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Spiel mir das Lied vom Tod

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Irgendwo in Gaza schweißen, basteln und bauen Hamas-Kämpfer an ihren Raketen, laufen aus einem Tunnel, um ihre Geschosse von Jeeps und Abschussrampen in den Himmel Richtung Israel zu feuern. Es gibt Einschläge und Explosionen. Während die Gaza-Kämpfer mit ihren Stirnbändern mutig durch Felder laufen und durch das Mittelmeer nach Israel tauchen, werden Israelis als Opfer inszeniert: Weicheier, die davonrennen und nichts anderes tun, als auf dem Boden zu liegen und mit ihren Händen ihre Köpfe zu schützen.    

Das sind typische Bilder, die die Hamas in ihren Propaganda-Videos benutzt, und die auch im Video zu "Tkof, Ta’aseh Piguim" auftauchen. "Tkof, Ta’aseh Piguim", ein Lied der Hamas auf Hebräisch, heißt frei übersetzt so viel wie "Los, verübt Terroranschläge". Ganz Israel soll in Flammen aufgehen und sich nicht mehr sicher fühlen. Das sind noch die harmloseren Zeilen. Die härteren Töne gehen so: "Vertreibt die Zionisten, verbrennt die Soldaten, vernichtet die Kakerlaken." Das erinnert an einen Aufruf zum Völkermord – doch die Musik dazu lädt eher zum Mitsummen und Mitwipppen ein. Die orientalische Pop-Melodie kommt sehr freundlich daher und geht sofort ins Ohr. Die Folge: Statt sich zu fürchten, macht ganz Israel sich lustig darüber, hört und singt "Tkof, Ta’aseh Piguim" und tanzt dazu.  

http://www.youtube.com/watch?v=1-Ouqp-YI-A Die hebräische Originalversion des Hamas-Songs

"Tkof, Ta’aseh Piguim" wurde ursprünglich von den Qassam-Brigaden, dem militärischen Arm der Hamas während des Gaza-Kriegs 2012 auf Arabisch aufgenommen,

hat auf YouTube mehr als 1,5 Millionen Klicks. Am 10. Juli wurde das Lied auf Hebräisch auf Al Aqsa, einem Fernsehsender der Hamas, veröffentlicht, einen Tag später auf YouTube. Die reine Provokation. Denn Hamas ist ja nicht nur eine Terrororganisation, sie ist auch die politische Führung des Gazastreifens. Es ist also ein wenig so, als würde der israelische Ministerpräsident Netanjahu dulden, dass die israelische Armee offiziell "Tod den Arabern" singt. Und es besteht das Risiko, dass die extremistische Hetze des Textes mit der Meinung der palästinensischen Bevölkerung verwechselt wird.  

Die Taktik der Hamas, das Internet zum Kriegsschauplatz zu machen und Israelis per YouTube, Facebook oder SMS Angst einjagen zu wollen, ist nicht neu. Im Juli wurden im Namen der Qassam-Brigaden SMS an israelische Zivilsten verschickt, sowohl von israelischen als auch von palästinensischen NUmmern. "Al-Qassam hat dich dazu ausgewählt der nächste Shalite zu sein…sei bereit", stand zum Beispiel auf Englisch in einer davon. Gilad Shalit war der Soldat, der mehr als fünf Jahre lang in Gaza von der Hamas gefangen gehalten wurde. Kaum ein Empfänger nahm das ernst. Auch der Terror-Propaganda-Song wird nicht ernst genommen, unter anderem, weil er so schlecht übersetzt ist, dass Israelis darüber lachen müssen. Über soziale Netzwerke hat er sich rasend schnell bis in die bekannte Talkshow "Kitzis" ausgebreitet. "Kitzis" läuft zur Prime-Time und fasst sarkastisch die wichtigsten Ereignisse der Woche zusammen. In einer der letzten Sendungen haben zwei Komiker die Melodie benutzt, um die neuesten Promi-Geschichten zu erzählen. Dazu tanzten sie im Palästinensertuch durchs Bild.  

Das Lied läuft im Fernsehen, auf Partys, als Klingelton, in All-you-can-drink-Bars, angeblich wird sogar auf Hochzeiten dazu getanzt. Mittlerweile finden sich jede Menge Parodien auf YouTube:

, die in einem Kreis sitzt, klatscht und trommelt und den Text um eine "Frieden-für-die-Welt-Passage" ergänzt. Eine Gruppe Jungs, die verkleidet und mit Wasserpistolen durch den Garten rennt. Ein junger Mann, der eine harmonische Einlage am Piano spielt. Eine König-der-Löwen-Version, in der Erdmännchen durch ihre Tunnel laufen. Eine Schlümpfe-Version, eine Instrumental-Version für Ultraorthodoxe und

.  

http://www.youtube.com/watch?v=DDDUeEmgnm4 Die von "König der Löwen" inspirierte Parodie ist eine der bekanntesten.

Wird Humor hier zur Waffe? Ja, sagt Nathaniel, kurz Nate, der mit seinem Mitbewohner David eine Akustik-Version aufgenommen hat. Auch er hatte bis vor kurzem "Tkof, Ta’aseh Piguim" als Klingelton auf seinem Handy. "Humor ist ein Instrument, um Dinge auszuhalten, um den Druck wegzunehmen, wenn man bedroht wird", so Nate. Seine Familie kommt ursprünglich aus Afghanistan, er ist mit orientalischer Musik groß geworden. Er habe das Potenzial gleich gesehen, sagt er, das Lied sei einfach ein Ohrwurm. Er hat sich seinen Mitbewohner mit dessen Gitarre geschnappt, sie haben zwei schwarze Sonnenbrillen aufgesetzt und losgelegt; David hat etwas Bob Marley einfließen lassen. Er wolle einfach, dass sich die Idee verbreitet, sagt Nate. Die Idee, dass Ernst und Humor sehr nah beieinander liegen.

http://www.youtube.com/watch?v=ErBlYK2EpaY Nates und Davids Version von "Tkof, Ta’aseh Piguim"

Was sagt es über eine Gesellschaft aus, die eben noch 20-jährige Soldaten beerdigt hat, wenn sie zu einem Song tanzt, der den eigenen Tod besingt? Man kann diese Reaktion leicht als zynisch abstempeln. Aber die Israelis wollen sich ihren Spaß nicht nehmen lassen. So war es auch, als im Februar 2012 eine Petition auf Facebook Netanjahu darum bat, einen Krieg gegen den Iran erst nach Madonnas Konzert zu beginnen. Die wollte schließlich ihre Welttournee in Tel Aviv eröffnen. Junge Israelis haben eine eigene Art, mit dem Alltag in einem Land umzugehen, das sich immer am Rande des Kriegszustands befindet – und immer wieder tatsächlich im Krieg. Statt machtlos zu sein, holen sie mit Spott zum Gegenschlag aus. Vielleicht können sie das, weil sich diese Generation nicht mehr an die Zeit erinnert, als Terroranschläge zum Alltag in Israel gehörten; als Cafés, Diskotheken und Busse in die Luft gesprengt wurden. Vielleicht will sie sich auch nicht mehr daran erinnern.  

Oder es ist wie mit den Witzen über den Holocaust, bei denen man beschämt zu Boden schaut, während israelische Freunde in Gelächter ausbrechen. Vielleicht können und dürfen nur Juden über dieses Lied lachen, weil es nur sie bedroht. 

In jedem Fall wollen sich die jungen Israelis nicht unterkriegen lassen. Sie sagen: Wir sind hier und wir bleiben hier. Tel Aviver fügen hinzu: Wir feiern weiter. Einfach weitermachen und so tun, als sei alles in Ordnung. Bloß keine Schwäche zeigen. Bloß keine Angst haben. Bloß nicht preisgeben, dass man doch nervös ist. Dass der Puls schneller schlägt und das Herz zu rasen anfängt, wenn die Sirenen heulen.  

Sicher ist: Im Gegensatz zu den Raketen aus dem Gazastreifen stellt das Lied der Hamas keinerlei Bedrohung für die Israelis dar. Nicht einmal nervös macht es sie. Zu oft haben sie diese Parolen schon gehört. Sicher ist auch: Sie werden weiterhin versuchen, keine Angst zuzulassen. Deshalb werden sie weiter tanzen, singen und lachen. 


Text: claudio-musotto - Cover: Screenshot (Buchnik24/YouTube)

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