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Hogwarts an der Oder

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Angestrichen:
„Die Arbeit liefert damit zumindest einen ersten Hinweis auf mögliche Telepathie, die es weiter zu untersuchen gilt. Das hat die Gemüter erhitzt. Denn viele sehen bereits im Beforschen solcher Dinge ein Sakrileg und belegen diese Tatsache selbst mit dem Prädikat ‚unwissenschaftlich’.“

Wo steht denn das?
In einer Stellungnahme von Professor Harald Walach, Leiter des in den vergangenen Wochen in die Kritik geratenen Instituts für transkulturelle Wissenschaften an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt.  

Und worum geht es?  
Stein des Anstoßes war eine Masterarbeit zum Thema „Der Kozyrev-Spiegel in der Praxis“ im Studiengang „Kulturwissenschaften- Komplementäre Medizin“. Der Orthopäde Peter Conrad hatte dabei mehrere Experimente mit der angeblich vom russischen Astronomen Nikolai Kozyrev entworfenen Aluminiumröhre durchgeführt.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Selbstgebastelte Kozyrev-Spiegel aus der Masterarbeit von Peter Conrad.

Nach Conrads eigenen Erfahrungen in einem selbstgebastelten Kozyrev-Spiegel (er verkleidete eine begehbare Plastikröhre mit Alufolie) hatte er durch den durch den dort entstandenen „Raum-Zeit-Kanal“ Kontakt zu verstorbenen Angehörigen aufgenommen oder sich in der Pyramide von Gizeh wiedergefunden (Zitat Conrad in seiner Arbeit: „Am ehesten umschreiben kann man es vielleicht mit: Aufladen, wie an einem Akku - schwerelos - zeitlos - wooohlfüüühlen..“).

In seiner Arbeit untersuchte er die telepathischen Möglichkeiten der Spiegel, indem er Testpersonen, die über Kabel an aus Pappe und Alufolie gebastelte Mini-Kozyrev-Spiegel „angeschlossen“ waren, Zahlen erraten ließ. Aufgrund der Kontakte zu Toten in der begehbaren Version und einer leicht erhöhten Trefferquote bei Zahlen, die sich in einem Umschlag in den Pappröhren befanden, hielt Conrad die Wirkung der Spiegel für „erwiesen“, die Masterarbeit wurde von Leiter Harald Walach als experimentell herausragende Studie gelobt.

Die darauf folgende Aufregung in Presse und dem wissenschaftlichen Betrieb war riesig. Dass eine Arbeit als herausragend bezeichnet wird, die sich längst wiederlegter Eso-Theorien bedient (wie zum Beispiel der „Global Scaling“-Theorie des verurteilten Betrügers Hartmut Müller), mittels ein paar Pappröhren die telepathiefördernden Fähigkeiten von Kozyrev-Spiegeln untersucht und sich noch dazu streckenweise so liest wie die Erlebniserzählung eines Grundschülers („Danach versuchte Gedankenfreiheit und schwupps ... lag ich wieder in der Resonanzkammer in der Großen Pyramide.“) erschien vielen als Verfall wissenschaftlicher Standards. In Blogs wurde die Uni Viadrina deswegen nur noch „Hogwarts an der Oder“ genannt.

In seiner Stellungnahme verteidigt nun Institutsleiter Harald Walach seine Beurteilung der Hellseher-Arbeit. Dass sie formale Mängel aufweise, erkenne er zwar an, das methodische Vorgehen bei den Experimenten allerdings sei wissenschaftlich gewesen und habe „einen ersten Hinweis auf mögliche Telepathie“ geliefert. Außerdem hält er den Medien und dem wissenschaftlichen Betrieb einen verengten Begriff von Wissenschaftlichkeit vor, die ihn an „die Haltung der Inqusition im Spanien des 17. Jahrhunderts“ erinnere. Sobald Begriffe wie „Global Scaling“ oder „Telepathie“ in einer Arbeit auftauchten, würde reflexartig das Prädikat „unwissenschaftlich" vergeben.

Vor wenigen Tagen empfahlen Experten der Hochschulstrukturkomission des Landes Brandenburg der Viadrina einen Verzicht auf den Studiengang Komplementärmedizin. Sie bezweifeln, dass am Institut für transkulturelle Gesundheitswissenschaften eine wünschenswerte Reflexion zu Themen jenseits der Naturwissenschaft stattfindet, die Dozenten fehlte es größtenteils an medizinischen Grundkenntnissen, weswegen mit Nachdruck der „Verzicht auf das Angebot des MA-Studiengangs“ nahegelegt wird. Eine Fortführung des Instituts sei weder als In- noch als An-Institut der Viadrina zu befürworten.

Text: quentin-lichtblau - Screenshot: Peter Conrad

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