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Schlau, wer nicht alleine schläft?

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"There's evidence that shows that if you're spending less of your nights hitting the books and more time smoking weed and getting laid until 3am, then you're probably wiser than the rest of us."

Wo steht das?
Auf der Internetseite "Esquire", einem Online-Männermagazin. Der Artikel bezieht sich auf drei verschiedene Studien. Der Artikel und die zitierten Studien wurden in den vergangenen Tagen auch von deutschsprachigen Medien besprochen, so unter anderem in der Wochenzeitung "Der Freitag", der "Huffington Post" und "N24".  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Worum geht es?
Um den Zusammenhang zwischen Intelligenz und Sex, Drogen und Schlaf. Wer sehr intelligent ist, hat mehr Sex, nimmt eher psychoaktive Drogen und geht eher später schlafen. Das sind zusammengefasst die Erkenntnisse des Artikels, die auf unterschiedliche Studien zurückgeführt werden. Aber es lohnt sich, diese Studien genauer zu prüfen. Denn sie sind vom Esquire-Autoren zwar reißerisch interpretiert und formuliert, wissenschaftlich aber nicht wirklich valide. Wir haben uns die drei Thesen des Artikels mal genauer angeschaut.  

These 1: "Schlaue Menschen haben mehr Sex"  

Befund: Die Studie, die der Artikel in diesem Zusammenhang zitiert, wurde vom Sexspielzeug-Online-Versandhandel "Lovehoney" in Auftrag gegeben und finanziert. Sie orientiert sich an den Verkaufszahlen des Unternehmens und will einen erhöhten Sexualtrieb bei Menschen mit besonders hohem IQ festgestellt haben. Laut einer Lovehoney-Sprecherin kauften Menschen mit höherem IQ mehr Sexspielzeug, weil sie offener seien und sich so eher auf neue Sexpraktiken einließen. Die Studie belegt das so nicht. Dort wurde nur verglichen, die Studenten welcher Universitäten in England das meiste Sexspielzeug kauften. Das waren hauptsächlich Studenten der Elite-Universitäten Cambridge und Oxford. Die Studie ist sehr vage, zudem ist die Interpretation der Sprecherin einseitig. Was nämlich auch der Fall sein könnte: Die Studenten kaufen sich Sexspielzeuge, weil sie keine Sexualpartner haben. Weder wurde geprüft, ob nicht die Elite-Studenten einfach die reichsten Studenten sind und sich so auch mehr Sexspielzeug kaufen können als andere, noch wurde die Frage gestellt, ob sie die Spielzeuge überhaupt selber benutzen. Der Mitbegründer des Sexspielzeug-Onlineshops drückt sich deshalb auch weniger festgelegt aus: Die Elite-Studenten seien wohl interessierter an Sex, generell stiege aber die Offenheit in der großbritannischen Bevölkerung. Darüber, ob intelligentere Menschen mehr Sex haben, sagt die Studie also rein gar nichts aus.  

Die Sexualforschung hat herausgefunden, dass Menschen mit hohem IQ ihr erstes Mal später erleben als andere. Sie beschäftigen sich generell mehr mit ihren Interessensgebieten, beispielsweise ihrem Studium, und sie verbringen mehr Zeit mit Freunden als es Menschen mit niedrigerem IQ tun. In der Folge haben sie weniger Zeit für Geschlechtsverkehr, aber einen höheren finanziellen sowie sozialen Status, was ihnen beim Kinderaufziehen hilft.  

These 2: "Schlaue Menschen nehmen eher psychoaktive Drogen"  

Befund: Als Beleg für diese Aussage nennt der Artikel eine Studie des Sozialpsychologen Satoshi Kanazawa. Kanazawa lehrt an der Londoner School of Economics und hat im Jahr 2010 eine Studie veröffentlicht, in der er argumentiert, dass intelligentere Individuen sich eher neues Verhalten aneigneten. Das habe evolutionspsychologische Gründe: Damit sich eine Spezies weiterentwickeln könne, müssten neue, auch risikoreiche Verhaltensweisen etabliert werden – die zuerst von Individuen angewendet würden, die mutig seien und sich zutrauen würden, Risiken richtig abzuschätzen. Und genau das seien Zeichen hoher Intelligenz, argumentiert der Sozialpsychologe. Wichtig zu wissen, im Artikel allerdings verschwiegen: Kanazawas Erkenntnisse sind in wissenschaftlichen Kreisen umstritten. So wird ihm unter anderem Rassismus vorgeworfen.  

Es gibt jedoch noch weitere Studien, die den Zusammenhang von hohem IQ und Drogenkonsum untersucht haben. Auch die Gesundheitswissenschaftler James White und G. David Betty argumentieren in Kanazawas Sinne. In einer Langzeitstudie haben die beiden Wissenschaftler herausgefunden, dass britische Frauen, die als Fünfjährige bereits überdurchschnittlich intelligent waren, doppelt so oft Cannabis oder Kokain konsumierten, bevor sie 30 Jahre alt waren, als die durchschnittliche britische Frau. Bei Männern, die als Fünfjährige bereits überdurchschnittlich intelligent waren, war die Wahrscheinlichkeit von Amphetamin-, Ecstasy- und Mischkonsum vor dem 30. Lebensjahr um 50 Prozent höher. Die These, dass Menschen mit hohem IQ anfälliger für den Konsum psychoaktiver Drogen sind, scheint also wenigstens in Großbritannien zuzutreffen.  

These 3: "Schlaue Menschen gehen später ins Bett"  

Befund: Das klingt nach der typischen Lerchen-versus-Eulen-Debatte. Der Artikel zitiert hier eine weitere Studie des erwähnten Sozialpsychologen Kanazawa, die er 2009 veröffentlicht hat. Darin bezieht sich der Forscher auf dieselbe evolutionspsychologische Hypothese, die er auch in seiner Drogen-Studie anwendet. Das späte Schlafen, wenn es also schon dunkel ist, sei ein evolutionär neues Verhalten, das sich schlaue Menschen aneigneten. Die Hypothese sieht Kanazawa wenigstens für US-amerikanische High-School-Schüler belegt, die für seine Studie als Beispiel dienten.  

Der Schlafforscher Jürgen Zulley jedoch betont, dass im Schlaf das Gedächtnis gestärkt würde. Deshalb ist es schwierig, allein das späte Schlummern als Zeichen hoher Intelligenz zu werten. Denn wer früh aufstehen muss, schläft so eventuell viel zu wenig und ist dann anfälliger für verschiedene Kranheiten, Übergewicht und verhindert, dass sein Gehirn am Tag gelernte Inhalte durcharbeitet. Viel wichtiger als wann man schläft, ist also, wie lange man schläft.

Was genau heißt das jetzt?
Die Thesen, die im Esquire-Artikel besprochen werden, sind nur zum Teil richtig. Der Artikel will Partywochenenden als ein Zeichen hoher Intelligenz darstellen - und andere Medien übernehmen die Thesen. Aber Menschen mit hohem IQ haben nicht notwendigerweise mehr Sex. Im Gegenteil bewahren sie sich eher länger ihre Jungfräulichkeit und beschäftigen sich mehr mit ihren Interessensgebieten. Auch wer spät ins Bett geht, ist nicht unbedingt schlauer als der Rest der Menschheit: Beim Schlaf kommt es nicht darauf an, wann man schlafen geht, sondern vielmehr, wie lange man schläft. An der Drogen-These jedoch ist etwas dran: Zumindest in Großbritannien nehmen Menschen, die als Kinder schon einen hohen IQ haben, auch eher psychoaktive Drogen, bevor sie 30 Jahre alt sind.


Text: nicola-staender - Foto: prokop/photocase.de

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