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Wie ich zur Feministin wurde

Text: Frau_Erdmaennchen

Ja, ihr habt es richtig gelesen. Ich bin Feministin. Hat sich eure Meinung nicht gerade ein kleines bisschen über mich geändert? Gab es da nicht einen klitzekleinen ‚Oh’-Moment? Vielleicht schaut ihr jetzt auch noch mal auf mein Foto, so um zu gucken wie eine Feministin denn aussieht. Eigentlich so gar nicht feministisch, auf einer Kostümparty beim Schminken im Spiegel. Wobei natürlich keiner von uns weiß, wie denn eine ‚Feministin’ aussieht. Und während wir noch denken ‚Ach, die sieht gar nicht aus wie eine Feministin’ (der Gedanke ist so kurz, dass der ganze Satz gar nicht im Gehirn erscheint, es ist mehr so ein Fetzen, der kurz aufblitzt), fühlen wir uns auch gleich ein bisschen albern, schließlich ‚wissen’ wir ja, dass Feministinnen nicht alle Kurzhaarschnitt haben und ohne BH leben.



Nun fragt ihr euch wahrscheinlich auch, warum ich so bedeutungsvoll schreibe: „Ich bin Feministin.“ Normalerweise sagen wir schließlich Sätze wie: „Ich bin keine Feministin, aber …“ Es fühlt sich ein bisschen an, als wenn ich in einer Selbsthilfegruppe sitze und schamvoll zum ersten Mal „Ich bin süchtig“ sage. Traurig, dass mir dieser Vergleich einfällt, und doch ist er ein bisschen symptomatisch für unsere Gesellschaft. Schließlich sind wir alle ‚post-gender’, Feministinnen sind doch bloß noch ‚Kampflesben’ und Alice Schwarzer lebt ja inzwischen ganz an jeglicher Realität vorbei.



Soweit war ich vor zwei Jahren auch noch. Da war ich 22 und hatte gerade meinen Bachelor in der Tasche. BHs wollte ich auf keinen Fall verbrennen, Feminismus war mir suspekt und überhaupt, ich brauchte ihn ja schließlich nicht, ich war doch nicht strukturell benachteiligt. Meine Eltern hatten mir von klein auf eingeflößt, wie sehr sie in mich vertrauen und in meine Fähigkeiten, und ich wusste, dass diese Fähigkeiten alles sind, was ich für mein berufliches und soziales Leben brauchte.



Ich glaube im Nachhinein, dass der Grundstein für meinen Sinneswandel gelegt wurde, als ich mein Auslandssemester plante, ein Jahr vor Abschluss meines Studiums. Ich wollte nach Norwegen, wusste aber nichts über das Land, und fing an im Internet zu lesen. Norwegen, so las ich, sei das Paradies. Absolute Gleichberechtigung, exzellente Kinderbetreuung, ein konservativer (!) Minister hatte vor einigen Jahren die Frauenquote in Aufsichtsräten eingeführt. Dass alle Aufgaben gleich zwischen Mann und Frau geteilt werden würden, verstehe sich da von selbst, denn Firmen würden flexible Arbeitszeiten überhaupt nichts ausmachen und schließlich holt der Premier Jens Stoltenberg seine Kinder auch jeden Tag vom Kindergarten ab. Ach das ist ja nett, dachte ich, wandte mich dann den Praktikalitäten der Studiumplanung zu, genoss mein Auslandssemester, und brachte diese Informationen ab und an stolz als ‚politisches Wissen’ ein wann immer jemand mir sagte er wisse ‚nichts über Norwegen’ und man darüber ins Gespräch kam. Erst viel später dachte ich darüber nach, dass es traurig ist, dass dieser Zustand ein Herausstellungsmerkmal für ein Land ist.



Kann ich andere ‚Markierungspunkte’ nennen, auf die ich hindeuten kann um zu sagen: „Da, genau dann wurde ich Feministin“? Nicht wirklich. Ich erinnere mich daran, dass ich darüber nachdachte, ob ich mich beim Auswärtigen Amt bewerben will. Eine Bekannte erzählte mir, wie sie und ihr Mann seit 30 Jahren jedes zweite oder dritte Jahr das Land wechseln und nie Kinder wollten, und wie sie immer seine Sekretärin war und die zwei so von Posten zu Posten gingen, und wie sehr sie genoss in Usbekistan und Nordkorea und Russland zu sein. Achja, dachte ich, das klingt ja spannend, nur um dann zu überlegen, dass das nichts für mich wäre. Kinder alle zwei Jahre zu verpflanzen klang nicht so schön für mich, und überhaupt, welcher Mann hat schon die Art von Karriere, dass er auch alle zwei Jahre umzieht? Und es schoss mir durch den Kopf, dass das ja bei Männern sowieso viel unüblicher sei, sich nach der Karriere der Frauen zu orientieren. Aber ich würde ja meine Karriere auch nicht für einen Mann aufgeben wollen, das ist dann wohl komplizierter als früher für manche Berufe, aber Gleichberechtigung.*



Ich sprach mit einer Maschinenbaustudentin, und fragte sie, wie das denn sei mit so vielen Männern und wenig Frauen im Studium. Sie lachte und sagte es sei ganz entspannt eigentlich, aber wenn sie Präsentationen halte, dann habe sie sich doch angewöhnt Hosenanzug zu tragen und die Haare zusammenzubinden. Ich stutzte, und sie sagte, sie werde einfach ernster genommen wenn sie nicht so weiblich sei. Ich musste an sie denken, als ich mich mit einer Anwältin anfreundete, die beiläufig von der Männerwelt an ihrem Arbeitsplatz berichtete. Wie sie angeherrscht wurde von einem Anrufer aus einer anderen Firma, er wolle doch bitte mit ‚Herrn Tejal Patel’ sprechen und zwar plötzlich, und der stutzende Moment (gefolgt von: „Achso, also, ja ich dachte…“) als sie ruhig antwortete: „Sie sprechen mit ihr.“ Wie sie in einer Telefonkonferenz saß und die Kollegen in der Partnerfirma über den bevorstehenden Stripclubbesuch grölten, bis ihr Vorgesetzter trocken einbrachte, er freue sich, dass Frau Patel auch bei dem Gespräch dabei sei. Das waren die ersten Male, in denen ich bewusst darüber nachdachte, dass dieses Thema in meinem zukünftigen Beruf überhaupt aufkommen könnte.



Alles danach ist mehr oder weniger verschwommen. Es sind Beiträge wie dieser hier http://jezebel.com/5908472/my-weekend-in-americas-so+called-rape-capital, die mich erschaudern ließen. Oder die Tatsache, dass bei jeder Vergewaltigung automatisch der Gedanke hochkommt: „Mein Gott, so was wird doch ständig von rachsüchtigen/schlampigen Frauen erfunden.“ Nun weiß ich, dass das vorkommt, bin mir aber sicher, dass das a) in unserem Denken krass überrepräsentiert ist (ich habe nach Statistiken gesucht, konnte aber leider keine zuverlässigen finden), und b) denke ich wiederum an die echten Fälle, bei denen sich das Ganze als Tortur herausstellt, weil niemand dem Opfer glaubt. Vielleicht ist Vergewaltigung auch deshalb eines der schlimmsten Verbrechen, denn es kann den größtmöglichen Schaden für das Opfer anrichten, wenn man ihm nicht glaubt, und auch für einen falsch beschuldigten Täter, dessen Leben ruiniert wird. Beides ist der Horror. Aber trotzdem, fast jede siebte Frau in Deutschland ist einmal Opfer von sexualisierter Gewalt geworden, die Dunkelziffer ist deutlich höher. Nur 13 % dieser Anzeigen führen zu einer Verurteilung. Dabei liegen die glaubwürdigsten Schätzungen bei nur 3-10 % von falschen Anzeigen. Was passiert mit all den anderen Fällen?** Die Galle kam mir hoch, als ich den Chad Evans Fall in Großbritannien verfolgte – ein Premier League Fußballer vergewaltigt eine 19jährige, und wird rechtskräftig verurteilt, während man sein Opfer als geldgeile Goldgräberin beschimpft, die alles frei erfunden habe um ihre Story zu verkaufen. Der Fakt, dass sie anonym blieb und hochkarätige Angebote der yellow press für ein Interview ausgeschlagen hat, spielt dabei keine Rolle.



(Will ich von Frauenbildern in den Medien anfangen? Davon, dass die einzigen weiblichen Hollywoodstars über 60 Meryl Streep, Helen Mirren und Glenn Close sind, kurzum: richtige Granaten? Während ich mir bei Boardwalk Empire ständig Steve Buscemis nackten Arsch anschauen muss. Zugegeben, eine tolle Show und ein toller Schauspieler, aber würde eine weibliche Version von ihm auch nur in die Nähe einer Kamera kommen, geschweige denn NACKT?)



Und dann ist da natürlich die aktuelle Diskussion. Nur 2 % aller Chefredakteure sind weiblich? Wir reden hier nicht von Automobilentwicklung, Chemie, Atomphysik, der Baubranche oder vielen anderen Bereichen, in denen nun mal weniger Frauen ein Studium/eine Ausbildung beginnen. Wir reden von Journalismus, einer der ersten Bereiche, in die Frauen beruflich vorgestoßen sind, und wir schreiben das Jahr 2012 und sind bei 2 (ich muss es ausschreiben, so wenig kann ich es glauben, zwei!) Prozent. Von der Frauenrate in Aufsichtsräten von DAX Unternehmen will ich gar nicht mal reden, obwohl die absurderweise sogar höher ausfällt.



Jetzt habe ich sehr, sehr weit ausgeholt. Es dauerte so lange bis ich zu diesem Punkt kam an dem ich jetzt über mich sage ‚Ja, ich bin Feministin’. Ich ärgere mich inzwischen über die Neigung, allen Feminismus in einen Topf zu werfen (wir sind nicht alle Alice Schwarzer oder Catherine McKinnon) um das gesamte Konzept zu diskreditieren und damit dann zu beweisen wir ‚bräuchten’ Feminismus nicht. Ich versuche, die Dinge nicht einseitig zu sehen. Aber ich habe auch festgestellt, dass ich über viele Themenbereichen, wenn ich dann zunehmend eine Art feministische ‚Brille’ aufsetzte, ganz neu nachdachte. Die Frage nach Feminismus hat inzwischen nichts mehr mit Glaube oder Nichtglaube an Gleichberechtigung zu tun, in den meisten Fällen kreist sie darum, ob die Ungleichheit ‚echt’ oder ‚wahr’ ist, und was wir als Gründe für gesellschaftliche Phänomene sehen.



Ich glaube einfach, dass es länger dauert und mehr Aktivität erfordert als 20 bis 30 Jahre, um Jahrhunderte von Männerdominanz zu überwinden. Ich glaube nach der ersten Welle des Feminismus waren wir zufrieden mit dem, was wir erreicht hatten. Die offensichtlichen Ungleichheiten waren überwunden, der Prozess würde sich von da ab natürlich entwickeln, und eines Morgens würden wir aufwachen und die Welt wäre gleichberechtigt. Ich denke, wir haben uns da in einer falschen Sicherheit gewogen, besonders nach den ersten, schnellen Erfolgen. Die Situation der Frauen hatte sich schließlich zwischen 1960 und 1980 dramatisch verbessert. Doch wir waren leider nur erfolgreich darin, die niedrig hängenden Früchte zu pflücken; Solche Dinge zu verbessern, für die es offensichtlich Lösungen gab. Wir sahen die Ungleichheiten nur weniger, weil sie uns nicht mehr offen ins Gesicht schrieen. Doch nun stehen wir hier, 30, gar 40 Jahre später und es gibt immer noch nur 2 % Frauen in deutschen Chefredaktionen. Die Situation hat sich leider nicht in einem ‚natürlichen Prozess’ weiterentwickelt, sie hat es damals nicht getan und ich bezweifle, dass sie es heute tun wird.



Thomas Jefferson hat einmal gesagt: „Der Preis für Freiheit ist ewige Wachsamkeit.“ Wir dürfen uns nicht ausruhen auf dem Erreichten. Noch sind wir nicht gleichgestellt, und so lange dies nicht erreicht ist, dürfen wir nicht nachlassen. Sogar dann, wenn wir es einmal erreichen sollten, dürfen wir nicht nachlassen. Glaube ich an Aggressivität? Nein. Glaube ich an einen ‚Umkehrprozess’ durch männlicher Benachteiligung als Ausgleich bis eine Balance gefunden ist? Natürlich nicht. Aber ich bin felsenfest überzeugt, dass wir noch immer Feminismus brauchen um unsere Gesellschaft zu verbessern.



Wenn mich heute jemand fragt, ob ich Feministin bin, frage ich zurück: „Glaubst du daran, dass Frauen die gleichen Rechte und Chancen wie Männer haben sollten?“ Ich freue mich darüber, dass ich bisher immer nur ‚ja’ zur Antwort bekam. Und stelle dann fest: „Dann bist du auch Feminist/in.“



 



- Disclaimer: Mir ist völlig bewusst, dass ich von Einzelfällen rede, oft vielleicht auch nur von Eindrücken. Bitte, liebe Maschinenbaustudenten, sicher nehmen die meisten von euch eine Frau immer für voll, egal was sie trägt. Vielleicht hat meine Bekannte auch überreagiert, aber es erlangte Bedeutung für mich, weil es das erste Mal war, dass ich über den Zusammenhang von ‚weiblichem Aussehen’ und Seriosität nachdachte. Bitte liebe Anwälte, sagt jetzt nicht, dass das bei euch in der Firma überhaupt nicht vorstellbar wäre, sicher ist das in den meisten Fällen so. Mir ist auch bewusst, dass mein Beitrag einseitig ist und mir ist bewusst, dass es viele furchtbare falsche Vergewaltigungsvorwürfe gibt. Mir ging es darum, welche Informationen, Eindrücke und Gespräche zu meiner Meinungsbildung geführt haben und was für mich Feminismus ist. Und für alle Feministinnen, die sich schon viel länger mit dem Konzept auseinandersetzen: ich bin neu. Dieser Text ist quasi eine Statusaufnahme meiner eigenen Entwicklung bis hierher. Ich weiß, dass noch ein großer Teil Auseinandersetzung bevorsteht. –



 



* Spoileralert: Inzwischen denke ich, dass da das Auswärtige Amt vielleicht seine Strukturen überdenken sollte. Schließlich ist es höchst schwierig, falls beide beim Auswärtigen Amt arbeiten, adäquate Positionen für Männlein und Weiblein immer gleichzeitig zu finden (außer bei Botschafter/Sekretärin, wo das ja hervorragend klappt). Vielleicht sind sie beide auf der gleichen Hierarchieebene – zwei Botschafter gehen ja auch schlecht. Die Botschafter/Hausfrau-Verteilung wird doch sicher viel seltener. Sollen denn dann alle bindungslos bleiben? Am Ende sieht es doch nun mal häufiger so aus, dass Frauen bereitwilliger ihre Karriere aufgeben für die des Mannes, wenn die Strukturen nur eine entweder/oder Wahl lassen.



** Die Zahlen habe ich der Frauennotrufshomepage entnommen. Deren Quellen sind Studien des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie der London Metropolitan University - http://www.frauennotruf-hamburg.de/sexualisierte-gewalt/zahlen-und-fakten






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