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Der Berliner Stadtteil Wedding, sehr früh am Morgen. „Da schläft die Stadt noch und es fällt nicht auf, wenn ich die Bilder zeige“, erklärt der schlanke, hoch aufgeschossene junge Mann. Wie der bekannte britische Graffiti-Künstler Banksy, will auch Niko unerkannt bleiben und seine Identität geheim halten. Und wie Banksy nutzt auch Niko Hauswände, um seine Kunst der Öffentlichkeit zu zeigen. Nur sprayt er nicht, sondern malt in Öl, meist Frauen-Akte – und dübelt die Bilder dann an Hauswände, in Mitte, im Prenzlauer Berg oder eben in Wedding. Graue Hausfassaden dominieren die Gegend, aufgelockert nur durch türkische Obstgeschäfte, Dönerbuden und Kinderläden und die obligatorischen Werbeplakate. „Das ist so ein oller Bezirk hier, da dachte ich mir, man könnte die Gegend ein bisschen verschönern“, sagt Niko. Und das sieht dann so aus: ein leicht bekleidetes Mädchen am Strand hängt auf einer roten Backsteinmauer. Es ist das letzte Bild, das Niko aufgehängt hat: Die Dünen von Paderborn. Beinahe zärtlich streicht Niko über das Bild, das bis noch vor kurzem auf seiner Staffelei stand.

Niko und die "Dünen von Paderborn" Andere ziehen mit der Sprühdose los. Warum malst du in Öl? Ich hatte einfach Lust, einmal in Öl zu malen und habe das vor drei Jahren meiner damaligen Freundin erzählt. Sie hat mit daraufhin Ölfarben geschenkt. Seitdem habe ich mich dann mehr mit der Malerei beschäftigt als mit meiner Freundin. Aber warum hängst du deine Bilder ausgerechnet an Hauswände? Ich male die Bilder, damit sie gesehen werden. Ich bin der Meinung, dass wir nicht nur in Wohnungen leben, sondern auch draußen. Und da hängt nur hässliche Werbung. Jeder Mensch sollte das Recht haben, seinen Lebensraum so zu gestalten wie er es gerne möchte. Ich nehme es mir. Müssen die Häuser, an denen du deine Bilder aufhängst bestimmte Kriterien erfüllen? Ich schaue mir die Hauswände genau an, wo mal Dübel in einer Wand waren oder noch drin sind. Dann messe ich die Abstände aus und hänge anschließend meine Bilder auf. Mit Bohrmaschine, meinen Schrauben und einer Leiter ziehe ich los. Man kommt ja nicht an alle Stellen dran. Vorbereitung und Planung ist dabei Wichtigste. Wenn ich anschraube, muss es schnell gehen. Bist du schon einmal erwischt worden? Erwischt worden hört sich so dramatisch an. Ein Hausbewohner hat mal die Polizei gerufen. Er konnte nicht schlafen, hat gehört, dass jemand geschraubt hat und hat Panik gekriegt, dass ich ein Einbrecher bin. Als die Polizei kam, war ich gerade am Zusammenpacken. Das Bild musste ich wieder abzuhängen. Manchmal kommt es auch vor, dass mich Betrunkene anquatschen, die gerade aus dem Club kommen, weil ich die Bilder ja nachts oder früh morgens aufhänge. Manche stören, manche helfen mit. Manchmal frage ich die Leute auch, ob sie mal die Bohrmaschine halten können und das machen die dann auch gerne. Andere sagen aber auch „Das ist doch illegal“.

Anders als bei Kunststar Banksy hat bei Niko allerdings noch keine große Tageszeitung darauf hingewiesen, dass die Bilder den Wert der Immobilie heben und man sie deshalb besser nicht abgehängen oder übermalen sollte. Die Brust der brünetten Frau, die nachdenklich den Kopf auf eine Hand stützt, in Berlin Mitte hängt und „Schneewittchen“ heißt, ist schwarz übersprüht. „Natürlich ist das ästhetische Empfinden bei jedem Menschen anders“, sagt Niko. „Es kann passieren, dass Vorstellungen von anderen mit meinen kollidieren und manche nicht schön finden, was ich mache oder sich von der Nacktheit gestört fühlen." Einige Menschen fühlen sich anscheinend auch dazu animiert, selbst auf den Bildern herumzumalen, etwas drauf zu kritzeln oder zu sprayen. „Ich sehe das als eine Form von Diskussionsbeitrag zum Kunstwerk. Das bringt natürlich eine gewisse Zerstörung mit sich, aber das gehört zum Spiel.“ Niko beginnt in einem Container am Prenzlauer Berg herum zu kramen. Er sucht nach Brettern, die nach Bauarbeiten liegen geblieben sind, um ihnen eine neue Bedeutung zu geben: Sie werden zur Malgrundlage für seine Akt-Bilder.

"Schneewittchen" mit übersprühter Brust Warum malst du eigentlich nur nackte Frauenkörper? Ich male Frauen, weil ich sie schön finde. Und schau dich mal um, diese übertriebene, allgegenwärtige Präsenz von Nacktheit in Werbeplakaten - die sind so auf Sexappeal getrimmt. Mir geht es um die Darstellung von normalen Menschen mit normalen Gefühlen. Gibt es für deine Bilder bereits Liebhaber? Wenn ich Leuten erzähle, was ich mache, dann sagen sie oft, ach ja, in der und der Straße habe ich schon mal eines gesehen. Ob es aber Liebhaber gibt, weiß ich nicht. Ich stelle nur fest, dass immer wieder Bilder verschwinden. Von den 70 Bildern, die ich bisher aufgehängt habe, hängen nur noch 25. Im Winter ist eine ganze Menge geklaut worden. Auch das Bild „Jugend“, das ganz in der Nähe des Containers im Prenzlauer Berg hing, ist verschwunden. Es hing über zwei Jahre, weshalb Niko nicht glaubt, dass es die Hausverwaltung abgehängt hat. Er ist enttäuscht, fast ein wenig wütend darüber. Musst du nicht damit rechnen, dass die Bilder geklaut werden? Mir sagen die Leute, Bilder aufhängen sei illegal. Aber sie von der Straße zu klauen, ist es doch wohl auch. Ich hänge die Kunst ja für die Allgemeinheit auf, für alle. Die Bilder dann zu klauen, für sich zu nehmen, das finde ich nicht so toll. Hast du schon einmal daran gedacht, deine Kunst zu verkaufen? Mir geht es überhaupt nicht um Geld, sondern um Kunst an sich. Ich verstehe das als meinen Beitrag zur Kunstgeschichte, denn meine Bilder geben der Streetart-Szene neue Impulse. Das was auf dem Kunstmarkt los ist, ist abartig. Sammler kaufen Bilder, von denen sie gar nicht wissen, wie die aussehen, nur anhand der Künstlernamen. Das ist doch einfach krank. Kunst ist fürs Publikum, aber nicht nur für ein Publikum, das in Galerien geht, sondern für alle.

Zurück im Stadtteil Wedding. Die Stadt ist mittlerweile wach und füllt sich mit Leben. Niko deute auf ein weiteres Bild, das an einer der grauen Fassaden hängt. Es heißt „Pippi Langstrumpf“ und zeigt die Kinderbuchheldin so, wie sie heute aussehen könnte: groß, rothaarig und erwachsen. „Mich inspirieren starke Frauen, auch aus der Literatur“, sagt er. „So wie Pippi Langstrumpf. So stelle ich sie mir heute vor.“ Dann verabschiedet sich der junge Mann. Zu Hause warten bereits Staffelei und neue Bilder auf ihn. Hier geht's zur Bildergalerie Fotos: caroline-alsheimer

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