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Wollen Frauen lieber eine Tochter als einen Sohn?

Wünschen sich Frauen eher eine Tochter als einen Sohn? Und wenn ja: wieso?
Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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Liebe Frauen,

in einer fiktiven Kurzgeschichte schreibt die Autorin Sibylle Berg vom Leben mit einem zwanzigjährigen Sohn, der sich von einem süßen Kind zu einem grobhirnigen Fußball-Vieh entwickelt hat. Er stinkt, säuft, kotzt, hört aggressiven Deutschrap, besetzt mit seinen rechten Fußball-Kameraden grölend die Wohnung, lässt vollgewichste Taschentücher rumliegen. Die Geschichte endet damit, dass die Erzählerin es nicht mehr aushält, heimlich das Gas aufdreht und die Wohnung verlässt.

Solche Metamorphosen vom braven Knaben zum garstigen Halbstarken soll es ja tatsächlich geben

Was da beschrieben wird, ist so ziemlich das destillierte Feindbild vieler Feministinnen, aber auch insgesamt vieler Menschen: Der Mann, auf seine niedersten Triebe reduziert. Ein schnaubendes, dummes, selbstsüchtiges Wesen auf zwei Beinen, unfähig zu Empathie, geschweige denn zu abstrakten Gedanken über sich und die Welt. Und mit nicht mal ansatzweisem Gespür für Inneneinrichtung. Das Fatalste daran: Die Mutter in dieser Geschichte hat ihr Bestes getan, um dem Sohn Eigenschaften wie Mitgefühl oder Kultiviertheit zu vermitteln. Aber sie kommt nicht gegen die Natur an, die ihrem zarten Büblein irgendwann einfach ordentlich Hormone durch den Körper jagt und ihn zu diesem Fressen-Ficken-Töten-Wesen macht.

Natürlich ist das alles sehr überzogen dargestellt. Gleichzeitig ist es nicht so, als ob es mit der Wahrheit gar nichts zu tun hat. Solche Metamorphosen vom braven Knaben zum garstigen Halbstarken soll es ja tatsächlich geben. Die Mutter in der Geschichte verzweifelt an ihrem Sohn, fühlt sich in ihrem Zuhause nicht mehr wohl, ist in ihrem Handeln nicht mehr frei. Deshalb, Hand auf’s Herz: Falls ihr denn überhaupt Kinder wollt – lieber ein Mädchen? Denn abgesehen von dem persönlichen Horror für euch als Mütter – hättet ihr nicht auch Angst, dem gesellschaftlichen Rückschritt Vorschub zu leisten, indem ihr einen weiteren potentiellen Grapscher, Schläger oder cholerischen Chef zeugt?

Im Berg-Text heißt es: „Von ein paar unterbelichteten Frauen abgesehen, geht der Großteil des Leides, das auf dieser Welt anderen zugefügt wird, von pubertierenden Männern aus.“ Seht ihr das auch so? Oder sagt ihr euch: „Herausforderung angenommen!“?

Oder graut es euch am Ende vielleicht sogar noch mehr vor einem Mädchen, das irgendwann anfängt, diese Fressen-Ficken-Töten-Wesen auch noch anzuhimmeln?

Eure Männer

Die Antwort:

Liebe Männer, 

die kurze Antwort ist: Natürlich sagen wir: „Herausforderung angenommen!“ Und am Ende wäre alles andere ja auch Quatsch – mit Kindern ist es ja ohnehin so, dass man sie nehmen muss, wie sie auf die Welt kommen. Und dass man sie, zumindest stelle ich als Kinderlose mir das vor, ohnehin liebt – egal, welches Geschlecht das Wesen dann hat. Wichtig ist dabei auch: Mein Kind könnte auch trans sein oder non-binär, das will ich mit meiner Antwort nicht ausschließen. Trotzdem soll es, der Einfachheit halber, im Folgenden um cisgeschlechtliche Söhne und Töchter gehen. Die lange Antwort ist natürlich, wie immer, ein bisschen komplizierter.

Der Mensch, den Sibylle Berg da beschreibt, ist wahrscheinlich nicht nur der Horror jeder Mutter, sondern auch jedes Vaters und ganz allgemein jedes Elternteils, das halbwegs empathisch und menschenfreundlich ist. Wer will schon einen rechtsradikalen, grölenden, saufenden und Spermaspuren unter dem Bett sammelnden 20-Jährigen bei sich hausen haben, der auf niemanden Rücksicht nimmt und dazu auch noch stinkt? Deshalb finde ich es auch spannend, dass in eurer Frage gar keine Rede davon ist, wie ihr einen solchen Sohn fändet. Ich hoffe jetzt einfach mal: nicht so geil. 

Früher wollte ich unbedingt und diskussionslos Töchter. Und zwar zwei

Statistisch gesehen ist es tatsächlich so, dass sich viele Frauen eher eine Tochter wünschen, zumindest, wenn es um das erste Kind geht: In einer nicht repräsentativen Umfrage des Schweizer Tages-Anzeigers gaben 46 Prozent von 2035 befragten Frauen an, sich beim ersten Kind ein Mädchen zu wünschen. Nur jede Fünfte wünscht sich explizit einen Sohn. Der Rest gab an, dass das Geschlecht egal sei.

Meine eigene, sehr persönliche und ehrliche Antwort ist zweigeteilt: Früher wollte ich unbedingt und diskussionslos Töchter. Und zwar zwei. Der erste Grund dafür ist naheliegend: Ich bin selbst mit einer Schwester aufgewachsen, sie ist der beste Mensch, den ich kenne. Der zweite Grund ist diffuser: Ich habe das Gefühl, ich könnte eine Tochter besser verstehen, weil ich vieles von dem, was sie im Laufe ihres Lebens durchmacht, auch so oder so ähnlich erlebt habe. Beispielsweise wäre ich  wirklich gerne für meine Tochter da, wenn sie ihre erste Periode hat. Ich würde versuchen, sie darin zu bestärken, ihren Weg zu gehen, auch wenn das als Frau manchmal schwieriger ist als als Mann. Und ihr klar machen, wie unendlich wichtig andere, gute Frauen im Leben einer Frau sind. 

Meine Schwester nannte mich früher immer unfair und irrational, wenn ich mal wieder sagte, dass ich unter KEINEN UMSTÄNDEN einen (oder sogar mehrere!) Söhne wöllte. Sie ist da, glaube ich, etwas weniger radikal als ich. Natürlich waren diese Gedanken rein fiktiv, sie sind es bis heute, ich habe noch keine Kinder. Und natürlich würde ich auch einen Sohn lieben, würde ihn nicht loswerden wollen oder weniger mögen als eine Tochter. Mittlerweile kann ich es mir sogar besser vorstellen, einen großzuziehen. Das liegt auch daran, dass Freundinnen von mir in den vergangenen Jahren Jungs geboren haben, die ich sehr liebe – und die sicher, hoffentlich, mal tolle Männer werden, die nichts mit dem Wesen aus der Kurzgeschichte von Sibylle Berg zu tun haben. Aus feministischer Perspektive wäre es vielleicht sogar klug, einen Sohn zu bekommen. Denn einen Jungen zu einem Mann zu erziehen, der sich seiner Privilegien bewusst ist – und dann auch so handelt – das wäre für die Gesellschaft zumindest gewinnbringend. 

Wir haben wahrscheinlich alle vor allem den Wunsch, unser Kind zu einem guten Menschen zu erziehen – unabhängig vom Geschlecht

Eine kleine private Umfrage in meinem Umfeld ergab allerdings, dass es vielen Frauen ohne Kinder geht wie mir: „Eigentlich ist mir Geschlecht egal“, sagen viele erst – und schieben dann nach: „Aber irgendwie wollte ich schon immer eine Tochter“. Die eine, weil sie, wie ich, mit Schwestern aufgewachsen ist. Eine andere aus radikalfeministischer Perspektive – Männer machten ihr auch so schon genug Ärger, sagt sie. Die nächste aus diesem diffusen Gefühl heraus, das ich schon beschrieben habe: „Bei einem Mädchen fühle ich vielleicht eher jeden Entwicklungsschritt nach“, sagt sie. Eine andere dagegen wollte immer einen Sohn – sie wuchs mit drei Brüdern auf. Meine Theorie ist: Wir wünschen uns oft das, was wir kennen oder selbst haben wollten – eine Tochter, weil wir eine tolle Schwester haben, eine Tochter und einen Sohn, wenn wir uns immer einen Bruder gewünscht haben, einen Sohn, wenn wir unsere Brüder lieben. Einer meiner liebsten Sätze aus der kleinen Umfrage ist: „Bei einem Mädchen ist die erzieherische Herausforderung, dass sie selbstbestimmt wird, und beim Jungen, dass er kein misogynes Arschloch wird“. Das stimmt, unterm Strich, auch wenn es hart klingt.

Und das ist wahrscheinlich auch der Anspruch, den alle Menschen mit Kinderwunsch haben: Unser Kind zu einem Menschen zu erziehen, der empathisch ist, andere nicht ausnutzt und niemanden diskriminiert, der nachdenkt, nicht zur Gewalt neigt, zuhört und auf seine Umwelt und seine Mitmenschen acht gibt. Das ist wahrscheinlich schon schwer genug. 

Ich persönlich habe dennoch, tief in mir drin, den Wunsch nach einer Tochter. Die Söhne meiner Freundinnen kann ich ja immer noch besuchen. Sorry, Boys.

Kleiner Trost: In der Hand haben wir es ja dann doch nicht. 

Eure Frauen 

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