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Schülerinnen aus Österreich trotz Protest abgeschoben

Foto: Christopher Glanzl/APA/dpa

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In der Zinnergasse 29 in Wien war es laut in der Nacht von Mitwoch auf Donnerstag. Etwa 160 Menschen hatten sich vor dem Abschiebezentrum in Wien versammelt, um die Abschiebung dreier Teenagerinnen und ihrer Familienangehörigen nach Georgien beziehungsweise Armenien zu verhindern. Einige Demonstrierende versuchten, den Konvoi der Polizei mit einer Sitzblockade und sperrigen Gegenständen an der Abfahrt zu hindern.

Die Abschiebung hat auch deswegen zu massiven Protesten und Diskussionen geführt, weil Kinder abgeschoben wurden, die in Österreich geboren wurden. Zudem wurde kritisiert, dass Menschen während einer Pandemie abgeschoben werden. Protestiert haben unter anderem Mitschüler*innen, Aktivist*innen und auch Politiker*innen der liberalen Neos, der Grünen (die in Österreich auch an der Regierung beteiligt sind) und der SPÖ. Erfolg hatten sie nicht.

Am Donnerstagnachmittag äußerte sich auch Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen in einer Videobotschaft zu der Abschiebung:  „Ich kann und will nicht glauben, dass wir in einem Land leben, wo dies in dieser Form wirklich notwendig ist“, heißt es darin. Er habe in dieser Frage zwar keine formale Zuständigkeit, aber eine klare Haltung. „Wir müssen einen Weg des menschlichen, respektvollen Umganges miteinander finden. Gerade, wenn Kinder die Hauptleidtragenden sind“, forderte Van der Bellen. „Geben wir dem Wohl von Kindern, von Kindern und Jugendlichen Vorrang“.

Die Polizei hatte die Blockade gegen vier Uhr nachts aufgelöst. Wenige Stunden später meldeten sich die Mitschüler*innen der Mädchen auf Twitter: „Wir können solche Gesetze gelten? Und wie können die Entscheidungsträger*innen noch schlafen?“. Bereits im Vorfeld war der Fall der zwölfjährigen Schülerin Tina durch die Presse gegangen, die am Montagabend mit ihren Eltern in ein Abschiebezentrum gebracht worden war. Lehrkräften und Mitschüler*innen unterstützten die Schülerin, auch eine Petition wurde gestartet, es gab Kundgebungen, die Presse berichtete.

Das Innenministerium erklärte die Entscheidung, die Familie abzuschieben, indem es auf mehrere höchstgerichtliche Entscheide verwies. Wie die Nachrichtenagentur APA berichtet, befand sich die georgische Familie seit vier Jahren unrechtmäßig in Österreich. Nur der Vater halte sich mit einem Touristenvisum rechtmäßig im Land auf. Der Termin des Abschiebeflugs wurde wie üblich nicht im Vorfeld bekannt gegeben. Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) hatte am Mittwochnachmittag die Entscheidung kritisiert und „nicht nachvollziehbar“ genannt. ÖVP-Sicherheitssprecher Karl Mahrer dagegen verteidigte die Abschiebungen und verwies auf die geltende Rechtslage.

Der Asylanwalt Wilfried Embacher beurteilte die Lage im Ö1-Mittagsmagazin am Mittwoch folgendermaßen: „Inhaltlich ist die Problematik die wie in vielen anderen Fällen, dass die Situation der Kinder, obwohl es gesetzlich vorgesehen ist, nicht ausreichend berücksichtigt wird und die Kinder eigentlich immer dem rechtlichen Schicksal der Eltern folgen, obwohl das Kindeswohl vorrangig zu behandeln wäre.“ Seiner Ansicht nach sei eine Abschiebung in ein Land, in dem das Kind weder die Sprache spricht noch jemals eine Schule besucht hat, gleichzusetzen mit der „Zerstörung ihrer Zukunft“. In einem Live-Video des Falter-Chefs Florian Klenk hört man Sprechchöre der Protestierenden und dann, wie die Polizei die Versammlung auflöst. Die Begründung: Diese habe „einen die öffentliche Ordnung bedrohenden Charakter angenommen“. Man sieht, wie die Polizei Demonstrierende wegträgt. „Das ist eine Schande. Es ist fast nicht auszuhalten“, sagt Klenk im Video.

Auf Twitter zeigen sich viele Menschen entsetzt über die Entscheidung. Auch Enttäuschung über die österreichische Regierung wird laut.

Einige kritisieren auch, dass immer besonders betont werde, dass die Schülerinnen besonders gut integriert gewesen seien: „Weil immer wieder betont wird, die Schülerinnen können so gut deutsch und sind so gut integriert: Selbst wenn sie kein Wort Deutsch könnten und schlecht integriert wären, die Abschiebung ist und bleibt falsch, eine unmenschliche Katastrophe“, schreibt eine Nutzerin.

Der Fall könnte auch zu Spannungen innerhalb der Regierung aus konservativer ÖVP und den Grünen führen. Im Vorfeld der Abschiebung hatten sich Grüne für den Verbleib der Familie und eine „menschliche Lösung“ eingesetzt.

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soas (mit Material von dpa)

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