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Sanctuary Jede Wochen stellen wir an dieser Stelle einige CDs vor, die diese Woche erscheinen. Nicht unbedingt die besten, nicht unbedingt die schlechtesten - sondern einfach die, die wir am erwähnenswertesten finden. Ursula 1000 – Ursudelica (ESL Music / Soulfood Music) Phoenix – LIVE! Thirty Days Ago (Labels/Virgin) Goldie Lookin’ Chain – Greatest Hits (Atlantic/Warner) Hans Nieswandt – True Sound Center (Ware Rec.) The Unicorns – Who Will Cut Our Hair When We’re Done (Sanctuary) Das Durchschauen der CDs, die der Klapperstorch diese Woche ins Körbchen getragen hat, ist ja immer ein Wechselbad: Da gibt es bekannte Namen altvertrauter Lieblinge, unbekannte Gruppen mit vielversprechender Agenda – aber auch CDs deren Cover einen schon so rege abstößt, das man das Anhören gerne immer weiter hinausschiebt, bis man schließlich von der Redaktionsdomina mit dem Rohrstock an die Tastatur gepeitscht und an der Heizung festgekettet wird. „Ursudelica“ von Ursula 1000 ist so eine CD. Sieht von außen aus wie eine ganz schlimme Handbag-House-Compilation. Frauenhände mit lackierten Nägeln, die einen Kopfhörer halten und auf der Rückseite den dazugehörigen Stecker. Fehlt nur noch eine Kirsche und der Aufkleber „Pacha Club empfiehlt“. Hinter Ursula 1000 verbirgt sich dann aber ein ganz kecker junger New Yorker, der aussieht wie Milo von den Descendents, Chihuahas mag und schon Remixe für die ganz großen gemacht hat. „Ursudelica“ ist ein eklektischer Mix aus Bossa-, Jazz-, Disco- und Soul-Elementen, den man vor Jahren vermutlich mit dem (damals) verkaufsfördernden Label „Easy Listening“ versehen hätte. Für meinen Geschmack manchmal etwas zu latinesk, aber gut, mit Stahlketten an den Heizkörper fixiert lässt sich anderer Leute unbändige Lebensfreude eben nicht ausschließlich goutieren. Nächste CD im Stapel: Hui, ein Livealbum von Phoenix. Livealben sind ja eigentlich ein Relikt aus vergangenen Jahrzehnten, von „Frampton Comes Alive“ bis „Accept Live in Japan“. Heute mag das kaum noch wer machen, was irgendwie auch in Ordnung geht. Wenn man „ThirtyDaysAgo“ reinlegt, wird man jedoch sofort Fan vom Format Livealbum, denn Phoenix bekommen es hin, ihren eh schon guten Liedern noch ein paar neue Reize hinzuzufügen. Wer daran zweifelt, möge bitte „If I Ever Feel Better“ relativ sehr laut aufdrehen. Da erhebt plötzlich ein herrlich sleaziger Rockpart sein dauergewelltes Haupt, den man in dem Original-Stück vergeblich sucht. Und der trotzdem so gut passt, dass man sich fragt, wie man das Lied ohne überhaupt ertragen konnte. Goldie Lookin Chain waren schon bei Sarah Kuttner zu Gast und deren Redaktion wählt ihre musikalischen Gäste ja mit einer etwas sichereren Hand aus als die anderen Think Tanks des Privatfernsehens. Auch GLC waren eine gute Wahl, denn ihr scham- wie ambitionslos betiteltes Album „Greatest Hits“ macht genauso schnell gute Laune wie sich Instant-Tee auflöst. Die Mitglieder des insgesamt 21 Köpfe zählenden Rap-Kollektivs haben sich Namen wie Mr. Love Eggs, Adam Hussain, SkinnyMan oder Mike Balls (The Hardest Man in Soccer Violence) gegeben und sporten bei ihren Auftritten alle Insignien, die man als Rapper in diesen Tagen so braucht: Dicke Goldklunker, Sonnenbrillen, Schweißbänder, Sun Visors, glänzende Traingsanzüge. Irony Is Over? Vielleicht, aber solange Ali G keine vernünftigen Platten macht, sind GLC nicht die schlechteste Wahl. Denn im Gegensatz zu vielen anderen Spaßprojekten ist die Musik zumindest guter Durchschnitt und klingt in etwa so, als hätten sich die Puppetmastaz Mike Skinner ins Puppenhaus geholt. Das erste Lied auf der neuen Hans Nieswandt, die „True Sound Center“ hießt, ist sehr komisch. Ein billig klingendes Elektro-Lala mit strikt gereimtem Kitschtext über eine verflossene Liebe und gemeinsame Urlaubsreisen ans Meer. So als hätte sich Stefan Remmler eine junge Beatstrickliesl engagiert. Oder habe ich die Zeichen der Zeit nicht erkannt und das ist jetzt das neue Cool? Wäre ja immerhin denkbar... Solange bis das jemand anders für mich entschieden hat, erzähle ich lieber noch eine Nieswandt-Geschichte. Die Geschichte, die ja jeder kennt ist ja die, dass sein „From: Disco To: Disco“ in Italien Nummer eins war. Braucht man nicht mehr erzählen. Eher neu dagegen die Geschichte von Nieswandts DJ-Reise für das Goetheinstitut durch den Nahen Osten. Vor der Abreise tauschte Nieswandt einige Mails mit den Verantwortlichen vor Ort aus, die seine Gigs verschoben, die ursprünglich geplanten Auftrittsorte und Termine seien zu riskant, Anschläge und so. Nieswandt erkundigte sich leicht besorgt, ob es denn generell eine gute Idee sei, anzureisen – vor allem unter dem Gesichtspunkt, dass er ja nach Möglichkeit am Leben zu bleiben gedächte. Kein Problem, kam irgendwann die Antwort, jetzt sei alles von Arafats Bruder abgesegnet und stünden unter dessen persönlichem Schutz. Auch mal ein interessantes Lob für einen DJ. Der Rest der CD ist dann übrigens nicht ganz so poppig-seicht wie das erste Stück, sondern selbst nach meinem eher konservativen Verständnis elektronsicher Musik als sehr gut zu bezeichnen. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. Wow, was für eine gute Woche, denn die letzte CD ist noch mal eine echte Perle: „Who Will Cut Our Hair When We’re Gone?“ von The Unicorns ist ein versponnenes kleines Indieschätzchen das man irgendwo in dem Trapez Pavement – Magnetic Fields – Broken Social Scene – The Flaming Lips aufhängen könnte – an einer goldenen Schnur, versteht sich. Das Trio aus Montreal nimmt in einem Lied mehr Instrumente, Genres und brillante Songideen in die Hand als andere Bands in ihrer ganzen Karriere. Klingt blöd strebermäßig, ist aber völlig entspannt und von einer Lässigkeit, die man lange nicht gehört hat. Denn wenn Musikgenies nicht bedeutungsschwangeren Nervmist machen wollen, sondern ihre Melodien auch in die Form herrlichsten Quatschs gießen können, bin ich der erste, der sich den „Ich bin Fan“-Hut aufsetzt. Just watch me.

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