Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Das beste Buch übers Surfen ever

Foto: Tó Mané

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Jeder kennt jemanden, der es tut. Oder mindestens so tut, als ob er es tut. Denn kein Sport ist so cool wie Surfen. Kein Sport ist so aufgeladen, so sehr Status-Symbol. Jetzt hat das Wellenreiten ein Buch bekommen – so gewaltig und voller kleiner Wunder wie das Meer. „Surfing 1778-2015“ (Taschen Verlag) erzählt auf knapp 600 Seiten die ganze Geschichte, vom hawaiianischen Königsritual zum globalen Gladiatorenzirkus und Breitensport. Und je länger man gebannt seine großen Seiten umblättert, desto mehr fragt man sich: Warum kribbelt es so? Was ist so anziehend an diesem Brett auf dem Wasser? Warum ist Surfen so groß? 

Garrett McNamara, Nazaré, Portugal, 2013

Garrett McNamara, Nazaré, Portugal, 2013

Foto: Tó Mané
Waikiki, Hawaii, ca. 1890

Waikiki, Hawaii, ca. 1890

Foto: Frank Davey
Makaha, Hawaii, 1966

Makaha, Hawaii, 1966

Foto: LeRoy Grannis
Outer Reef, Nordküste, Hawaii

Outer Reef, Nordküste, Hawaii

Foto: Ed Freeman

Ich glaube: Der Surfer, männlich wie weiblich, taugt hervorragend als Stereotyp des sportlich-hedonistischen Freigeistes, der die harten Anforderungen des neoliberalen Menschenbildes in puncto Selbstverwirklichung und Körperbau spielend erfüllt. Und dennoch mit diesem widerspenstigen, manchmal feindlichen Ding namens Natur „im Einklang“ ist (Jim Hermann erhöht auf „im Konzert mit Mutter Natur“ sein).

Der Surfer vereint also postmoderne Ambivalenzen in sich. Er ist ein Performer, leistungsbereit und kompetitiv, aber gleichzeitig sanft und achtsam. Er hat Spaß und Sinn. Er funktioniert und bricht aus. Deshalb können heute alle Surfer sein. Früher war man ein Outlaw, wenn man mehr ans Wasser dachte als an Arbeit und Familie. Heute fahren Bausparer und Arbeitnehmerinnen in ihrem Jahresurlaub gen Bali. Früher zuckelte man im alten Bulli den Wellen hinterher. Heute feiern Junggesellen ihre Abschiede in Surf-Camps, chartern Sport-Studentinnen Boote zu den Riffen vor Java, kann man in Wasserparks in Wales oder Dubai künstliche Wellen reiten. Der Surfer ist (und hat) eine Traumfigur. Aber eine erreichbare. Für alle. 

Und bei aller popkultureller Präsenz bleibt das eigentliche Erlebnis, dieser Moment des Schwebens auf dem Wasser, der Flow-Zustand, wenn man da draußen liegt und darauf wartet, dass der Ozean etwas Surfbares schickt, die völlig erledigte Trance, in die man nach einem Tag im Wasser verfällt – das alles bleibt etwas Einzigartiges, fast Transzendentes, Quasi-religiöses. Diese beispiellose Einfachheit wird immer wichtiger in einer „vollen Welt“, wie der erste Surf-Journalist Jim Severson im Vorwort zitiert wird, in der der Surfer noch „den perfekten Tag und die perfekte Welle finden kann, und alleine mit dem Surf und seinen Gedanken ist.“ Wenn er denn noch eine einsame Welle findet. Weltweit 20 Millionen Menschen sollen surfen, die Surf-Industrie setzt zehn Milliarden Dollar um. Jährlich.

So hat der Sport seit seiner mutmaßlichen Erfindung um 1200 herum vor Hawaii die übliche Evolution vom Nischenhobby zum globalen Geschäft durchlaufen. Dabei wäre er fast ausgestorben, zusammen mit den Hawaiianern, deren Bevölkerung seit ihrer „Entdeckung“ durch Europäer 1778 in nur 100 Jahren um 90 Prozent dezimiert wurde – vor allem durch eingeschleppte westliche Krankheiten. Dann besuchten europäische und amerikanische Urlauber die Inseln, einer von ihnen hieß Jack London. Der Erfolgsautor schrieb einen 4000 Wörter starken Text über seine Erfahrungen in den Wellen. Der Rest ist Surf-Geschichte.

Ein Buch, groß und schwer wie eine große und schwere Welle, das in Wort und Bild erzählen kann, warum Bretter auf Wasser magische Vehikel in eine andere Welt sein können, war längst überfällig. Jim Hermann hat für den Taschen-Verlag unzählige wunderschöne Fotos zusammengetragen. Die touristische Kommerzialisierung ausgehend von Hawaii, die Globalisierung und Professionalisierung in den 70ern und 80ern, der Durchbruch in der Popkultur 1991 über den Film „Point Break“ mit Keanu Reeves und Patrick Swayze, die ersten Superstars wie Kelly Slater kurz darauf, heutige Rekordjagden in 30 Meter hohen Wellen – alles ist drin.

Dieses Buch ist das ultimative Geschenk für jeden Surfer. Die 150 Euro, die es kostet, sollte man zusammenlegen. Der Surfer wird auf ewig dankbar sein für diesen Schatz, fast so wertvoll wie ein perfekter Tag da draußen.

Hier die Welle weiterreiten:

  • teilen
  • schließen