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Eintrag aus dem Klassenbuch (VII). Turnen oder: Wofür brauche ich das alles?

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Ich bin ein großer Fan der Peanuts, und gerade habe ich wieder eine Phase. Also: Einmal kommt Lucy van Pelt zu Charlie Brown. Lucy ist ein sehr intelligentes Mädchen, sie weiß viel, berät ihre Freunde in schwierigen Lebenslagen und nervt nur ganz selten. Die Peanuts spielen Baseball und Lucy hat einen Ball nicht gefangen. Sie kommt also zu Charlie Brown und sagt: „Sorry, dass ich den Flugball verpasst hab...“ Charlie fragt: „Und welche Ausrede hast du diesmal?“ – „Der Kondensstreifen hat mich irritiert...“ Lucy ist wie ich. Mit dem kleinen Unterschied, dass wir in der Schule nicht Baseball, sondern Volleyball spielen. Ich konnte Volleyball noch nie leiden. Mir ist einfach unverständlich, wie man sich auf dieses Feld stellen, sich kaum bewegen, aber mit seinen Armen so schrecklich schmerzende Dinge tun kann. Außerdem habe ich nicht die notwendigen Reflexe. Dem entsprechend schlecht bin ich in dieser Sportart. Bernhard schüttelt jedes Mal völlig entgeistert den Kopf, wenn ich in seiner Mannschaft lande.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Illustration: Dirk Schmidt Manchmal besteht zum Glück die Möglichkeit, zwischen Volleyball und Fußball zu wählen. Alle Jungs spielen dann Fußball (Bernhard auch), und zusammen mit ein, zwei Freundinnen schließe ich mich ihnen an. Obwohl uns von Anfang an klar ist, dass die Jungs uns kaum an den Ball lassen werden, denn das ist ihre Sportart. Mein Freund Silvan begründete das neulich so: „Man kann den Mädels einfach nicht beim Fußball zuschauen. Sie stürzen sich immer sofort alle gleichzeitig auf den Ball!“ Trotzdem macht es viel mehr Spaß. Schon wegen Bernhards Blick. In keinem anderen Fach kommen die Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen so sehr zum Tragen wie im Sportunterricht. Und ich meine nicht die getrennten Umkleidebereiche. Ich meine die verschiedenen Punkteverteilungen bei der Leichtathletikbewertung und dass wegen der Jungs nie getanzt wird und dass sie meist geschlossen vor den Mädchen vom Waldlauf zurückkommen. Ohne die Abkürzung durchs Maisfeld. Dafür sehe ich folgende Gründe: - Jungs sind größer und stärker. - Sie mussten ja schon eine Doppelstunde Step Aerobic mitmachen. - Sie legen niemals Quatsch- und Seitenstichpausen im Schritttempo ein. Das Schlimmste am gesamten Sportlehrplan aber, und darüber sind sich Jungs und Mädchen einig, ist Turnen. Jedes Jahr im Winter läuft uns ein Schauer über den Rücken, wenn wieder Matten und Magnesiumvorräte herausgeholt werden. Dann müssen wir uns eine weitere neue Kür für Boden und Balken ausdenken, der Felgaufschwung klappt immer noch nicht und irgendwer verstaucht sich garantiert den Rücken am Barren oder springt auf spektakuläre Art und Weise gegen einen Kasten. Jeden Winter stelle ich mir in dieser Phase die gleiche Frage. Es ist die große Frage, die das Schülerleben ständig begleitet: Wofür brauche ich das bitte in meinem späteren Leben? Wann in meinem Leben werde ich jemals wieder Kurven diskutieren müssen? Ein Anakoluth benennen? Mehlwürmer züchten? Und, Herrgott noch mal, einen Felgaufschwung turnen?! Es gibt keine richtige Antwort auf diese Fragen. Wenn man danach sucht, kommt man irgendwann völlig verwirrt bei „Warum gehe ich überhaupt zur Schule?“ an. Darauf fand ich neulich bei den Peanuts eine wunderbare Antwort: Die Peanuts stehen im strömenden Regen an der Bushaltestelle. Sally Brown tropft und schaut verzweifelt drein und fragt sich: „Warum steh ich hier im Regen und warte auf den Schulbus?“ – „Damit du schreiben lernst und Brüche multiplizieren“, sagt Linus. „Und einen Beruf und wie man Geld verdient“, sagt Lucy. „Damit du deinen Hund füttern kannst“, denkt Snoopy.

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