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Blogger, bleib bei deiner Mode?

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„Wisst ihr, ich würde gerne weiter Outfit-Posts hochladen, über dieses und jenes Beauty-Produkt sprechen, doch ich kann nicht. Ich denke jede Minute meines Tages an die Familien die ich in Traiskirchen kennengelernt habe, manchmal wache ich mitten in der Nacht auf und muss weinen“, schrieb die Wiener Modebloggerin und Fotografin Madeleine Alizadeh vor ein paar Tagen in einem Blog-Eintrag.

„Bleib lieber bei deiner Mode anstatt rührselige Geschichten zu schreiben“, kommentierte einer ihrer Leser.

Alizadeh postet auf ihrer Seite Dariadaria.com für gewöhnlich Fotos ihrer Outfits, stellt neue Kleider und Kosmetik vor. Seit ein paar Tagen mischen sich zwischen vegane Sonnencreme und Herbst-Winter-Kollektionen Berichte aus dem Flüchtlingslager in Traiskirchen. Madeleine beschreibt die menschenunwürdigen Zustände dort, sie nimmt ein Video auf, in dem sie schildert, wie man sich auf der Flucht fühlt, wie es ist, unwillkommen zu sein in einem neuen Land. Und veröffentlicht einen Leitfaden über Sachspenden für Asylbewerberunterkünfte. Sie bekommt dafür Zuspruch. Aber auch Kommentare von Leuten, die sich fragen: Was muss sich eine Modebloggerin um Flüchtlinge kümmern? Warum muss die sich in die Asyldebatte einmischen? Sich überhaupt zum Thema Politik äußern?

Kein reines Blogger-Problem: Als die Frauenzeitschrift Brigitte 2013 einen 

Presseplatz im NSU-Prozess gelost hatte, während Überregionale Tageszeitungen wie die FAZ keinen bekamen, wurde sie heftig kritisiert. Im Internet spotteten Twitter-Nutzer, ob die Brigitte Schönheitstipps von Beate Zschäpe veröffentlichen werde. Die klassischen Medien funktionieren also genau so. Wie kann das sein? Woher kommt dieser Rechtfertigungsdruck?

Liegt es an der angeblich fehlenden Glaubwürdigkeit? Dem fehlenden Expertentum? Wohl kaum. Es geht Menschen wir Alizadeh nicht um die große Analyse, um Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit. Sondern ums Aufmerksammachen, Mobilisieren, Aufrütteln. Davon kann es nie genug geben. Es braucht keine Expertise, um Leid zu erkennen.

Oder liegt es daran, dass man Bloggern und Magazinen, die sich sonst nicht mit politischen Themen beschäftigen, vorwirft, dass sie Flüchtlinge für ihr Image missbrauchen? Dass sie sich nur dazu äußern, weil das gerade chic ist? Dann müsste man jede Art von Wohltätigkeit einstellen. Denn jeder, der Gutes tut, tut das auch fürs gute Gefühl.

 

Was aber ist das gute Gefühl der Kritiker?

 

Es ist beruhigend, Politik und ihre Konflikte in sterilen, in abgeschlossenen Räumen zu halten, die man besuchen kann wie ein Krankenhaus, wenn es einem schlecht geht. Und sie ansonsten zu ignorieren. Der Satz "Bleib bei deinem Modezeug!" entlarvt den Wunsch, dass Politik gefälligst dort zu bleiben hat, wo man sie vermeiden kann. Wo sie kontrollierbar ist. Zwischen trockenen Zeitungsseiten, in versteckten Politikblogs. Weit weg. Dass ihre Probleme und Tragödien nicht im Wohlfühlbecken des Lebens auftauchen dürfen. "Was muss die jetzt auch noch über Politik schreiben?" heißt eigentlich: "Was muss ich mich jetzt auch noch mit Politik beschäftigen?"

 

Anderen Leuten ihr Recht abzusprechen, sich darüber zu äußern oder dafür zu interessieren, ist der Gipfel der Politikverdrossenheit.

 

Zwischen den neuen Nagellackfarben und Wintermänteln über Flüchtlinge zu schreiben ist, wenn man darüber nachdenkt, fast sinnvoller als im Politikteil in der Zeitung. Weil man genau dort merkt, dass Probleme nicht verschwinden, wenn man die Augen zukneift. Und was für ein unfassbarer Luxus die Beschäftigung mit Nagellack und Wintermänteln ist.

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