Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Kein "Nein" heißt "Ja"

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Illustration: Julia Schubert

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Angestrichen:
„Now an examination of other cases from recent years shows a pattern to the handling of sexual assault complaints by Florida State students: After an accuser makes a police report and submits to a medical rape exam, the police ask if she wants them to investigate, and if she does not explicitly agree, they drop the case, often calling her uncooperative."  

Wo steht das?
Auf der Website der New York Times. Dort gehen Richard Pérez-Peña und Walt Bogdanich der Frage nach, warum in den USA sexuellen Übergriffen auf Studentinnen in vielen Fällen nicht nachgegangen wird.  

Was genau steht da?
Die Autoren haben mehrere Übergriffsfälle aus den vergangenen Jahren untersucht, in denen betroffene Studentinnen von der Florida State University in Tallahassee Anzeige erstatteten. Anstatt wie bei anderen Verbrechen von sich aus eine Untersuchung der Vorfälle einzuleiten, habe die Polizei die Vorwürfe in der Regel nicht weiter verfolgt. Der Grund: Die Übergriffsopfer hätten das nicht ausdrücklich gewünscht und sich „unkooperativ“ gezeigt.

Gleichzeitig wird ein Beschwerdebrief einer Studentin zitiert, den diese an die örtliche Polizeibehörde geschickt hatte: Nach ihrer Vergewaltigung habe sie bei der Befragung unter Stress gestanden und sei verängstigt gewesen, nicht unkooperativ. Eigentlich könnte man davon ausgehen, dass man sich bei der Polizei über so etwas im Klaren sein sollte. Dass dem nicht so ist, sei Experten zufolge jedoch nicht untypisch in den USA und würde sich nicht nur auf Florida beschränken.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Laut Statistik wird jede fünfte Studentin in den USA sexuell missbraucht.

Obwohl sich zwischen 2011 und 2013 mindestens 63 Studentinnen bei einer Anlaufstelle für Opfer häuslicher und sexueller Gewalt in Tallahassee gemeldet haben, ist es im gleichen Zeitraum nur zu zwei Festnahmen gekommen. Die Autoren schreiben, es sei schwer, vor Gericht eine Vergewaltigung nachzuweisen. Behörden würden die Beweislast deshalb häufig als nicht ausreichend sehen, um Verdächtige strafrechtlich zu belangen. Im Leon County, in dem Floridas Hauptstadt Tallahassee liegt, führt durchschnittlich nur jede fünfte Anzeige zu einer Strafverfolgung. Bei Fällen, in denen Studierende betroffen sind, ist die Rate sogar noch niedriger. Woran das genau liegt, das wissen auch die Autoren nicht.

Mögliche Gründe sind laut Pérez-Peña und Walt Bogdanich: zum einen, dass in den Vereinigten Staaten bei Übergriffen an Studentinnen oft Alkohol im Spiel ist. Und zum anderen, dass Polizisten womöglich eine andere Herangehensweise bei solchen Fällen haben. Die Direktorin des „Refuge House“, der oben genannten Anlaufstelle in Tallahassee, sieht noch einen wichtigen Grund: Wenn sie Kommilitonen anzeigen, würden betroffene Studentinnen von ihren Freunden oft als „Nestbeschmutzer“ gesehen.

Dass viele Übergriffsopfer nach dem Vorfall wegziehen, macht eine Verfolgung der Straftat umso schwieriger. Außerdem fühlen sich viele Betroffene schlecht von der Polizei behandelt, wenn diese sich beispielsweise nur auf Ungereimtheiten in der Geschichte des Opfers konzentrieren. Und das, obwohl widersprüchliche Aussagen und Gedächtnislücken in emotionalen Stressfällen normal sind. Dieser Stress kann zudem dazu führen, dass die Studentinnen als Folge einer misstrauischen Befragung nicht auf einer Verfolgung des Täters beharren. Mancherorts arbeitet die Polizei inzwischen aber auch an einem anderen Umgang mit Fällen sexueller Gewalt. So wird etwa in Philadelphia eine betroffene Frau nicht mehr erst gefragt, ob es in einem von ihr gemeldeten Fall zu weiteren Untersuchungen kommen soll.  

Und was lernen wir daraus?
Etwas Altbekanntes: Sexuelle Gewalt ist und bleibt ein großes Problem, mit dem wir uns alle mehr befassen müssen. Das kann nicht oft genug gesagt werden. Es ist schockierend, dass in den USA häufig nicht einmal die Polizei dieses Problem ernst zu nehmen scheint. Es ist empörend, dass sie sexuelle Übergriffe anscheinend anders behandelt als manch anderes Verbrechen. Bei einer Körperverletzung wird schließlich auch nicht gefragt, ob man möchte, dass der Täter belangt wird. Wenn das Opfer einer Vergewaltigung den Vorfall bei der Polizei meldet, sollte es klar sein, dass eine Untersuchung erwünscht ist.

Viele Unis nehmen sexuelle Gewalt nicht immer Ernst oder gehen Vorwürfen nicht entschieden genug nach. Meist liegt das daran, dass sie um das Ansehen der Einrichtung fürchten und solche Fälle dann verschweigen. Das kann und darf nicht so bleiben. Sexuelle Übergriffe im Umfeld von Unis sind auch in Deutschland ein Problem. So macht einer Studie aus dem Jahr 2012 zufolge jede zweite Studentin hierzulande Erfahrungen mit irgendeiner Form sexueller Belästigung. Im Detail fallen die Zahlen allerdings unterschiedlich aus, da es verschiedene Ansichten über die genaue Definition von Belästigung gibt. Mehr als jede zehnte Befragte gab an, bereits vergewaltigt worden zu sein oder einen anderen schweren sexuellen Übergriff erlebt zu haben.

Eine Anfang des Jahres veröffentlichte EU-weite Studie erregte ebenfalls Aufsehen. So wurde statistisch gesehen  jede dritte Frau in der Europäischen Union seit ihrer Jugend (ab 15 Jahren) mindestens einmal Opfer sexueller oder sonstiger körperlicher Gewalt. Weltweit trifft das nach Schätzung von Amnesty International auf eine Milliarde Frauen zu. Das entspricht einem Drittel aller Frauen.

In den USA wurde die Debatte um sexuelle Übergriffe durch ein Massaker im Mai befeuert, bei dem ein psychisch kranker 22-Jähriger in der Nähe der kalifornischen Stadt Santa Barbara fast 20 Menschen tötete oder verletzte. Als Grund hatte er die Zurückweisung durch Frauen genannt, beispielsweise durch seine Kommilitoninnen an der Uni. Trotz der psychischen Probleme des Mannes entfachte die Gewalttat eine breite Diskussion, bei der Frauen etwa unter dem Hashtag „yesallwomen“ von ihren Erfahrungen mit sexueller Gewalt berichteten.

Ein großes Problem ist, dass eine Anklägerin in den Vereinigten Staaten vor Gericht nachweisen können muss, dass sie mit dem Geschlechtsverkehr nicht einverstanden war. Schwierig ist das in den Fällen, in denen das Opfer zum Beispiel betrunken war. Aus diesem Grund scheitern viele Verfahren, nach dem Motto: Kein „Nein“ heißt „Ja“.

Doch mancherorts tut sich was. In Kalifornien wurde jetzt ein Gesetz verabschiedet, das allen öffentlichen Hochschulen im Bundesstaat eine zentrale Formel bei der Untersuchung von Fällen sexueller Gewalt vorschreibt: „yes means yes“. Das heißt, dass beidseitiges Einverständnis beim Sex Voraussetzung ist. Was nach einer Binsenweisheit klingt, soll die Beweislast vom Opfer auf den Täter übertragen. Dieser muss in einem möglichen Gerichtsverfahren zukünftig beweisen, dass es ein eindeutiges Einverständnis gab. US-Präsident Obama will kommenden Freitag übrigens eine öffentliche Kampagne vorstellen, die bei der Bekämpfung sexueller Übergriffe an Unis helfen soll. 



Text: okan-bellikli - Foto: Prokop/photocase.de

  • teilen
  • schließen