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Durchs Schlüsseloch gucken

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Illustration: karen-ernst Nackte Frauen im Dutzend. Zu Hunderten. Eimerweise. Sie gucken einen an. Eine lasziver als die andere. Von jedem einzelnen Foto. Was, wenn das mein Beruf wäre? Und mein Alltag aus nicht viel mehr bestünde als fantastilliarden Fotos von angestrengt erregt schauenden nackten Frauen, angestrengt schauenden nackten Männern und manchmal auch angestrengten Schniedeln und Mumus? Und ich müsste sie den ganzen Tag anschauen, von Berufs wegen. Und mir von Berufs wegen Texte und Geschichten dazu einfallen lassen. Immer neue Schniedel-und-Mumu-Märchen. Ist das schön, ein Sexheft-Schreiber zu sein? Obwohl das eigentlich keine Frage ist, die einen geistig gesunden Menschen jeden Tag vorm Einschlafen quält, nicht mal nach der dritten Tüte: Ich frage es mich in letzter Zeit immer wieder, seit ich diese Job-Anzeige gelesen habe. Die andere Seite des Schlüssellochs „Kreativer Kopf gesucht“ stand dick und furchtbar breit in einem Internetportal für Journalisten. Dann, zwei Zeilen später: „Im Bereich unserer Erotikobjekte wie z.B. ‚Sexy'‚ ‚Schlüsselloch', ‚Sexwoche' benötigen wir redaktionelle Verstärkung und suchen dafür eine(n) Redakteur/in.“ Die Anforderungen an die Berufserotiker/innen von morgen: eine „teamorientierte Arbeitsweise“, Berufserfahrung „idealerweise aus dem Genre der Erotik“, und sie sollten „text- und zielgruppensicher“ sein. Klingt ja alles ganz nett, aber: Wer macht so was? Immerhin geht es hier um Schrubbelvorlagen und Wichsblättchen der deutlichsten Ausprägung. 295.000 Stück Auflage die Woche, 98 Prozent der Leser sind Männer. Die Produkte dieser Redaktion gibt es – anders als „Coupé“ oder „Praline“ – nur unter der Ladentheke. Dafür wird in den Blättchen dann mit offenem Visier gebohnert. Für das Arbeitsklima lässt das übles erahnen. Eine Herrenrunde. Mit abgestandenem Herrenrunden-Humor am Morgen und abgestandenen Leberwurststullen zu Mittag. Das und noch alles andere, was unschuldige Wehrdienstverweigerer sich unter „Kameradschaft“ in der Bundeswehr vorstellen. Würde man alle Eigenschaften der potentiellen Kollegen in eine Person packen, sie würde so aussehen, wie Qualle, meine Horror-Vorstellung von einem Sexheftchen-Schreiber. Arbeiten wie die Tiere Qualle vereint alle negativen Eigenschaften der Spieler einer unterklassigen Handballmannschaft: Den Fett-Schwabbel, den Schweiß-Glitsch, die ständigen Sprüche, man sollte doch „mal wieder mit der ganzen Mannschaft in den Puff fahren.“ Qualle schnaubt. Er denkt sich gerade eine Überschrift für eine Geschichte über nackte Putzfrauen aus. Ein Sex-Profi kurz vor dem kreativen Höhepunkt. Qualle müffelt. Dann grummelt er: „Hm, ‚feucht rauswischen', das ist gut.“ Nachdem Qualle seit zwei Tagen in meinen Albträumen auftaucht, rufe ich beim Sexheftchen-Personalchef an. „Hallo, ich rufe an wegen der Anzeige...“ Der Mann, der antwortet, ist freundlich und ruhig. In den Heften gehe es vor allem um „die Schönheit des Körpers“, erzählt er, auch wenn das Dargestellte natürlich „eine gewisse Schärfe“ habe. Und die Leute, die da arbeiten? „Das ist eine ganz muntere Truppe. Menschen wie du und ich. Die unterscheiden sich in nichts von irgend einer anderen Redaktion. Es arbeiten auch viele Frauen dort.“ Also keine leberwurststullenkrümelden Quallenmenschen. Sogar Frauen helfen dort mit, die zu 98 Prozent männlichen Träume zu befeuchten. Wie das funktioniert erklärt der Mann am Telefon auch gleich: „Sehen Sie, so wie man bei einer Frauenzeitschrift über Königin Silvia schreibt, schreibt man halt hier über den Geschlechtsverkehr zwischen Mann und Frau.“ Und dann ist doch alles halb so wild So einfach ist das. Und so normal. Die notgeile Redaktion mit der tariflich garantierten acht-Stunden-Dauerlatte gibt es nicht in der Wirklichkeit, sondern höchstens in der eigenen Phantasie. Dort liegt es wahrscheinlich am meisten im Argen, wenn man den Sexheftschreibern eine permanente Perversion unterstellt. Irgendwie stimmt es ja auch – ob Königin Silvia oder Prinzessin Mumu: Es geht nur um ein paar Zeilen, die den Leser auf ihre Art glücklich machen sollen. Ist man jetzt verklemmt, wenn man trotzdem nicht sofort den Arbeitsvertrag bei „Schlüsselloch“ unterschreiben würde – selbst wenn dort journalistische Arbeit verlangt wird? Nicht doch. Bei diesen Eimern voll Pimperquatsch jeden Tag, diesem ständigen rein handwerklichen Abarbeiten von etwas, das irgendwann früher einmal völlig intim und privat war – dabei würden die meisten abstumpfen. Außer eben jenen, die nicht schon beim Lesen der Jobanzeige von ihrer dreckigen Phantasie eingeholt werden. Die könnten es trotz Porno-Inferno schaffen, ganz normal zu leben. Mit der Vorstellung von Qualle war es irgendwie einfacher. Weitere Texte aus der Rubrik Sexkritik gibt es auch hier

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