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Am Himmel hängt ein halber Mond

Text: irrgaertnerin
Ja. Schreibt er und sie hasst ihn in dem Moment. Trommelt auf die Tastatur, löscht Wörter und kann nicht anders, als zu fluchen.



Ja. Schreibt er und sie weiß, wie es sich anhört, wenn er es sagen würde. Wenn er neben ihr sitzen und an dem Weinglas nippen würde. Das alles tut nichts zur Sache, denkt sie. Lacht ein wenig. Das Lachen klingt einseitig, das hat er mal gesagt. Das ist aber schon lange her und sie hat es nie verstanden.

Am Bahnhof hätte sie gerne geweint, als er weg fuhr, aber konnte nicht. Konnte nicht auf das Fenster blicken oder auf den Boden. Sie hatte gar ein wenig Wut im Bauch und tippte sich mit dem Finger an die Stirn bevor sie davon lief, in das Gebäude hinein, in dem es eklig roch und der Obdachlose immer noch auf der Bank schlief.

Es war lange her und er war weggefahren. Sie erinnerte sich daran. Und an das nach Hause kommen und gar nichts tun und immer noch an die Wut im Bauch. An diese Scheißwut auf diesen Scheißkerl. Der sie angelächelt hatte aus dem Zug und in sein Brot gebissen hatte dann. Das sie ihm gestrichen und belegt hatte. Als alles schon vorbei war.

Ja. Schreibt er. Und sie weiß, dass er es so lange tun wird, bis sie etwas zurückschreibt. Sie weiß nur nicht, wie lange sie es aushält. Wie lange sie noch fluchen kann. Wie lange sie wieder warten wird. Wie es wäre und ob es wäre. Sie weiß es nicht und weiß es doch. Will es nicht wissen. Sieht aus dem Fenster. Verdammt. sagt sie. Verdammt. Sie trinkt nicht mehr aus dem Glas, sie nimmt die Flasche. Lacht dann wieder und es ist ihr egal ob es einseitig klingt.

Als sie ihm das letzte Mal schrieb, hatte sie geweint und ihn versucht anzurufen. Doch abgehoben hat er nie. Das wusste sie bereits vorher. Ist sie bei dir? hatte sie ihn gefragt und er schrieb, dass es keine sie gebe. Dass er alleine sei. Seit er weggefahren wäre. Dass er es nicht bereut. Noch immer nicht. Dass er sie dennoch vermissen würde. Ob ihr immer noch so kalt sei, am Morgen. Und sie bekam Kopfschmerzen vom auf den Bildschirm schauen und sich vorstellen, wie er das gleiche macht. Wie er den Telefonhörer nicht abnahm. Und an der Zigarette zog.

Ja. Schreibt er. Und sie rennt in die Küche. Schließt die Fenster, es hat angefangen zu regnen. Vielleicht sollte sie ihm einfach das schreiben und es dabei belassen. Nicht nachdenken. Schlafen gehen. Am Morgen frieren. Die Katze ist gestorben, das weiß er noch gar nicht.

Schon lange schrieb sie ihm keine Briefe mehr. Vielleicht nur, damit er nicht länger ein schlechtes Gewissen haben müsste, weil er nie antwortete. Immer nur über den Computer. Den sie immer noch laufen ließ. In der Nacht. Das hatte manche Männer verunsichert und sie hatte dann gar nichts gesagt. War ins Schlafzimmer verschwunden, bevor es Zeit war für Erklärungen und am Morgen früh aufgewacht. Am Bildschirm blinkte ein Brief. Immer mit der Frage, ob sie gut geschlafen hätte. Immer mit der Antwort: Nein. Die selbst wenn sie eine Lüge war, besser klang als manches andere.

Ja. schreibt er. Und sie setzt sich wieder vor den Computer. Fährt mit den Fingern über die Tastatur. Erinnert sich. Wie sie ihm schrieb, wie jeden Tag. Ob er es immer noch schön hätte, dort an der See. Und wie er antwortete, unverzüglich antwortete mit einem ja, wie jeden Tag. Und wie sie ihm schrieb, die gleiche Frage wie immer, die ihr nicht mehr unter den Fingern brannte, aber anderswo, deren Wortlaut: Kommst du zurück? lautete. Auf die er nie geantwortet hatte. Nie. Was sie weinen ließ und lachen und manchmal aus dem Haus rennen. Männer anrufen. Tanzen gehen. Den Morgen verschlafen. Und immer wieder zurück zu kehren. Zum Bildschirm. Den Worten. Die nie klangen, nicht nach ihm.

Und sie sieht auf den Bildschirm. Ja. steht da. Sie weiß nicht mehr wie oft. Sie stellt sich vor, wie er eine neue Katze kaufen wird. Im Sommer einen Strohhut tragen wird. Sie ansehen und ihr Haar küssen wird. Wie er aus dem Zug springen und in ihrer Wohnung landen wird. Wie sie ihn wieder lieben wird. Ein neues Kleid wird sie sich kaufen, wenn er wieder da sein wird, sie stellt sich vor, wie er es ihr ausziehen wird. So langsam, dass sie beinahe verrückt werden wird. Sie flucht nicht mehr dabei.

Als sie die Finger auf die Tastatur legt, ist es egal und der Abend noch jung. Sie tippt auf eine Taste nach der anderen. Wenn sie fertig ist wird sie das Fahrrad nehmen und im zickzack durch die Straßen fahren. Die Blumen aufs Vordach stellen. Einschlafen. Wo auch immer.

Und er wird auf den Bildschirm blicken und alles was er lesen wird ist:

Ich will das aber nicht.

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