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Mama, räum dein Zimmer auf!

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Wenn ich früher spätnachts von einer Party nach Hause kam und mit leicht bis mittelschwerem Alkoholpegel durch das Schlafzimmer meiner Eltern ins Bad wankte, hörte ich immer dasselbe Geräusch. Egal, wie viel Mühe ich mir gab, die Dielen nicht zum Knarren zu bringen, egal wie leise ich auf meinen Socken durch die Dunkelheit tippelte: Von der Betthälfte meiner Mutter kam immer ein erleichtertes Brummen. Dann drehte sie sich um, atmete tief ein und schlief weiter. Auf meine Frage, wie man aus sämtlichen Tiefschlafphasen heraus noch meinen Gang zum Bad mitbekommen könne, entgegnete sie mir immer:  „Wenn du mal Kinder hast, verstehst du das.“

An die Hand genommen: Auch Kinder sorgen sich um ihre Erzeuger

Ein paar Jahre später bin ich ausgezogen. Wenn ich heimtorkelte, dann meistens mit ebenso torkelnden Mitbewohnern an meiner Seite. Keiner wartete und brummte, keiner sorgte sich. Wunderbar war das.

Kurz nach meinem Auszug fuhren meine Eltern in den Urlaub. Mit im Gepäck hatten sie zwei altersschwache Handys („Ach, ich brauch doch nur eins, das telefoniert.“) und waren zehn Tage nicht erreichbar. Wenn ich auf Festivals oder im Urlaub unterwegs war, funkte ich immer ein Lebenszeichen. Ich schrieb brav: „Bin gut angekommen“, „Wetter gut“ oder „Flug verspätet“. Von meinen Eltern kam dagegen nichts. 18 Jahre Meldepflicht wurden einfach übergangen. Am zehnten Tag ging mein Vater endlich ans Handy: „Ach, du bist's! Na, wie geht’s?“, flötete er ganz entspannt. Ich weniger: „Wie’s mir geht? Ich versuche euch seit zehn Tagen zu erreichen! Wisst ihr eigentlich, was für Sorgen ich mir gemacht habe? Euch hätte ja sonst was passieren können!“. Verdutztes Lachen am anderen Ende der Leitung: „Ich wusste nicht, dass wir uns jetzt auch immer bei dir melden müssen“. Ich auch nicht. Dass meine Eltern mit meiner Abnabelung zu kämpfen hätten, darauf war ich vorbereitet. Darauf, dass ich mich auf einmal für meine Eltern verantwortlich fühlen würde, nicht.

Ich wohne jetzt seit fünf Jahren nicht mehr zu Hause. Durch meinen Auszug fühlte ich mich verantwortlich. Ich sorge mich, ob meine Eltern auch genug Freunde treffen oder ins Theater gehen, und streue bei Telefonaten unauffällig Kulturtipps ein: „Also der Film würde euch auf jeden Fall auch gefallen! Ihr wart doch so lang nicht mehr im Kino. Vielleicht wollt ihr mal nächsten Samstag mit Seiblers...“. Als mein Vater dieses Jahr in Rente ging, begann sich in meinem Kopf die Mutterspirale zu drehen: Ob er sich auch genug Beschäftigung sucht? Hoffentlich lungert er nicht nur rum! Er bräuchte mal ein richtiges Hobby. Dieses Jahr liegt deshalb ein Wanderführer unterm Weihnachtsbaum. Sport hat er ja schon immer zu wenig gemacht. Das ist auch noch gut für seinen Blutdruck. Und er ist endlich mal an der frischen Luft.  

Meine Sorgen rechtfertige ich gerne mit dem Elternsatz „Ich mein es doch nur gut!“. Wahrscheinlich muss ich einfach lernen, was auch meine Eltern lernen mussten: Loslassen. Die kommen schon zurecht. Wenn nicht, können sie ja immer anrufen.

Text: sina-pousset - Bild: Schluesselbund/Photocase

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