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Die FDP hat das Internet verstanden

Foto: John MacDougall / AFP / Screenshots twitter

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Die FDP ist jetzt jung und shiny. Und digital! Auferstanden nach einem desaströsen Wahlergebnis vor vier Jahren hat sie die größten Gewinne machen können (fast fünf Prozentpunkte), während alle anderen Parteien, mit Ausnahme der AfD, Verluste zu verzeichnen haben. Die FDP will zurück in den Bundestag und hat sich dafür in ein neues, modernes Gewand gehüllt. Kaum eine andere Partei bespielt das Internet und die sozialen Medien so virtuos wie die FDP. Fast 130.000 Menschen folgen ihr bei Facebook – und das als außerparlamentarische Opposition. Den Großparteien SPD und CDU folgen nicht sonderlich viel mehr. Selfies, Memes und Instagram-Stories – die FDP hat gecheckt, wie das Internet funktioniert und kommt damit richtig gut an.

Was ist sonst noch neu? Nicht viel. Die Inhalte sind so ziemlich die gleichen – sie sind eben nur anders verpackt. Was die Partei erfolgreich macht, ist also nicht nur ihre Politik, sondern auch ihr Unterhaltungsfaktor.

Das gilt nicht nur für die FDP: Auch den Schulz-Hype lösten keine Inhalte aus. Allein die Tatsache, dass ein neuer Kandidat (ein frisches Gesicht, das nicht das Sigmar Gabriels war) als ernstzunehmende Alternative zu Merkel antrat, sowie ein paar Schulz-Zug-Memes, die durchs Internet geisterten, reichten aus, um die Umfragewerte der SPD erstmals seit langem wieder in eine Liga mit der CDU zu heben. Was lässt sich daraus lernen und was sagt das über die Gesellschaft aus? 

Lindner wird für seine Kuhkrawatte aus den Neunzigern verarscht. Im nächsten Live-Video trägt er: eine Kuhkrawatte

Die FDP führt gerade einen Wahlkampf, der auf ihren Spitzenkandidaten, Parteivorsitzenden und Posterboy Christian Lindner so zugeschnitten ist wie sein teurer Anzug. Übergroß und in schwarz-weiß ist sein Konterfei auf den Wahlplakaten der Partei zu sehen. Und auch online gibt es reichlich Lindner-Content: Ob Lindner-Selfies, Lindner im Interview oder Lindner ganz „privat” – bei Instagram, Facebook und Twitter gibt es sehr, sehr viele Einblicke in das Schaffen des Spitzenkandidaten. Als Nutzer schreiben, er sehe aus wie ein Thermomix-Verkäufer, und die ersten Memes im Internet trenden, reagiert Lindner souverän und zeigt, dass er sich selbst nicht allzu ernst nimmt. Der Hashtag #ThermiLindner ist geboren, der Publicity-Stunt geglückt.

Vor einigen Tagen taucht dann ein Video auf, das einen 1997-Lindner als Abiturienten und wenig sympathischen Wannabe-Business-Profi mit schrulligem Anzug und Kuhkrawatte zeigt. Das Video macht ihn nahbar und er weiß das und nutzt es. Denn in seinem nächsten Live- Video trägt der Social-Media-Profi was? Genau, eine Kuhkrawatte. Beide Beispiele zeigen: Christian Lindner weiß, wie man auf Netz-Trends souverän reagiert und sie für sich nutzt, selbst wenn sie einen auf den ersten Blick verarschen.  

Mit den Kürzeln CL, für Christian Lindner, oder TL, für Team Lindner, unter jedem Tweet soll Transparenz über den Urheber geschaffen werden. Eine ziemlich einfache aber effektive Maßnahme. Das Team Lindner hat sich ganz schön viel von den Influencern und Youtubern unserer Zeit abgeguckt und ist vom staubigen Politiker-Image abgerückt. Zwischen zwei Terminen wendet sich Lindner in Videoposts mit sehr deepen Messages aus dem Wahlprogramm an seine Follower. Die eher unvorteilhafte, von unten aufgenommene Selfie-Perspektive ist professionell inszeniert und soll besonders authentisch wirken. 

Es geht weniger darum, sich inhaltlich zu positionieren, als möglichst viel mediale Aufmerksamkeit zu generieren

Im ansonsten eher einschläfernden Wahlkampf mit mangelnder Profilschärfe der Parteien (der Gabentisch der Wahlkampfthemen wäre mit dem Diesel-Skandal, diktatorischen und autokratischen Herrschern, die die Sicherheit der Staatengemeinschaft gefährden, oder Extremwetterlagen theoretisch reich gedeckt) geht es weniger darum, sich inhaltlich zu positionieren, als möglichst viel mediale Aufmerksamkeit zu generieren und das Wahlvolk zu entertainen.

Youtuber-Interview, Facebook-Posts oder Snapchat-Content – die Parteien haben sich einiges einfallen lassen, um auch die Smombies hinter ihren Endgeräten hervorzulocken und zur Wahl zu bewegen. Aber keine andere Partei betreibt den Wahlkampf in den sozialen Medien so exzessiv, keine andere Partei hat digital so aufgerüstet, wie die FDP. Die Julis, die Jugendorganisation der Partei, hat sogar einen "Social Media Warroom" eingerichtet. Ausgerechnet die FDP, denn eigentlich hat sie keine Chance auf den Wahlsieg. Sie stellt keinen Kanzlerkandidaten und war zuletzt auch politisch nicht besonders bedeutsam.

Früher bekam sie ihr Gewicht vor allem durch ihre Funktion im Parteiengefüge. Als Koalitionspartner wandte sie sich über die Jahre zwischen der SPD und der Union hin und her und verschaffte ihnen als „Königsmacherin” die benötigten Mehrheiten. Dies änderte sich, als mit den Grünen eine weitere Kraft im Parteienspektrum hinzu kam. 2009 dann erreichte die FDP mit 14,6 Prozent ihr bis dahin bestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl und wurde Juniorpartner der Union. Vier Jahre später, 2013, dann die Quittung: Die FDP schaffte die Fünf-Prozent-Hürde nicht und schied, zum ersten Mal seit Gründung der Bundesrepublik, aus dem Bundestag aus. Für den Spott war bereits gesorgt: Der ehemalige Vizekanzler und FDP-Vorsitzende Philipp „Fipsi” Rösler wurde zuvor wochenlang als Running Gag durch die Satireshows der Republik gereicht. Dem Wahldebakel folgte ein Imagewandel: Aus blau-gelb wurde magenta-gelb, aus Rösler wurde Lindner.

„Digital first, Bedenken second”, der Wahlslogan der FDP könnte zur bitteren Realität werden.

 

„Manchmal muss Dich jemand zwingen, neu anzufangen. Weil Du dann neu denken musst. So haben wir es mit der FDP gemacht, so wollen wir es mit dem Land machen”, erklärt Christian Lindner zu Beginn des neuen FDP-Wahlspots. Es folgen Schwarz-Weiß-Bilder, schnelle Schnitte, Stakkato-Beat und viel, viel Christian Lindner. Die FDP musste sich neu erfinden und das hat sie auch – zumindest äußerlich.

 

Sie ist mit großem Geschütz in den Internetwahlkampf gezogen, mit dem Ziel, junge Menschen, insbesondere die drei Millionen Erstwähler zwischen 18 und 22 Jahren, also die Digital Natives, zu erreichen. Und wo ginge das besser als im Internet? Die Zugangshürden, der Aufwand sowie die Kosten von Tweets, Memes oder Selfie-Videos sind deutlich geringer, als aufwändige TV-Spots oder Plakatkampagnen, ihre Reichweite ist dafür umso größer.

 

Ob die offensive Social-Media-Strategie der FDP aufgeht und wie viele (junge) Wähler sich tatsächlich für die FDP entscheiden, wird sich erst am Wahlsonntag zeigen. Sicher ist, die FDP hat es geschafft, reichlich Aufmerksamkeit zu generieren – und das ist die Einheit, in der in diesen Tagen gemessen wird.

 

„Digital first, Bedenken second”, der Wahlslogan der FDP könnte zur bitteren Realität werden, wenn es zukünftig wahlentscheidend ist, wer das hippste Internetvideo produziert oder wer die lustigsten Memes bastelt. 

Mehr gelungener und weniger gelungener Netz-Wahlkampf:

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