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Florian sammelt Daten über sein Leben. Auch während des Gesprächs für diesen Text. Er geht raus aus der Haustüre, die Straße entlang zum Café an der Theresienstraße, setzt sich, merkt, dass es für unser Interview zu laut ist, steht auf, geht zurück auf die Straße, ins Haus, die Treppen nach oben in den dritten Stock, ins Zimmer. Dann clippt er den USB-artigen Stick von der Jeans ab und steckt ihn an den Computer. Ergebnis: exakt 2018 Schritte.

„Ich lerne mich einfach besser kennen, wenn ich diese Zahlen habe und sie analytisch auswerten kann", sagt der 31-jährige Florian Schumacher. Zurzeit konzentriert er sich auf drei Datensätze: wie viele Schritte er täglich geht, wie es um sein Gewicht steht und wie erholsam sein Schlaf ist. Für die Schlafanalyse zieht er sich jeden Abend ein elektronisches Stirnband über, das seine "Gehirnwellen an die Basisstation funkt". Kurz vor dem Zubettgehen füttert Florian das Programm mit Informationen darüber, wie er den Tag verbracht hat. Nach dem Aufwachen erhält er eine visuelle Aufbereitung, die ihm mitteilt, wie erholsam sein Schlaf gewesen ist. Die Selbstbeobachtung dauert nun schon 100 Nächte und "wie man sieht", sagt Florian, "schlafe ich besser, wenn ich nachts arbeite anstatt mich mit Freunden zu treffen. Zur Zeit arbeite ich aber auch sehr gerne."

Screenshot von Florians Daten

Erst vor kurzem war Florian, der in einer Werbeagentur arbeitet, in Amsterdam, bei einem Meeting der Selbstkontrolleure. "Butter steht gerade hoch im Kurs in der Szene", sagt er. Und tatsächlich: Auf dem offiziellen Blog von "Quantified Self" hat Butter nicht nur eine eigene Kategorie, es gibt auch einen Beitrag über die Frage, wieviel Gramm Butter der Autor braucht, um die Leistung seines Gehirns zu optimieren. Der Autor des Experiments ist Seth Roberts, seines Zeichens Professor der Psychologie, dessen Buch "Die Shangri-La Diät" es in die Top Ten der New York Times Beststeller schaffte. Roberts litt mehr als zehn Jahre an Schlaflosigkeit und stellte nach vielen Selbstbeobachtungen zufällig fest, dass sein Leiden damit zusammen hing, ob er frühstückte. Wenn er nicht frühstückte, konnte er ausschlafen (siehe dieses PDF). Und nun hat Roberts entdeckt, dass Butter sein Leben verändern kann. Also beobachtet er.

Für die "Quantified Self"-Anhänger ist jeder Mensch ein Einzelfall. "Ich muss nicht mehr länger Bücher lesen und schauen, was bei einzelnen Menschen geklappt hat. Ich beobachte mich einfach selbst", sagt Florian. Für seine Low-Carb-Diät hat er sich dennoch bei dem Amerikaner Timothy Ferriss eingelesen. Florian nennt Ferriss eine Koryphäe der Szene, das Technik-Magazin Wired beschreibt Ferriss als die sich am besten selbst vermarktende Person aller Zeiten. Er hat unter anderem das Buch "Die 4-Stunden-Woche" geschrieben. Ferriss' Tipps jedenfalls haben Florian geholfen: „Ich habe vier Wochen lang nur Hülsenfrüchte und Spinat gegessen. Kein Brot, keine Nudeln." Der Auswertung seiner Wi-Fi-Waage zufolge hat Florian in dieser Zeit drei Kilogramm abgenommen.

Verwunderlich ist die Wirkung der Diät nicht. Was Florian gefällt, ist, dass er jeden Erfolg genau verfolgen kann. "Ich kann Tag für Tag beobachten, wie sich das auf meinen Körper auswirkt. Und wenn ich sehe, es klappt, dann motiviert es mich zusätzlich, weiterzumachen. Dann denke ich mir: Ich nehm' jetzt die Treppe. Wenn ich jogge, dann setze ich mir immer neue Benchmarks." Was ihm das bringt? "Nichts", sagt Florian. "Aber was bringt einem Spielen? Es macht Spaß."

So, wie die Dinge liegen, ist Quantified Self vor allem eines: ein Markt. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die erste europäische "Quantified Self"-Konferenz unter anderem von Microsoft, Intel und von Philips gesponsert wurde. Viele der Entwickler von Apps für diesen Markt wissen, dass sie sich in einem sensiblen Umfeld befinden - gerade weil das Thema Datenschutz auch in Zukunft an Bedeutung gewinnen wird. Die Firma "Asthmapolis", die einen Inhalator mit eingebautem GPS vertreibt, um festzustellen, an welchen Orten in der Stadt das Gerät eingesetzt wird, erklärt, dass sämtliche Daten zwar weitergegeben werden - dass dies aber anonymisiert geschehe, wenn die Informationen an WissenschaftlerInnen oder Werbetreibende weitergegeben würden. Gleichzeitig steht in den Lizenzvereinbarungen aber auch, dass die Pharmaindustrie in Zukunft Kontakt mit den angemeldeten Nutzern aufnehmen könne – falls man dem zustimme. Beratungsunternehmen wie "research2guidance" gehen davon aus, dass bis zu 30 Prozent aller Smartphone-Nutzer bis 2015 Apps aus dem Bereich „Mobile Health" benutzen werden.

Auch Florian hofft, dass die quantifizierte Selbsterkenntnis in fünf bis zehn Jahren zum Alltag gehören wird. Und da Florian in der Werbebranche arbeitet, sieht er direkt ein Geschäftsmodell. Er will jetzt auch eine App programmieren. 

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