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„Wir fühlen uns entmündigt und degradiert“

Charlotte sagt: „Wenn ich das N-Wort höre, fühle ich mich schäbig.“
Foto: privat

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Das N-Wort darf in Deutschland im Landtag in bestimmten Kontexten verwendet werden. Das hat das Landesverfassungsgericht von Mecklenburg-Vorpommern entschieden. Geklagt hatte der AfD-Politiker Nikolaus Kramer, der das Wort während einer Sitzung im Landtag mehrfach verwendet hatte und deswegen von der linken Landtagsvizevorsitzenden Mignon Schwenke zur Ordnung gerufen wurde. Im Urteil des Gerichts heißt es im Grunde, Kramer habe es ja nicht so gemeint: „Ob es tatsächlich abwertend gemeint ist, kann nur aus dem Zusammenhang beurteilt werden.“ Kramer nennt das Urteil einen „Sieg der Redefreiheit“.

Schwarze Aktivist*innen in Deutschland wollen sich das nicht gefallen lassen. Eine Petition, die fordert, dass das N-Wort als klar rassistisch benannt wird, geht gerade durch die Decke, die Menschen unterschreiben im Sekundentakt, bisher sind es 53 000 Unterzeichner*innen. Auch Prominente wie die Politikerin Aminata Touré, die Rapperin Nura oder die Moderatorin Aminata Belli unterstützen das Anliegen. Initiiert wurde die Petition von der 26-jährigen Hamburgerin Charlotte Nzimiro. Im Interview erzählt sie, wieso sie das Urteil so geschockt hat und was sie sich für unsere Gesellschaft wünscht. 

jetzt: Charlotte, was ging in dir vor, als du von dem Urteil erfahren hast? 

Charlotte Nzimiro: Das war ein Schlag in die Magengrube. Ich saß in der Bahn, als ich die Nachricht gelesen habe. Wenn ich das N-Wort lese, löst das so viele negative Emotionen in mir aus, und das geht allen Schwarzen so. Als ich mich gefangen hatte, habe ich noch in der Bahn die Petition gestartet und direkt losgetippt. Die Argumentation, dass Kramer es ja nicht so gemeint habe, ist so absurd. Ich höre dieses Argument schon mein Leben lang: ,Ich meine das ja gar nicht so. Deswegen darf ich das sagen.‘

Was entgegnest du dann? 

Den Begriff kann man nicht in einen positiven Kontext bringen. Er ist eng mit der Kolionalgeschichte verbunden und einfach rassistisch und diskriminierend. Ich glaube, viele Menschen wollen das nicht verstehen. Vielleicht liegt das auch daran, dass afrikanisch-deutsche Geschichte kaum Beachtung findet, weder in den Medien, noch in Schulen oder im Alltag. Die Argumentation, man meine es ja gar nicht so, kann nur von Menschen  kommen, die sich damit nie auseinandergesetzt haben und die nicht von dem Problem betroffen sind. Wie bei dem Urteil: lauter alte weiße Männer, die entschieden haben, wie wir Schwarze uns fühlen dürfen oder sollen. 

 „Als ich Kind war, standen Nazis vor unserem Haus“

Was verbindest du mit dem N-Wort? 

Das schlimme Gefühl, klein zu sein und keinen Wert zu haben. Das erste Mal habe ich das Wort mit vier oder fünf Jahren gehört, von anderen Kindern beim Spielen. Ich kannte das gar nicht, aber ich wusste gleich, dass es ein schlimmes Wort ist. Ich hab mich so schäbig gefühlt. 

Und dann? 

An dem Tag hatte ich dann das Gespräch, das jedes Schwarze Kind irgendwann hat: Wenn die Eltern dir sagen, dass es Rassismus gibt, dass es Nazis gibt, dass es Menschen gibt, die dich aufgrund deiner Hautfarbe beleidigen. Als ich Kind war, standen Nazis vor unserem Haus. Mein Vater hat die Polizei nicht gerufen, weil er gesagt hat, dass dann eh nichts passiert. Auch in der Schule habe ich das Wort gehört, von Kindern und Lehrkräften. Und ich hatte nicht immer den Rückhalt der Klasse. Wenn ich mich wehren wollte, hieß es immer, ich solle das doch nicht so ernst nehmen. 

Was forderst du mit der Petition? 

Der Begriff muss als eine rassistische Beleidigung eingetragen werden. Wenn mich jemand so nennt, dann will ich die Person anzeigen können, egal, ob sie sagt, sie habe es nicht so gemeint. Ich will mich dagegen wehren können. Der Begriff muss rechtlich neu eingeordnet werden. Und ich will ein Zeichen setzen: Die Schwarze Community hat eine Stimme. Wir sind wichtig für unsere Gesellschaft. 

Was sagt das Urteil für dich über unsere Gesellschaft aus? 

Das sagt so viel darüber aus, dass wir Schwarzen Menschen nicht gesehen und nicht als gleichwertig angesehen werden. Das schränkt unsere Menschenrechte ein. Wir fühlen uns entmündigt und degradiert. Und das ist fast noch schlimmer, als mit dem N-Wort bezeichnet zu werden. So, als hätten wir keinen Platz in dieser Gesellschaft. Ich bin hier aufgewachsen, wir zahlen unsere Steuern, wir arbeiten hier. Wir gehören hierher. 

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