Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben
Aus der ehemaligen jetzt-Community: Du liest einen Nutzertext aus unserem Archiv.

Umrisse

Text: schwarzschnee

Eigentlich war ich schon immer ein eigenartiges Kind. Mit vielen Eigenarten und einfach anders. Nicht so anders, dass mich alle fortwährend angestarrt hätten und kopfschüttelnd, mit mitleidigen Augen und verlegenen Lächeln gesagt hätten: Du bist ja eigenartig... Nein, das nicht. Es war mehr ein ganz normales Gefühl das man vergleichen kann mit einem Gegenstand den man aus den Augen verliert, der irgendwo verloren geht um bald darauf wieder an die Oberfläche der Wahrnehmung zu schwimmen und ein wohlig-warmes und bitteres Gefühl auslöst. Man seufzt und legt den Gegenstand mit dem Wissen auf die Seite ihn gewiss wieder zu finden wenn man ihn schon lange vermisst hatte. Nun ja. Ich fühle mich keineswegs wie etwas besonderes, etwas besseres, sondern eben anders.



Was ist eigentlich anders?



Ich schlendere gerade durch einen Tiefkültruhen-Canyon im Supermarkt um die Ecke in unserem Viertel und denke mir, wieso ich über derartigen Unsinn nachdenken kann und vermute mit einem gierigen Blick auf das Sortiment bunter Fertigkostverpackungen, dass mein Magen und mein Kopf direkt miteinander verbunden sind. Und da mein Magen gerade schlechte Laune hat, sind womöglich konfuse Gedanken ganz klar einzukalkulieren gewesen. Ich kaufe außerdem Getränke und entdecke kurz vor der Kasse noch wahnsinnig reduzierte ultra plüschige Pantoffel, die ich mir beim Verlassen des Geschäfts unter die Arme klemme. Dann renne ich los.



Gerade noch schaffe ich es in den schützenden Hauseingang bevor sich der Asphalt mit ganz regelmäßigen dekorativen dunkelgrauen Pünktchen schmückt und dem Himmel ein böses Knurren entfährt. Auf der Straße sehe ich noch furchtbar hastige Stadtmenschen vorbeilaufen manch einer duckend und sich schützend mit einer Zeitung über den Kopf, andere, Vorhersehendere mit dunklen Regenschirmen.
Auf dem Fensterbrett meiner Wohnung sitzend beobachte ich wie sich die dunkle Regenwolke langsam alles einzuverleiben scheint.
Der Himmel und dessen Dunkel sind in die Straße gefallen. Der Strom ist ausgefallen und somit ist nun die Nacht der alleinige Herrscher unsere Straße und vielen weiteren.
Ich starre auf mein Handy als würde mich das kleine Lichtquadrat hypnotisieren. Nichts. Nur die Regentropfen trommeln sanft gegen die Scheiben sonst ist es ganz still. Und nur die Uhrzeitanzeige auf dem Display macht mir bewusst wie die Zeit vergeht.



Ich schloss meine Augen und stellte mir vor wie ich Leij von der Seite betrachtete, wie ich mich nach vorne beugte ganz nah und ihm leise ins Ohr flüsterte: „Hast du mich vergessen? Wieso rufst du nicht an?“ Meine Lippen berührten dabei ganz saft sein Ohr, doch er blieb ganz starr und ich glotzte ihn einfach weiter an, so als würde ich ihn hypnotisieren. Kurz nachdem die Lichtstrahlen endgültig über die dunklen Dunstgespenstern der Nacht gesiegt hatten schlief ich endlich ein. Ich hatte mich mit allen Decken die ich in der Wohnung finden konnte im Schlafzimmer verbarrikadiert. Trotz der ganzen flauschigen Decken die ich wie Zwiebelschalen um mich gehüllt hatte war mir eiskalt und ganz elendig zumute.



Irgendwann ertappte ich mich dabei mit dem Gedanken zu spielen mich einfach unters Bett zu legen um dort zu schlafen. Dass hatte ich immer als Kind getan, wenn ich Angst hatte oder mein Vater mit mir geschimpft hatte. Dann tauchte ich jedes Mal in eine andere, meine Welt ein. Alle Geräusche klangen nur ganz dumpf darunter, niemand konnte hier in mein Versteck bildete mich ein und nur hier fühlte ich mich in einer Art Zwischenraum der mich vor allem beschützte. Meine Tante, die Schwester meines Vaters, die ich eigentlich sehr gern hatte, hatte sich einem darüber lustig gemacht, denn normale Kinder hätten Angst vor dem Monstern unterm Bett, ich dagegen sagte sie grinsend, spiele hingegen lieber gleich selbst das Monster unterm Bett. Sehr schlau!



Wie lange ich auf die immer deutlicheren Umrisse des wankenden Krans über dem Häusermeer in meinem Fenster blickte weiß ich nicht mehr. Kurz nach neun schälte ich mich aus meinem kleinen Nest und stellte mit einem Blick in den Spiegel fest das ich noch nie so fertig aussah wie heute. Beim Frühstück wählte ich die Nummer auf meinem Handy, die ich gestern so gerne hätte aufleuchten sehen. Sein Handy war aus. Vor meinem geistigen Auge sah ich es an allen möglichen Orten liegen, irgendwo unter einem zerwühlten Bettdecke, auf dem Tisch neben der kläglich gefüllten Obstschale, auf der Kommode, in jedem Fall unbeachtet.

Mehr lesen — Aktuelles aus der jetzt-Redaktion: