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Alle sind verdächtig - warum Ralf Bendrath gegen die Vorratsdatenspeicherung ist

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Anrufe wie dieser sollen zukünftig gespeichert werden. Man kann dann herausfinden, dass ich dich von München aus in Bremen angerufen habe, dass wir zwanzig Minuten telefoniert haben. Hätte ich dich mobil angerufen, würde auch gespeichert, wo du gerade bist. Ralf Bendrath: Genau. Dieses Gesetz zur so genannten Vorratsdatenspeicherung soll nach der Sommerpause umgesetzt werden. Und wenn es so kommen sollte, heißt das, dass nicht mehr aufgrund eines Verdachts einzelne Telefone angezapft und andere Daten gespeichert werden, sondern dass von 80 Millionen Bundesbürgern pauschal die Daten mitgeschnitten werden. Das ist ein Generalverdacht gegen die gesamte Bevölkerung. Und da diese Maßnahme in der gesamten Europäischen Union durchgesetzt werden soll, werden auf einen Schlag eine halbe Milliarde Menschen pauschal verdächtigt.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Überwachungskritiker Bendrath, Foto: privat Die Vorratsdatenspeicherung ist bereits eine beschlossene EU-Richtlinie, es geht jetzt nur noch darum, wie die einzelnen Staaten sie umsetzen. Aber dass sie umgesetzt wird, ist klar. Oder? Nein. Die gesamte Opposition im Bundestag ist dagegen, in der SPD rumort es ziemlich. Die Sache ist politisch noch nicht in trockenen Tüchern, da kann noch einiges passieren – auch in den Verhandlungen zwischen Bundesrat und Bundestag. Selbst wenn das Gesetz beschlossen werden sollte, gehen wir vor das Verfassungsgericht und da wird das Gesetz wahrscheinlich scheitern. Warum? Ein Grundsatzurteil des Verfassungsgerichts sagt: EU-Richtlinien sind verbindlich für Deutschland, so lange sie den deutschen grundgesetzmäßig verankerten Grundrechten entsprechen. Jetzt gibt es aber eine Reihe von Juristen, die sagen: Diese Richtlinie ist so offensichtlich verfassungswidrig, dass es keinen Zwang gibt, sie umzusetzen. In den vergangenen Wochen hat sich auch online eine breite Front gegen die Vorratsdatenspeicherung gebildet. Der AK Vorrat arbeitet schon seit über einem Jahr intensiv und recht erfolgreich. Neuer Schwung ging von der Bloggerkonferenz re:publica im April aus. Wir haben damals einen Workshop unter dem Titel „Kreativ gegen die Vorratsdatenspeicherung“ gemacht. Der Hintergedanke: „Wenn all die coolen, kreativen Web 2.0-Leute schon mal da sind, dann sollen sie sich mal ein paar lustige Sachen ausdenken, um das Thema in die Popkultur zu tragen.“ So entstand das Bild von Wolfgang Schäuble mit dem Slogan Stasi 2.0 ? Genau. Kurz danach gab es das Motiv als T-Shirt und inzwischen haben wir schon über 2000 Euro über den T-Shirtverkauf an Spenden eingenommen. Glaubst du, dass dieser Aktivismus auch aus dem Netz Wirkung zeigt? Auf jeden Fall. Auch wer sich technisch nicht gut auskennt, hat sicher schon mal telefoniert. Wenn man seiner Großmutter erklärt, dass in Zukunft die Verbindungsdaten all ihrer Telefongespräche aufgezeichnet werden, dann regt die sich natürlich auch auf. Es gibt seit kurzem auch die so genannten Freiheitsredner . Wie funktioniert das? Die Idee ist einfach: Wir haben ein paar hundert Leute auf der Mailingliste vom Arbeitskreis und die werden jetzt aktiv: Sie gehen als so genannte Freiheitsredner zum Beispiel an die Schule in ihrem Stadtteil und sprechen dort über Datenschutz und Überwachung. Gibt es technische Möglichkeiten, sich gegen die Speicherung zu wehren? Man kann sich eine Prepaid-Karte fürs Handy besorgen und die dann auf einem Flohmarkt oder auf ebay gegen eine andere Karte austauschen. Auf Flohmärkten kann man manchmal auch Prepaid-Karten kaufen, ohne dass der Name registiert wird. Man kann auch versuchen, Netztelefon-Dienste zu nutzen. Internetdaten sollen aber auch gespeichert werden. Ja, wer wem wann eine Mail geschrieben hat, zählt auch zu den Kommunikationsdaten, die gespeichert werden. Wenn man aber einen eigenen E-Mailserver aufsetzt, ist das kein Problem, weil nur die Dienstleister speichern müssen, die für die Öffentlichkeit Dienste anbieten. Das heißt aber, wenn ich wirklich was zu verbergen habe, kann ich die Vorratsdatenspeicherung durchaus umgehen? Das ist das Problem: Die bösen Kriminellen, Terroristen und Kinderschänder werden massenhaft Möglichkeiten finden, sich zu schützen. Sie werden weiterhin anonym unterwegs sein. Die Politiker, die das Gesetz voranbringen, sagen aber, es sei zur Terrorismusbekämpfung nötig. Es ist aber nicht effizient. Zudem ist es verfassungswidrig, teuer und ein Bruch mit grundlegenden Prinzipien des Rechtsstaates. Deshalb sind wir gegen die Vorratsdatenspeicherung. Sie stellt einen Paradigmenwechsel zur bisherigen Politik dar: Wenn das einmal durchkommt, kann man auch argumentieren: „Die meisten Kinderpornografie-Videos werden in Schlafzimmern gedreht, deshalb stellen wir mal auf Vorrat in jedes Schlafzimmer eine Webcam zur Überwachung.“ Dass das Unsinn ist, sieht jeder sofort. Mehr über Ralfs Arbeit unter vorratsdatenspeicherung.de, mehr zum Thema gibt es im jetzt.de-Themenschwerpunkt Überwachung Zum gleichen Thema heute der Leitartikel von Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung

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