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Warum wir uns über die Partypolizisten freuen sollten

Illustration: Federico Delfrati

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Sie haben gegen einen Zaun gepinkelt, gesoffen, „gebumst“ – und eine Polizistin strippte Berichten zufolge sogar im Bademantel mit der Dienstwaffe. Drei Hundertschaften Berliner Polizisten wurden heimgeschickt, zur Strafe für eine wilde Partynacht in einem Containerdorf in Bad Segeberg, einer 15000 Einwohnergemeinde 70 Kilometer nördlich von Hamburg. Dort bereiteten sie sich auf den Hamburger G20-Gipfel vor.

Wegen „übermäßigem Alkoholkonsum, lautstarker Musik und möglicherweise auch Sachbeschädigungen“, so ein Berliner Polizeisprecher, zusammengefasst: „einfach nur peinlichem Verhalten“, wurde ihr Einsatz beendet. Für den Sprecher steht fest: „Man kann man nicht wie irre feiern und in der Öffentlichkeit bumsen.“

Deutschland ist erbost. Der Beamte hat nicht zu eskalieren.

Das erinnert an Klassenfahrtjustiz: Alle müssen büßen, weil ein paar Rabauken Mist gebaut haben. Schon der Versuchsaufbau – eine Horde junger Menschen wenig artgerecht fernab der Großstadt eingepfercht – klingt nach Oberstufe. Und damit zwangsläufig nach Ärger. Nach der Alarmierung der Öffentlichkeit war Nichtbestrafen keine Option mehr.

Denn Deutschland ist erbost. Der Beamte hat nicht zu eskalieren, finden seine Dienstherren in der Innenpolitik. Sogar der Grüne Innenpolitiker Benedikt Lux bat die Polizisten, künftig „professioneller mit Langeweile umzugehen.“ „Das Netz“ zeigte sich natürlich erfreut über die Kuriosität – und verblödelte sich routiniert irgendwo zwischen Häme, Voyeurismus und dem Wettrennen um den dümmsten Gag. Eins, zwei, Polizei.

Dass genug Deutsche jedes Wochenende an Zäune pinkeln, saufen und vielleicht sogar „bumsen“ (in Berlin sowieso), und sich trotzdem alle über ein paar besoffene Polizisten a.D. aufregen, kann man als letztes Zucken eines Spießertums deuten, das „bumsen“ in Anführungszeichen setzt und mit weichem s ausspricht. Und bei anderen verurteilt, was es selber gerne täte. Vorbildfunktion ja. Gruppendynamik aber eben auch. Wir alle kennen das – und erkennen die Doppelmoral. Und wie immer kann man das alles auch ignorieren. Smartphone aus und Ruhe. Aber eigentlich, finde ich, eigentlich sollte man sich freuen. Denn das Halligalli-Drecksaufest macht etwas sehr Wichtiges mit den Polizisten: Es macht sie zu Menschen.

Respekt gewinnt man nicht durch tadelloses Verhalten. Sondern durch Schwäche.

Wer je unter den wachsamen Helmvisieren einer Hundertschaft zu einem Fußballspiel marschierte, ein Konzert besuchte, bei einer Demo mitlief, sprich: wer manchmal rausgeht und nicht nur zu Hause die Nase rümpft über andere, der weiß um die Problematik von „Masse und Macht“ (Elias Canetti), unter deren Räder der einzelne geraten kann. Um die seltsame Dynamik der Entmenschlichung, auf beiden Seiten, die rund um Uniformierte leider oft entsteht.

Viel wohler geht es mir in dem Gefühl, dass die Typen mit dem Gewaltmonopol und den Schlagstöcken wenigstens manchmal aus der Rolle fallen. Denn nur dann können sie gegenüber Ausfallenden adäquat reagieren. Und die Ausfallenden wiederum verstehen, dass sie Biertrinker, Mütter, Fußballfans in Uniform vor sich haben, keine Roboter. Respekt gewinnt man nicht durch tadelloses Verhalten. Sondern durch Schwäche.

Dass in den Listen jüngster Ausfälligkeiten von Berliner Polizisten nun Drogendealen und das Verbreiten von sexy Bildern von Kolleginnen aufgezählt werden, ist ungerecht. Denn diese Vergehen sind kriminell und übergriffig. Die deutsche Polizei hat in Teilen ein strukturelles Problem, es lautet Rechtsradikalismus, und das ist wieder eine ganz andere Qualität als eine zu krasse Party. Klar, der Missbrauch der Dienstwaffe und die Randale, wenn das denn überhaupt stimmt (noch weiß man nichts sicher), das geht nicht. 

Hingegen gemeinsam in einer Gruppe die Sau rauslassen, und zwar ironischerweise so laut, dass die Nachbarn sich beschweren und die Sause zur Schlagzeile wird, das fällt meiner Meinung nach unter Recht auf Rausch. Ich würde das jederzeit für mich in Anspruch nehmen. Da hat sich bei mir die Polizei erstmal nicht einzumischen. Und andersrum gilt das grundsätzlich genauso. 

In diesem Sinne reagierten auch die Berliner Polizisten selbst auf Facebook nur so mittelkleinlaut: „Ja, wir haben gefeiert!“ Und zwar den Geburtstag zweier Kollegen. Nicht öffentlich, aber „aus dem Ruder gelaufen“. So viel gab man zu, denn: „In unserer Einsatzkleidung stecken Menschen.“ Und überhaupt: Schon auf dem Heimweg hätten die Feierbiester wieder funktioniert. Eine Verkehrsumleitung auf der Autobahn nach einem Stromausfall in Köpenick regelten sie ohne weitere Ausfälle. 

Natürlich sollen sich Deutschlands Polizisten nicht täglich kollektiv wegknallen (wobei das Ergebnis sicher interessant wäre). Natürlich ist Dienst Dienst und Saufen Saufen (eine Regel, die übrigens jeder zweite Tatort lustvoll sabotiert, Stichwort Vorbildfunktion). Aber wer wochenlang in einem „Containerdorf“ in Bad Segeberg einkaserniert ist, mit Aussicht auf ein paar linke G20-Pflastersteine auf den Kopf als Belohnung, dem kann man schwer verdenken, wenn er aus Langweile mal einen über den Durst trinkt.

Dass die Fete nun genauestens analysiert wird, mit allen pikanten Details, zeigt nur, dass sie im Rahmen blieb. Wie sagte Falco über die 80er: „Wer sich dran erinnert, war nicht dabei.“ So lange nicht die gesamte Bundespolizei per Filmriss neben dem Abend und dem Benehmen auch das Grundgesetz vergisst, auf das sie geschworen haben, so lange sollen sie doch, ausnahmsweise: saufen, tanzen, „bumsen.“ Vielleicht nächstes Mal ein bisschen leiser. 

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