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Was die Debatte um „Die letzte Instanz“ zeigt

Wenn weiße Menschen rassistische Beleidungen unbedingt verwenden wollen, geht es um Machtstrukturen.
Illustration: FDE

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Wir Menschen haben einen Beleidigungsradar. Sprich: Wir lernen, welche Begriffe wen potentiell beleidigen könnten, was gemeinhin als unhöflich und was als respektvoll gilt. Eine Beleidigung erkennt man zum Beispiel daran, dass man sie mit der Absicht verwendet, eine andere Person zu verletzen. Oder auch daran, dass Menschen sich durch eine Äußerung verletzt fühlen – ob das nun beabsichtigt war oder nicht. Es könnte so einfach sein. 

Leider scheint der Beleidigungsradar in bestimmten Fällen nicht so richtig zu funktionieren. Und zwar auffällig oft dann, wenn es um Begriffe geht, die bestimmte Menschen diskriminieren – zum Beispiel um rassistische Beleidigungen. Was gemeinhin als selbstverständlich gilt, wird da ganz grundsätzlich hinterfragt. Und die Norm, dass man auf Beleidigungen verzichtet, wenn man sie nicht beabsichtigt, wird plötzlich zum Politikum. 

Das passierte auch in der WDR-Sendung „Die letzte Instanz“, die vergangenen Freitagabend als Wiederholung ausgestrahlt wurde. Zur Diskussion gestellt wurde da, ob man noch diskriminierende Begriffe wie „Z-sauce“ sowie das N- und das M-Wort sagen dürfe. Zu Gast bei besagtem Meinungs-Talk waren Schauspielerin Janine Kunze, Schlagersänger Jürgen Milski und die Moderatoren Micky Beisenherz und Thomas Gottschalk. Ihre Gemeinsamkeiten: Sie alle sind weiße, eher privilegierte Promis. Und: Sie waren sich nach maximal ignoranter Diskussions-Performance einig, dass man besagte rassistische Begriffe selbstverständlich noch verwenden solle.

Den Anwesenden allein Respekt- und Empathielosigkeit vorzuwerfen, packt das Problem nicht an der Wurzel

Sehr vieles in dieser Sendung lief falsch. Angefangen damit, dass gefragt wurde, was man noch sagen dürfe – während es doch eigentlich darum geht, was man sagen will. Oder dass deutsche Medienhäuser wohl immer noch nicht kapiert haben, dass Talkrunden zu Rassismus ohne Betroffene und Expert*innen sinnlos sind. Mittlerweile haben sich der WDR, sowie Steffen Hallaschka, Janine Kunze und Micky Beisenherz öffentlich entschuldigt. Man wollte niemanden verletzen, schon klar. Darum geht es aber längst nicht mehr. Rassistische Beleidigungen zu verwenden bedeutet nicht nur, dass man unhöflich, unsensibel oder respektlos gegenüber seinen Mitmenschen ist. Das ist man sicherlich auch. Aber den Anwesenden allein Respekt- und Empathielosigkeit vorzuwerfen, packt das Problem nicht an der Wurzel. Viel wichtiger ist doch, sich zu fragen: Warum nimmt man als weiße Person überhaupt in Kauf, von Rassismus Betroffene zu beleidigen, wenn man es angeblich nicht beabsichtigt? Warum möchte man weiterhin rassistisch beleidigende Begriffe verwenden? Die Antwort liegt in der Machtposition, die weiße Menschen in der Regel gegenüber jenen haben, die nicht-weiß sind (das zeigt sich zum Beispiel bei der Wohnungssuche). Wer sich nicht mit der strukturellen Dimension von Rassismus auseinandersetzt, wird sich nicht bessern. Egal wie gut man es meinen mag. 

Warum behauptet eine weiße Frau, „niemand“ habe sich vom Z-Wort beleidigt gefühlt, wenn das offensichtlich nicht der Fall war?

Was in der WDR-Sendung passierte, ist nämlich entlarvend. Es zeigt nicht etwa eine rassistische Gesinnung der Talkshow-Gäste. Es zeigt vielmehr, wie unbewusst Rassismus funktioniert. Exemplarisch dafür ist ein kurzer Moment am Ende der Sendung. Host Steffen Hallaschka fragt da noch einmal, ob es denn notwendig war, die „Z-Soße“ umzubenennen, wie es Knorr im vergangenen Jahr getan hatte. Janine Kunze antwortet dann: „Wenn sich keiner beleidigt fühlt, denke ich: nein“. Diese Aussage ist deshalb so auffällig, weil sie im Grunde paradox ist. Denn Janine Kunze wusste in diesem Moment, dass sich sehr wohl Menschen davon beleidigt fühlen. Nämlich: die Betroffenen. Steffen Hallaschka hatte im Laufe der vorangegangenen Diskussion ein Statement des Zentralrats der Sinti und Roma zitiert, in dem es hieß, dass es sich bei dem Z-Wort um eine Beleidigung handle, nämlich „eine von Klischees überladene Fremdbezeichnung der Mehrheitsgesellschaft, die von den meisten Sinti und Roma abgelehnt wird“. Warum wurde das hier einfach abgewehrt und infolgedessen ignoriert? Warum behauptet eine weiße Frau, „niemand“ habe sich vom Z-Wort beleidigt gefühlt, wenn das offensichtlich nicht der Fall war? Und: Warum zählen Werte wie Höflichkeit, Respekt oder Sensibilität hier auf einmal nicht mehr?  

Die Antwort ist wohl: Weil der Beleidigungsradar häufig offenbar nur gegenüber jenen funktioniert, die man als gleichwertig anerkennt, die man also (ob bewusst oder unbewusst) als selbstverständlichen Teil der Gesellschaft versteht. 

Höflichkeit oder Empathie zählen in Bezug auf rassistische Beleidigungen oft nicht, weil die Grundlage dafür fehlt: gelebte Gleichheit

Höflichkeit oder Empathie zählen in Bezug auf rassistische Beleidigungen aber oft deshalb nicht, weil die Grundlage dafür fehlt: gelebte Gleichheit. Das zeigt sich auch in der unverhältnismäßig emotional geführten Debatte in der WDR-Talkshow. Man behauptete, es gehe hier um Zensur oder Verbote. Aber niemand verbietet es, das N-Wort oder Z-Wort zu sagen. Das zeigte allein schon die Tatsache, dass die Talkshow, in der diese Begriffe mehrmals fielen, bereits zum zweiten Mal ausgestrahlt wurde. Es geht nicht ums Dürfen, es geht ums Wollen. Dieser wichtige Unterschied wird immer wieder unter den Teppich gekehrt, wenn weiße Menschen über Rassismus sprechen. Und zwar oft auch dann, wenn sie sich intellektuell und argumentativ für scharfsinnig halten. Oder es vielleicht sonst auch oft sind. 

Eigentlich geht es doch darum, sich zu entscheiden, andere Menschen nicht zu beleidigen – vor allem dann nicht, wenn man es nicht beabsichtigt. Und wer dann doch beleidigt, muss – wie sonst auch – eben mit Gegenrede rechnen. Das ist Demokratie. Die Talkshow-Gäste aber verhielten sich so, als würde man ihnen etwas Wertvolles wegnehmen. 

Dabei sollte sich jeder Mensch, der Werte wie Gleichheit und Gerechtigkeit vertritt, fragen, warum der Verzicht auf degradierende und verletzende Sprache, gerade im Zusammenhang mit Rassismus, so schwerfällt. Und verstehen, dass sich das mit diesen Werten im Grunde nicht vereinbaren lässt. Dafür sollte man vor allem rassistische Strukturen hinterfragen. Und die Positionen und Stimmen von nicht-weißen Menschen mindestens genauso ernst nehmen wie die der anderen. Denn ohne eine strukturelle Veränderung kann auch der Beleidigungsradar nicht funktionieren und es wird wenig helfen, immer wieder zu Respekt und Höflichkeit zu mahnen. 

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