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"Lasst Anarchie und Irrsinn zu!"

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Aktualisiert um 11.30 Uhr

Der Plan ist zwei Jahre alt, und er klang erst mal gut: ARD und ZDF verschmelzen ihre Spartenkanäle zu einem großen Jugendkanal - im Fernsehen, im Radio, im Netz. Und junge Gebührenzahler bekämen endlich junges Programm für ihr Geld. Aber die Länder haben sich monatelang darüber gestritten: Wer soll zahlen? Wer soll entscheiden? Und reicht das Budget? An diesem Freitag haben die Ministerpräsidenten entschieden: einen Jugendkanal wird es nur in abgespeckter Fassung im Internet geben.

Schade, aber dennoch: Wie macht man gutes Programm, das junge Leute im Jahr 2014 interessiert? Wir haben fünf Menschen um Rat gefragt, die sich schon länger mit dem Thema beschäftigen.

"Türe zu, machen lassen!"

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Tobias Schlegl ist seit den Neunzigern Moderator, heute unter anderem bei "Aspekte" im ZDF (wieder am Freitag um 23.30 Uhr).

"Als ich bei Viva angefangen habe, war ich 17, völlig unbedarft und stand plötzlich mit ein paar Stichpunkten auf einem Zettel vor einer Kamera. Und ziemlich genau so lief der ganze Sender: sehr chaotisch, sehr frei, sehr experimentierfreudig. Arbeiten haben hauptsächlich Praktikanten erledigt, die dadurch aber sofort Verantwortung hatten. Und riesige Gestaltungsmöglichkeiten, weil keiner eine Vorstellung davon hatte, wie das Ziel auch nur aussehen könnte. Deshalb musste der Weg eben notgedrungen das Ziel sein.
 
Ich will die Vergangenheit damit nicht verklären. Bei alldem ist auch viel Mist rausgekommen. Aber genau das gehört für mich dazu, wenn man gutes Fernsehen machen will: die Möglichkeit, grandios zu scheitern. Etwas zu machen, das hinten und vorne nicht funktioniert. Natürlich ist es schwer, heute noch eine solche Naivität zu entwickeln. Die Quote hängt über allem. Jemandem Freiraum zu geben, und die Zeit, sich in dem zu finden, ist heute ein größerer Schritt als früher. Aber anders funktioniert es nicht. Gerade junge Moderatoren müssen so sein dürfen, wie sie sind. Wer versucht, Vorgaben zu erfüllen, hat sofort die Schere im Kopf. Der kappt Kreativität und frische Ideen.
 
Wenn ich den Weg zu gutem, jungem Fernsehen also auf einen Satz bringen müsste, dann wäre der: "Türe zu, machen lassen und irgendwann mal nachschauen, was rausgekommen ist." Und da muss ich übrigens dringend eine Lanze für den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk brechen! Die haben das zum Teil schon verstanden. Sowohl bei "Extra3" als auch bei "Aspekte" haben wir solch einen wichtigen Freiraum bekommen."

"Gebt ihnen Geld und lasst ihnen Freiheit"

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Jeannine Michaelsen moderiert am Samstag, den 25. Oktober, das nächste Mal "Joko gegen Klaas - das Duell um die Welt" auf ProSieben.

"Einen Jugendkanal - erstmal kann man sich fragen, ob man das als eigenen Sender überhaupt braucht. Wenn man das für sich mit Ja beantwortet, dann sollte man das "jung" auch konsequent durchziehen. "Junge" Menschen, die wirklich gutes Fernsehen machen, haben wir: Viele Menschen rund um die Böhmermänner und Jokos & Klaases dieses Landes haben die 30, wenn überhaupt, erst vor kurzem überschritten. Findet solche Menschen! Gebt ihnen Geld, lasst ihnen Freiheit, schenkt ihnen Vertrauen und vergesst die Quote und die Bürokratie. Habt keine Angst vor dem Internet, vergesst die klassische Sendezeit und die Sieben-Tage-Mediathek. Das wäre vielleicht ein Anfang."

"Nicht jedes 'Fuck you' absegnen lassen"


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Nilz Bokelberg war vom Sendestart 1993 bis 1998 bei Viva und ist heute Moderator, Autor und Vater.

"Ich habe eine 13-jährige Tochter, bitte glaubt mir: Jugendliche lieben nichts mehr, als wenn man sie ernst nimmt. Deshalb würde ich dem Jugendkanal raten, auch wenn es ein ausgelutschtes Wort ist: Kommuniziert auf Augenhöhe! Bei Viva hat das in den 90ern super geklappt, aber da konnten wir ja noch nach Gutsherrenart sagen: "Wir schenken euch jetzt ein Fernsehprogramm!" Heute hat das Fernsehen ja eher die Haltung: "Äh, Hallo, wir machen da jetzt was, kommt doch mal vorbei!" Bei den Öffentlich-Rechtlichen müssen Entscheidungen erst durch 20 Flure laufen, bis sie abgesegnet sind. Diese Wege müssen wahrscheinlich kürzer werden. Wenn jedes "Fuck you" von einem Redakteur abgenommen werden muss, wird am Ende ein Eiersalatprogramm draus, das sich keiner gerne anschaut.

Joiz macht das gerade so ähnlich wie wir bei Viva damals: das totale Chaos! Und keiner tut so, als wäre alles strukturiert. Das ist - Achtung, noch ein ausgelutschtes Wort - Authentizität! Joiz funktioniert deshalb so gut, weil die da aus diesem Loft senden, du kannst als Zuschauer über Chat mitreden, die haben gute Gesichter, die dort zum ersten Mal Fernsehen ausprobieren. Diese ungestylte Freshness macht mir als Zuschauer total Spaß. Außerdem haben die als einzige verstanden, dass Fernsehen für Jugendliche heute eigentlich der "Second Screen" ist, während sie parallel durchs Netz surfen. Und nicht umgekehrt."

"Weg von der Einbahnstraße!"

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Florian Mundt, 27, hat mit seinem Youtube-Kanal den Grimme-Online-Preis 2014 gewonnen. Er hat mehr als zwei Millionen Abonnenten.

"Meinen Fernseher benutze ich nur noch für Blu-Rays und Spielkonsolen. Und ich würde sagen: die allermeisten mit Mitte 20 und abwärts handhaben das ähnlich. Ich bin ein riesiger Freund des Prinzips "Von – Für". Also von jungen Leuten, für junge Leute. Ich erwarte von einem Jugendkanal, dass auch die Fäden im Hintergrund von jungen Leuten gezogen werden. Es gibt so viele junge Kreative! Aber in der Fernsehlandschaft Fuß zu fassen ist für die viel zu schwer und auch uninteressant. Erst wenn sich das ändert, wird ein Jugendkanal wirklich relevant.

Aus meiner Erfahrung habe ich zwei Tipps. Erstens: On-Demand-Angebote sind ein unglaublich richtiger Schritt. Niemand will sich noch vorschreiben lassen, wann er was schauen kann. Zweitens: Mitgestaltung ist das Wichtigste, wenn man sich an junge Leute richtet. Das Problem mit dem Fernsehen: Es ist kein soziales Medium. Es ist eine Einbahnstraße, und das muss man mögen – was die meisten in meinem Alter aber nicht mehr tun. Ich habe meinen Youtube-Kanal gestartet, weil ich mich geärgert habe. Darüber, dass ich keinerlei Einfluss hatte. Weder auf Programmideen noch auf Moderationen. Ich konnte nicht mal Feedback geben! Und ich weiß heute von meinen Zuschauern: Die honorieren es wahnsinnig, wenn du auf ihre Kritik eingehst. Und abgesehen davon: Auch für dich als Produzent ist dieses Feedback super. Du läufst nie Gefahr, irgendwann auf der Stelle zu treten!"

"Lasst Anarchie und Irrsinn zu!"


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Manuel Möglich ist Reporter bei ZDF Neo.

"Wenn ARD und ZDF den Jugendkanal wirklich gründen, ist das super. Wobei das Label "Jugendkanal" schon einigermaßen schlimm klingt. Warum macht man nicht einfach ein gutes junges Programm, das auch jemand mit 50 noch gerne anschaut? Ältere Leute denken zu oft, dass sich Jugendliche nur für Katzenvideos auf Youtube interessieren, man soll denen bloß nicht zu viel zumuten. Das ist ein riesiger Fehler! Junge Leute interessieren sich sehr wohl für anspruchsvolle Inhalte.  

Ich würde davon abraten, die USA oder England zu sehr als Vorbild zu nehmen. Da schaut man ein bisschen zu viel hin und bekommt es am Ende so doch nur selten vernünftig umgesetzt. Ich finde, wenn man eigene gute Leute hat, sollte man denen Vertrauen schenken. Am Mittwoch wurde ja bekannt, dass Böhmermanns Neo-Magazin künftig auch im Hauptprogramm des ZDF gesendet wird. Das ist ungefähr so mutig wie vom Dreimeterbrett zu springen – man hätte das schon vor Jahren machen müssen!

Natürlich haben die Öffentlich-rechtlichen, anders als MTV oder ProSieben, einen Bildungsauftrag. Das Pädagogische schreckt schnell ab, wenn es zu stark dosiert ist – aber auch mit Formaten wie unserem "Wild Germany" oder gerade mit "Deutschland von außen" erfüllen wir ja einen Stück Bildungsauftrag. Wobei auch da der Sender die Handbremse noch mehr lösen könnte . Das Schöne ist ja, dass ARD und ZDF keinen richtigen Quotendruck haben. Ich würde ihnen also raten, den Leuten und Formaten Zeit zu geben. Die müssen nicht sofort knallen. Lasst Anarchie und Irrsinn zu!"


Text: jan-stremmel - und jakob-biazza; Fotos: Oliver Reetz, Matze Hielscher, Fabian Stürtz, Roger Eberhard, privat

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