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"Das ist doch grotesk!" Kerstin Grether über Frauen im Pop

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Was bedeutet für dich Popfeminismus? Ich beziehe mich gerne auf Ellen Willis und Ann Powers, zwei New Journalism-Autorinnen, für die Popfeminismus weibliche Erfahrungen innerhalb der Popkultur beschreibt. Diesen Ansatz versuche ich in meinen Texten aus möglichst vielen Perspektiven wiederzuspiegeln. Angefangen bei Publikumsanalysen, bis hin zu Reflexionen über Fanverhaltensweisen oder Musikerinnen und Groupies. Wenn ich schon Musikjournalistin bin, ist es doch das mindeste was ich tun kann, die Frauen wieder zurück in die Musikgeschichte zu schreiben. Und zwar durchaus positiv. Weil kreative Frauen häufig in die böse Yoko-Ono-Rolle gedrängt werden? Genau. Bestes Beispiel: Courtney Love. Wie die Medien mit ihr umgehen grenzt ja regelrecht an eine moderne Hexenjagd. An ihrem Schicksal kann man die Tragödie von Frauen in der Rockwelt festmachen. Und in der Popwelt. Karen Duve hat in einem Interview mal gesagt, den Männern die Musik zu überlassen, war ein schwerwiegenderer Fehler als ihnen das Feuer zu überlassen. Männer scheinen immer noch zu glauben, sie hätten ein Monopol auf Musik und sobald Frauen - in welcher Form auch immer - daran teilhaben, gilt dieser Bereich bereits als entwertet. Das ist doch grotesk. Weil es umgekehrt alle wegen oder sogar für die Frauen machen? lachtRichtig. Diese Abwertung von Frauen gibt es in keinem anderen kulturellen Bereich mit solcher Vehemenz vertreten wie in der Rock- und Popmusik. Wie verächtlich da zum Beispiel über weibliche Fans hergezogen wird – aktuell am Beispiel von Tokio Hotel-Anhängern – finde ich schockierend.

Frau Grether wurde fotografiert von Sibylle Fendt. Weibliche Fans haben in der Popwelt generell einen schweren Stand und werden im Gegensatz zu ihren männlichen Mitstreitern so gut wie nie ernst genommen. SeufztJa leider. Ich habe einen neun Jahre älteren Bruder, der mir früher auch immer verboten hat in seiner Plattensammlung zu stöbern und meinte meine Schwester (Sandra, ehemals bei Parole Trixi und jetzt Sängerin und Gitarristin von Doktorella, der Band bei der auch Kerstin Grether singt, Anm. d. V.) und ich würden doch eh immer nur den Schrott aus dem Radio hören. Da habe ich mich auch gefragt, bin ich jetzt etwa weniger wert als er, wenn ich einen Song von den Beatles gut finde oder wie? Das hat dich und deine Schwester aber trotzdem nicht davon abgehalten, sich schon in frühen Jahren der Musik mit Haut und Haaren zu verschreiben. Mittlerweile hast du schon über die Hälfte deines Lebens damit verbracht über Pop zu schreiben. Ja, das stimmt. Der Wunsch war schon relativ früh da. So wie Sänger immer behaupten, sie hätten schon von Kindesan gesungen, war das bei mir mit dem Schreiben. Mit 13 Jahren habe ich einen Text von Lester Bangs über Richard Hell gelesen. Von da an wusste ich: das will ich auch! War das der Startschuss eures legendären Fanzines Straight? Kann man so sagen. Und außerdem war das auch ein super Grund, Musiker zu interviewen. Über die Plattenfirmen wäre so was ja nie gegangen. Die hätten uns ausgelacht, wenn zwei 14-Jährige Mädchen um eine Interviewaudienz bitten. Also haben wir die Bands nach den Konzerten angesprochen. Und das hat überraschend gut funktioniert. Auch weil ihr jung und weiblich wart ... Kerstin: Sicherlich, logisch. Aber Musiker sind halt auch so extrem empfänglich für Komplimente. Sandra: Und natürlich hat das eine ganz andere Wirkung, wenn da auf einmal 14-Jährige Zwillingsmädchen vor dir stehen und dich für ihr Fanzine interviewen wollen. Da haben sich die meisten Bands schon ein Herz gefasst. Ihr habt euch also nie für jemand anderen ausgegeben? Kerstin:Nee, das war gar nicht nötig. Wir haben uns nur älter gemacht. (allgemeines Gelächter) Das natürlich schon.


Wie hat sich die Musikwelt eurer Meinung nach, speziell für Frauen, gewandelt? Kerstin: Es gibt zwar mittlerweile immer mehr Musikerinnen und die werden zwar respektiert, aber bei weitem nicht genug. Sandra: Am schlimmsten ist diese Rockmuckerwelt. Also Mischer, Gitarrenfachverkäufer, Roadies, Techniker, Produzenten ... Dieses komische Zwischenweltpersonal verkörpert für mich die absolut negative Seite der Rockmusik. Was man sich da als musikmachende Frau zum Teil bieten lassen muss, ist erschreckend. Werden deswegen immer noch so wenige Frauen musikalisch aktiv? Sandra: Genau. Da muss man wirklich wahnsinnig harte Nerven haben, um das jahrelang an sich abprallen zu lassen. Gibt es keinen Ausweg aus der Misere? Kerstin: Wenn die Frauen nicht mal anfangen, sich gegenseitig zu unterstützen, sehe ich wenig Besserung. So zum Beispiel wie die Veranstalter vom Ladyfest oder dem Lilith Fair (eingestelltes Festival aus Amerika, auf dem nur weibliche Künstler auftreten, Anm.d.V.)? Nee, das Ladyfest läuft mir zu sehr außer Konkurrenz. Ich meine damit eher die Ignoranz von weiblichen Popstars und Musikerinnen untereinander. Ich habe ja im Laufe meiner rund 15-jährigen Karriere eine ganze Reihe von ihnen interviewt und auch gehypt, auch wenn ich von einigen menschlich sehr enttäuscht war. Warum? Weil Frauen immer dazu tendieren, die einzigen sein zu wollen und sich auch so verhalten. Unter Männern existiert ein viel stärkerer kameradschaftlicher Zusammenhalt ... Du sprichst bestimmt von "male bonding". Genau. Nur ein Beispiel: Als Tocotronic damals berühmt wurden, haben die in Interviews ständig auf die Boxhamsters als Inspirationsquelle verwiesen. Und auf einmal haben sich die Boxhamsters-Platten wieder verhältnismäßig gut verkauft. Auf solche Ideen kämen – ich will jetzt an dieser Stelle keine Namen nennen - weibliche Popstars nie. Dabei gebe es so viele Möglichkeiten für erfolgreiche Frauen, im Musikgeschäft andere innovative und kreative Frauen mitzuziehen. Was denkst du in dem Zusammenhang über die Chicks on Speed? Sind die nicht auch ziemlich ambivalent? Also ich will jetzt nicht den authentischen Rockfan raushängen lassen und ich habe ja auch ein Faible für Kunstprojekte, aber es ist wirklich etwas ambivalent. Die Chicks on Speed promoten sich als die superkreativen Power-Feministinnen. Aber bei ihren eigenen Stücken sind es dann doch hauptsächlich Männer, die selbstverständlich die Musik machen. Und was letztlich rüberkommt, ist doch nur wieder „weibliche Hysterie“, Mode und Ausschweifung. Das klingt jetzt sehr negativ. Versteh mich nicht falsch. Ich freue mich über jede Frau, die es geschafft hat. Aber Kritik muss natürlich auch erlaubt sein. Von wem warst du denn umgekehrt positiv überrascht? Hmm... Shirley Manson von Garbage war toll. Und Kathleen Hanna oder Inga Humpe. In deinem neuen Buch "Zungenkuß" findet sich unter anderem auch ein älterer Artikel aus dem Intro-Magazin, in dem du weibliche Teenie-Idole auf ihre Vorbildtauglichkeit analysierst. Lust auf eine Fortsetzung? Ja gerne! Immer her damit! Lily Allen

Wenn es Lily Allen gegeben hätte als ich zwölf war, wäre ich sofort in meinen übernächsten Traum gesprungen. Hätte mir ein Secondhand-Designer-Kleid gekauft und meiner besten Freundin alles erzählt, was ich wirklich denke. Für mich ist sie das perfekte Teenager-Idol, nicht nur für Mädchen, sondern für alle Menschen eigentlich. +++ Gwen Stefani

Ah, das ultimative und ewige Cosmopolitan-Girl-of-the-Year! Bei No Doubt war Gwen Stefani ja immer nur irgendjemandes kleine Schwester. Oder: Die Freundin. Die Ex-Freundin. Die Verlobte. Die Tochter. Mehr Kim Wilde als Debbie Harry. Das hat sich jetzt geändert. Seit sie solo glänzt, hat sie ihre wahre Rolle gefunden: das Luxus-Event-Chick mit mehr guten als schlechten Tracks. Was sie aber nun wirklich ihren coolen Produzenten verdankt. Und nichtsdestotrotz: irgend etwas an ihrer Aura ist mehr als die Summe der einzelnen Teile. Und mehr als Cosmopolitan erlaubt!


Lady Sovereign

Ziemlich toll. Und echt Wahnsinn, dass Lady Sovereign es gleich geschafft hat in die amerikanische In-HipHop-Szene hineinzukommen ohne dieses Titts-and-Ass-Klischee bedienen zu müssen. Bleibt hoffentlich so erfolgreich! Nelly Furtado

Zögerlich Finde ich zwar gut was sie macht, brillantes Songwriting – und mich stört auch ihr freizügiges Image zur letzten Platte nicht – trotzdem hoffe ich, dass Lily Allen und Lady Sovereign ein paar Jahre später nicht dieselbe Sex-Sells-Nummer fahren werden. lacht


Pussycat Dolls

Uff. Bitches with Attitude. Ein feuchter Produzententraum. Glaube nicht, dass die sich halten werden. Können auf keinen Fall die Spice Girls ablösen. Britney Spears

Also ich wünsche ihr von dieser Stelle aus alles Gute. Eine tragische Figur, die aber im Gegensatz zu einer Whitney Houston ihre Krise bestimmt wird meistern können und demnächst ein furioses Comeback feiert. +++ Kerstin Grethers neues Buch "Zungenkuß. Du nennst es Kosmetik. Ich nenn es Rock`n`Roll, Musikgeschichten 1990 bis heute" ist erschienen im Suhrkamp, Frankfurt am Main. www.kerstin-grether.de Fotos: ap, rtr

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