nicht mehr so sehr mit dem Thema AfD zu beschäftigen. Ich verdränge es quasi. Ich hoffe stattdessen einfach, dass die etablierten Parteien die Wähler wieder auffangen können und dass der Erfolg der AfD langsam wieder abebbt.

„Vor allem darüber, was Sprache macht, werden wir jetzt noch mehr reden müssen”

Amina Yousaf, 27, studiert in Göttingen, ist Kolumnistin für Kleiner Drei und aktives SPD-Mitglied

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Foto: Privat

Obwohl es in den Wochen vorher schon absehbar war, habe ich am Sonntag um 18 Uhr gedacht: „Krass, es ist wirklich passiert.“ Dann habe ich angefangen zu rechnen und mir wurde klar, dass ab sofort fast 100 Nazis im Bundestag sitzen werden. Und dagegen ist man so schrecklich machtlos.

Ich habe Angst davor, dass sich die Gesellschaft jetzt noch weiter nach rechts bewegt. Dass ich damit leben und überleben muss. Es hat in Deutschland schon immer Rassismus gegeben, im Alltag und strukturell. Als nicht-weiße Person erlebe ich das oft. Meine Mutter ist Britin, mein Vater Pakistaner, ich bin in Deutschland geboren und habe die britische und die deutsche Staatsbürgerschaft. Ich trage gerne traditionelle, pakistanische Kleidung, aber je nachdem, wo ich mich aufhalte, überlege ich mir genau, ob ich nicht doch lieber eine Jeans anziehe, weil ich Angst vor verbalen oder körperlichen Attacken habe. Als Kolumnistin für Kleiner Drei schreibe ich viel über meine Erfahrungen, aber auch da überlege ich mittlerweile, ob ich die Nerven dafür habe. Ich werde dann immer gefragt, ob mir das wirklich passiert ist und was meine Beweise dafür sind. Wegen meiner politischen Arbeit haben Rechte schon mal mein Foto und meine Adresse auf Facebook veröffentlicht. Und mittlerweile habe ich aufgehört, mich online zu Terroranschlägen zu äußern, weil es dann immer heißt „Du bist doch auch eine von denen!“ oder „Du musst dich davon distanzieren!“ Ich verlange ja auch nicht von jedem Deutschen, dass er sich mit Stempel und Unterschrift von Gaulands Aussage distanziert, er wolle Aydan Özoguz „in Anatolien entsorgen“.

Vor allem darüber, was Sprache macht, werden wir jetzt, da die AfD im Bundestag sitzt, noch mehr reden müssen. Die Verrohung der Sprache fing mit den ersten großen Pegida-Reden an und hat sich seitdem zugespitzt. Es ist salonfähiger geworden, auf der Straße zu pöbeln und es sind ja nicht nur die großen Gesten, sondern auch die Aufkleber und Plakate der AfD oder der Identitären, mit denen man dort konfrontiert wird. 

Außerdem habe ich Angst, dass das in vier Jahren nicht vorbei ist. Das wird stark davon abhängen, ob es im Bundestag einen starken Gegenpol zur AfD gibt. Mit einer Union, die sich noch weiter nach rechts bewegt, gelingt das nicht. Und die AfD hat jetzt ganz andere Mittel: Man muss sich nur mal überlegen, wie viele Steuergelder jetzt in diese Partei fließen, wie viele Personen aus ihren rechten Kreisen sie anstellen kann – und was das für die weitere Kampagnenfähigkeit und Mobilisierung bedeutet.

Der Aktionismus der deutschen Linken, der jetzt angefangen hat, ist gut und jeder kann und darf zu Demos gehen oder sich organisieren – aber ich finde es genauso wichtig, dass die, die von den Parolen der AfD betroffen sind, sich die Zeit nehmen können, das zu verarbeiten. Nur, weil ich nicht auf eine Demo gehe, sondern es mir gerade gut tut, Katzen-Gifs anzuschauen und mein Lieblingsessen zu bestellen, heißt das nicht, dass ich es gut finde, dass die AfD im Bundestag sitzt.

* Protokolle von Christian Helten, Friedemann Karig, Valérie Müller, Liza Marie Niesmak, Nadja Schlüter, Lara Thiede

 

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