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In einem anderen Licht

Foto: sïanaïs / photocase.de

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Jeder Mensch, den man kennt, hat etwas von einem unfertigen 3000-Teile-Puzzle. Wenn beispielsweise ein neuer Bekannter, nennen wir ihn Tobi, plötzlich in den eigenen Kreisen auftaucht, hat man von Tobi zunächst nur die Eckteile, die man sich ja bekanntlich immer zuerst aus dem Puzzle heraussucht. Mit der Zeit, wenn Tobi im Freundes- oder Bekanntenkreis verbleibt, ergibt sich ein immer vollständigeres Bild von ihm. Dabei spielen vor allem auch die Dinge eine Rolle, die er mag oder die er irgendwie findet: Sein Lieblingsessen, seine Lieblingsmusik, seine neuen Schuhe, seine Meinung zu Guttenberg. Zu all diesen Sachen hat man unweigerlich auch eine Meinung, man findet das Essen lecker, die Schuhe hässlich, widerspricht seiner Guttenberg-Ansicht. Und auch, wenn man der guten alten innere-Werte-Regel folgen und es einem fern liegen sollte, Tobi danach zu beurteilen, welche Schuhe er trägt und welche Musik er gerne hört, kann man sich doch nicht dagegen wehren, dass die Dinge, mit denen Tobi sich umgibt und die er vertritt, das Bild, das wir von ihm haben, erweitern.

An sich geht die Vervollständigung des Tobi-Puzzles in eher kleinen Schritten voran. Eine Ausnahme bildet der Moment, in dem man Tobis Freundin kennenlernt. Der Partner oder die Partnerin ergänzt das Bild, das man von einem Menschen hat, ganz ungemein und kann es mitunter völlig auf den Kopf stellen. Das liegt vielleicht auch daran, dass man sich den Partner einer Person, die man schon kennt und von der man weiß, dass sie in einer Beziehung ist, immer irgendwie vorstellt. Wenn Sarah zum Beispiel Tobi bisher immer als unsympathisch, arrogant und aufgesetzt empfunden hat, dann stellt sie sich seine Freundin als unsympathisch, arrogant und aufgesetzt vor, eventuell aber auch als Frau ohne Meinung, die Tobi in Sachen Guttenberg voll unterstützt. Sie stellt sich Tobis Partnerin nicht unbedingt als seine bessere Hälfte vor, aber zumindest als seine Hälfte, als ein erwartbares Motiv, das im Puzzle auftaucht.

Aber dann kommt es ganz anders. Denn Tobis Freundin, nennen wir sie Jasmin, ist natürlich nicht bloß eine Hälfte, sie ist ein Individuum, klar. Jasmin sieht gut aus, aber nicht auf die Art gut, wie man sich das für Tobi vorgestellt hat, sondern schlichter. Sie ist auch viel natürlicher in ihrer Art als er, sie geht mit allen ungezwungen um. Aber neben ihrer Rolle als Individuum in der Welt ist sie eben auch Tobis Freundin und damit die Hälfte eines Paares, in dem Tobi die andere Hälfte bildet, und sie ist vor allem eines: der Mensch, den Tobi liebt. Der Mensch, den er sich ausgesucht hat unter all den anderen Menschen, und in dieser Wahl steckt noch viel mehr von ihm als in jedem Paar Schuhe, das er sich kauft, und in jeder Meinung, die er vertritt. Jasmin verkörpert eine Seite an Tobi, die er bisher nicht gezeigt oder die Sarah zumindest nicht bemerkt hat. Sie mag Jasmin und weil Jasmin Tobi sehr mag und vor allem, weil er Jasmin so gerne hat, sieht Sarah Tobi auf einmal mit anderen Augen.

Dieses Loyalitäts-Dreieck ist etwas sehr Schönes, weil es dafür sorgt, dass ein bisschen mehr Wohlwollen in die Welt kommt. Problematisch wird es, wenn man den Partner einer Person, die man sehr mag, kennenlernt, und dieser stellt sich dann als unerträglicher Miesepeter, Langweiler oder Aufschneider heraus. Denn dann fragt man sich: „Wieso ist diese tolle Frau/dieser tolle Mann mit dem/der zusammen?" Logisch wäre es, wenn das Bild der Person, die man schon länger kennt, nun um ein paar hässliche Puzzleteile ergänzt würde, so wie Tobis Bild durch Jasmin positiv ergänzt wurde. Manchmal passiert das sogar, aber oft ist es auch so: Wenn man jemanden mag und dann feststellt, dass er mit jemandem zusammen ist, den man ganz furchtbar findet, neigt man weniger dazu, die Person anhand ihres Partners neu zu bewerten, sondern dazu, über die Beziehung zu urteilen und der Freundin oder dem Freund im Stillen vorzuwerfen, einen großen Fehler gemacht zu haben. Und so sehr es in Ordnung ist, Menschen als Einzelne zu beurteilen und dabei ihre Neigung für einen anderen Menschen in die Meinung, die man über sie hat, mit einzubeziehen, so fatal ist es auch, etwas zu beurteilen, das zwischen zwei Menschen ist.

Wenn man den Partner also mag, macht man es richtig und sieht die beiden Partner als Individuen, die sich irgendwie beeinflussen und ergänzen. Wenn man den Partner aber nicht mag, schwingt man sich ohne Berechtigung dazu auf, die Beziehung, also die beiden Partner als Paar, zu verurteilen. Der Grund dafür ist vielleicht ein ganz einfacher und eigentlich auch ganz schöner: Harmonie. Allerdings ist es eine rein eigennützige Harmonie. In dem einen Falle freut man sich, dass Tobi vielleicht doch viel netter ist als man dachte, in dem anderen will man einfach nicht glauben, dass jemand, den man mag, diese unangenehme Seite haben soll, die ihn dazu bringt, jemanden zu lieben, den man so scheußlich findet.

Den Partner eines Menschen sympathisch oder unsympathisch zu finden und zuzulassen, dass sich durch diese Einschätzung etwas an dem Licht ändert, in dem man den anderen sieht, kann man kaum verhindern. Aber wenn man dem Charakter eines Menschen auch anhand seines Partners näherkommen will, ist eine Unterscheidung sehr wichtig: Es geht nicht darum, warum Tobi Jasmin liebt, sondern darum, dass er sie liebt. Wenn man Jasmin mag, entdeckt man dadurch eine Seite an Tobi, die man wertschätzt. Wenn man Jasmin nicht mag, entdeckt man etwas an Tobi, das man nicht mag. Das bedeutet aber nicht, dass es falsch ist, dass Tobi Jasmin liebt. Beziehungen sind nämlich Privatsache. Partner allerdings sind es nicht, weil man mit ihnen durch die Straßen geht und sie dadurch etwas von dem offenbaren, das man mag und das man ist. 

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