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Rap Review Rendezvous – Vol. IX. Wir hören neue Platten mit Björn Beton (Fettes Brot)

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In dieser Kolumne geht es um einen Dialog. Um ein Zwiegespräch zwischen Rapper und Rezensent. Aus diesem Anlass haben wir uns diesmal Björn Beton von Fettes Brot mit ins Boot geholt. Einer Band also, die zusammen mit Leuten wie den Beginnern oder der Tobi und das Bo vor zehn Jahren die Hansestadt Hamburg zum Herzstück der hiesigen HipHop-Szene hat werden lassen und seitdem konsequent und gemeinsam erfolgreich weiter an ihrer ureigenen Version genreübergreifender Rap-Musik werkelt. Derzeit arbeitet das Trio an gleich zwei neuen Alben für 2010, die beide mit Band eingespielt werden. Es dürfte also spannend werden im nächsten Frühjahr. „Da draußen“

Aber jetzt geht es los mit dem Rap Review Rendezvous und:

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die Orsons - "Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit, in Ewigkeit, Orsons" jetzt.de: Wie hast du das Album aufgenommen? Björn Beton: Ich hatte zur Platte bereits eine vernichtende Kritik gelesen, die den Orsons aber durchaus zugestanden hat, mit diesem Album etwas ganz Eigenes geschaffen zu haben. Ich selbst finde das musikalisch auf jeden Fall sehr innovativ und spannend, habe inhaltlich aber nicht verstanden, was die eigentlich von mir wollen. Auch nach mehrmaligem Durchlauf nicht. Vielleicht soll das auch so sein, aber ich hätte gerne etwas mehr über die Menschen hinter den Stücken erfahren, so wie sie es in "4PigsAquaCadillacStill“ kurz andeuten. Ist das ein Aspekt, der dir generell beim Hören einer Platte wichtig ist? Nein, nicht unbedingt. Man kann auf einem Album genauso gut eine Fantasiefigur etablieren, aber es muss irgendwie nachvollziehbar bleiben. Ich frage mich immer, was für ein Gemeinschaftsgefühl eine Platte erzeugt. Und das Gemeinschaftsgefühl bei diesem Album scheint zu sein: „Wir sind alle scheißdumm, hurra!“ Das ist mein Eindruck. „Es fühlt sich gut an, ein Orson zu sein“:

In der HipHop-Szene werden die Orsons sehr gespalten aufgenommen. Die einen feiern sie als Vertreter eines längst überfällig gewordenen neuen Love-Movements, die anderen fühlen ihren harten Straßen-Rap-Lifestyle verarscht und verraten. Du scheinst ein bisschen ratlos zwischen den Stühlen zu sitzen. Dass jemand seinen Straßenlifestyle dadurch verraten sieht, weil die Jungs einen humorvollen bis dadaistischen Ansatz in ihren Texten verfolgen, dafür habe ich kein Verständnis. Das finde ich vollkommen in Ordnung – völlig unabhängig davon, ob das nun auch interessant ist. Per se finde ich es immer spannend, die Grenzen zwischen Rap-Handwerk und Popmusik aufzuheben. Die Jungs haben auf jeden Fall Talent. Auf Disses reagiert man im Rap oft mit Gegendisses, auf verbalierten Hass mit Hass. Die Orsons setzen jetzt mit Liebe dagegen. Kann das in einer Battle-Kultur wie HipHop funktionieren? Natürlich. Auf Hass mit Liebe zu reagieren ist ja prinzipiell erst einmal ein guter Plan. Aber ich bin mir gar nicht so sicher, ob die Band sich tatsächlich zum Ziel gesetzt hat, die Aggressionen im HipHop mit Liebe zu bekämpfen. Ihnen ging es wohl vielmehr darum, ihren Spaß an der Musik zum Ausdruck zu bringen. Viele Leute machen Musik, weil sie sich etwas von der Seele schreiben wollen und der Schmerz aus ihnen heraus will. Aus den Orsons möchte hingegen der Spaß heraus. Beides ist natürlich vollkommen legitim und in Ordnung.


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Glashaus - "Neu" Konntest du mit der Glashaus-Platte etwas anfangen? Nein. Deswegen kann ich nur hoffen, dass Moses Pelham inzwischen nicht mehr so vielen Leuten die Nase bricht, falls er das hier lesen sollte. „Neu“ hört sich nach einer Platte ehemaliger Werbemucker an, die sich in punkto Sound nie mitbewegt haben. Alles ist wahnsinnig glatt gebügelt, es gibt keinerlei Ecken und Kanten. Man möchte diesen Menschen sofort Platten von Leuten wie Bill Withers vorspielen, wo sich manchmal nach der Hälfte eines Songs plötzlich Instrumente in den Vordergrund spielen, die so irrsinnig laut sind, dass einem fast die Ohren abfallen. Aber gerade dieser Umstand macht das Soundbild einer Platten aus. Das neue Glashaus-Album hingegen ist dermaßen radiomäßig gemischt, dass es einfach langweilig klingt, obwohl die Kompositionen an sich teilweise gar nicht so verkehrt sind. „Das hier“:
Moses Pelham stammt quasi aus der ersten Generation von HipHoppern in Deutschland und hat mal in einem Interview gesagt, dass HipHop immer noch der Motor ist von allem, was er macht. Hast du das auf dieser Platte irgendwo herausgehört? Nein. Aber ich kann sein Selbstverständnis total nachvollziehen, denn das ist bei mir ähnlich. Wenn ich plötzlich Ska-Musik mache, bleibt HipHop trotzdem nach wie vor meine Basis und mein Antrieb, auch wenn man das nicht mehr 1:1 heraushören kann. Moses’ Ansatz war früher immer der, durch seine Musik Probleme zu verarbeiten… Mein Gott! Was ist denn in seiner Kindheit bloß passiert, dass er immer nur Kampflieder und Durchhalteparolen bringen muss? Wie verzweifelt leidend ist denn dieser Mensch? Das Gemeinschaftsgefühl, dass bei dieser Platte am Ende rumkommt, ist: „Wir sind alle Opfer und haben es schwer.“ Mir gibt das aber keine Kraft, sondern nimmt sie mir. Andere Leute mögen sich in diesen Liedern wiederfinden, aber mich zieht das einfach nur runter. Das saugt mich aus. Außerdem hätte ich viel mehr Lust, über die neue Mayer Hawthorne-Platte zu reden. Die Mayer-Hawthorne-Platte findest du im Gegensatz zum Glashaus-Album demnach hervorragend? Allerdings. Ich habe eigentlich gedacht, dass ich mit diesem Mark-Ronson-60s-Retro-Soul langsam durch bin. Aber ganz im Gegenteil: „A Strange Arrangement“ hat mich total umgehauen. Ein Wahnsinns-Album mit super Texten. Die kann ich im Moment wirklich nur jedem weiterempfehlen. „Maybe so, maybe no“

Wie bist du denn auf dieses Album aufmerksam geworden? Da möchte ich mich recht herzlich beim Internet bedanken. In irgendeinem Blog stand etwas dazu, außerdem war ein Video eingebunden – so funktioniert das ja häufig. Ich möchte hier gerne mit dem Appell enden: Liebes Glashaus-Publikum und liebe Soulmates von Glashaus, Musik mit Gefühl ist grundsätzlich etwas Schönes. Checkt mal bitte die neue Mayer Hawthorne-Platte, denn um dort etwas zu fühlen, muss man noch nicht einmal des Englischen mächtig sein. Herrlich.


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Marc Hype & Jim Dunloop - "Stamp Out Reality" Seit 2004 wird Marc Hype bei seinen DJ-Sets von Jim Dunloop am Piano begleitet, sodass Funkbreaks und Old School-HipHop mit live gespielten Pianoläufen zusammenfließen. Dieses Konzept haben die Beiden nun auf „Stamp Out Reality“ einzufangen versucht. Ist ihnen das gelungen? Ja, und zwar mit einem sehr dichten Sound. Die sind eine Band geworden. Nach zwölf Songs hat man es dann allerdings auch begriffen, so dass eine andere Instrumentierung wünschenswert gewesen wäre. Die Platte läuft zwar durch, aber man kann am Ende keinen Song herauspicken. Unter Pop-Aspekten fehlt der Platte ein Hit. Aber vermutlich war das auch so beabsichtigt, ich gebe dieser Platte sechs Latte Macchiato. „Rare Occasion“

Marc Hype & Jim Dunloop - "Rare Occasion" feat. Malena Perez from Marc Hype on Vimeo. Würdest du denn auf eine Party gehen wollen, bei denen die beiden für die Musik zuständig sind? Ja. Aber nur mit Leuten, mit denen ich quatschen möchte. Das ist keine Musik, bei der ich vorne am Bühnenrand stehe und lauthals nach Mehr verlange. Das peitscht mich nicht auf. Für mich ist das eher Musik, die nachmittags in einem Café läuft. Wenn man den Beiden etwas Böses wollen würde, könnte man auch „Lounge-Musik“ sagen. Das Gemeinschaftsgefühl bei Marc Hype & Jim Dunloop ist: „Ich bin über 30 und habe Geschmack.“ Aber das trifft auf mich ja auch ganz hervorragend zu. „Who I Be“

Haben dir auf der Platte denn eher die instrumentalen Tracks, die Rap-Songs oder die Gesangs-Stücke gefallen? Die Rap-Stücke. Die waren so Jurassic 5-mäßig. Und wenn wir jetzt schon über einen Retro-Rap-Sound reden, möchte ich allen Lesern der jetzt.de-Seite gerne Diamond District ans Herz legen. Eine ganz tolle Band aus Washington, die bereits verschiedene Mixtapes und nun eben auch ihr erstes reguläres Album „In The Ruff“ herausgebracht hat. Freunde vom sogenannten Golden Age Of HipHop sind mit Diamond District auf jeden Fall gut beraten. DAS würde bei mir laufen, bevor ich abends ausgehe.


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

BK-One - "Rádio Do Canibal" Die Idee hinter dem Album war die, auf der Grundlage brasilianischer Musik Rap-Tracks zusammenzubasteln und dafür einige namhafte Künstler wie Raekwon, Murs oder Black Thought von den Roots ins Studio zu bitten. Was hältst du von diesem Ansatz? Auf mich wirkte das alles ein bisschen zu ausgedacht. Natürlich ist Brasilien ein kulturell vielfältiges Land, aber davon konnte man auf der Platte nicht viel hören. Die ist mir ein bisschen zu eintönig. Dir war also die Bandbreite brasilianischer Musik zu klein? Ja, weil die eben sehr viel größer ist, als es diese Platte abdeckt. Das Album könnte sicherlich gut hinter „Stamp Out Reality“ von Marc Hype & Jim Dunloop laufen. Obwohl das weniger etwas für Cafés ist, sondern mehr für Agenturen. Das Gemeinschaftsgefühl dieser Platte ist: „Die Seite muss bis Dienstag online sein.“ Ich gebe wieder sechs Latte Macchiato. Mehr kann ich echt nicht trinken. „Here I Am“

Wenn du also gefragt worden wärest, auf einen Latte Macchiato im Studio vorbeizukommen, hättest du dankend abgelehnt? Ja, vermutlich. Wenn BK-One ein guter Freund von mir wäre, wäre ich aber wahrscheinlich dabei gewesen. Allerdings unter der Bedingung, dass man dann etwas Besonderes kreiert. Dass man zum Beispiel was mit einem Berimbau macht, diesem Musikbogen, der das Hauptinstrument bei Capoeira ist. Ich würde den musikalischen Ausreißer suchen. Glaubst du, dass über so ein Projekt mehr Interesse an anderen Kulturen geweckt werden kann? Schwer zu sagen. Ich bin zumindest nicht neugieriger auf Brasilien geworden als ich es eh schon war. Zumal diese Platte sehr viel kleiner ist als das, was die Musiklandschaft in Brasilien so zu bieten hat.


She MC - "She-nesisch für Anfänger" Dann lass uns doch mal über die letzte Platte sprechen von She MC. Die hast du dir absichtlich bis zum Schluss aufgespart, kann das sein? Vielleicht. Ich bin auf jeden Fall gespannt, was du von dem Album hältst. Ich freue mich ja vor allem wahnsinnig auf die kommende Wale-Platte. Mein momentanes Lieblingslied ist derzeit aber von K-Os und heißt „I Wish I Knew Natalie Portman“. Das sollten sich alle jetzt.de-Leser gleich mal anhören – falls sie es nicht eh schon kennen. Das ist ein Superhit. K-Os ist, genau wie Wale, ein Lichtblick im HipHop, der mir unheimlich Spaß macht, weil die Musik nicht so langweilig, tot und zombieartig daherkommt wie bei manch anderen Veröffentlichungen. Das verschafft mir noch diese Block-Party-Momente, die mir sofort ans Herz gehen und mich an den Eiern packen. „I Wish I Knew Natalie Portman“

Von She MC hingegen würdest du dich also nicht so gerne an den Eiern packen lassen, nein? Wir befinden uns jetzt auf ganz dünnem Eis, ausgerechnet bei Female-Rap sexuelle Anspielungen zu machen. Ich möchte daher darauf hinweisen, dass diese Überleitung von dir kam. „Puppenspieler“

Das riskiere ich und nehme es voll und ganz auf meine Kappe. Na gut. Dann kommen wir eben noch kurz zu She MC, über die ich gar nicht allzu viele Worte verlieren möchte. Die Platte ist ein ganz schwieriges Thema, denn darauf gibt es von allem viel zu viel. Die Komposition, das seltsame Verhältnis zwischen blasen und denken, zwischen Gefühl und animalischem Sex – ich verstehe das irgendwie nicht. Das Gemeinschaftsgefühl hier ist: „Gucken wir gleich noch eine Folge ‚Sex And The City’“?


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Björn Betons Alltime-Album-Top-Five: 5. Chromeo – "Fancy Footwork" Aus unerfindlichen Gründen gibt es die Platte gerade nicht bei iTunes, aber die findet schon ihren Weg. Das ist einfach gute Tanzmusik, bei der alles stimmt – auch wenn deren 80s-Pop natürlich ein bisschen retro ist. 4. Pharcyde – "Bizarre Ride II The Pharcyde" Rapmusik und Spaß ohne Ende. Die Platte hat Fettes Brot die Erlaubnis erteilt zu singen. Vorher wären wir gar nicht auf die Idee gekommen. 3. De La Soul – Das Gesamtwerk, aber insbesondere „3 Feet High And Rising“ „3 Feet High And Rising“ ist eine der innovativsten Rap-Platten überhaupt. Die hat HipHop eine ganz neue Tür geöffnet hat, die bis heute sperrangelweit offen steht und durch die bereits eine Menge berühmter Leute gegangen sind. Ganz viele grandiose Platten hätte es ohne dieses Album niemals gegeben. 2. Curtis Mayfield – "Sweet Exorcist" Dazu muss ich nichts mehr sagen, die erklärt sich von selbst. 1. Reflection Eternal – "Train of Thought" Wahnsinnig musikalisch dichter Sound, trotzdem mit einer unglaublichen Bandbreite ausgestattet. Bis heute die beste Platte von Hi-Tek, aber auch von Talib Kweli. Bei jedem Lied denke ich immer wieder: „Boah, das ist auch geil!“ Eine Platte, die man ohne Bedenken auf Repeat stellen kann, weil man gar nicht sagen kann, welcher Song eigentlich der geilste ist.

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