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Ein Feindbild, das vereint

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Vermutlich hat Hans-Peter Uhl nur sehr genau hingeschaut. Vermutlich hat er sich das Schicksal von Ursula von der Leyen (Zensursula) und Wolfgang Schäuble (Stasi 2.0) im Netz zum Vorbild genommen, um sein eigenes Profil zu schärfen. Anders ist kaum zu erklären, warum der Bundestagsabgeordnete aus dem Münchner Westen in den vergangenen Wochen alles daran zu setzten scheint, zum Lieblingsfeind all derjenigen zu werden, die im Internet geboren wurden. Bisher bezeichnete man damit die so genannten Digital Natives, Menschen also, die das Netz als selbstverständlichen Lebensraum verstehen (sie kennen eine Welt ohne gar nicht). Seit diesem Sommer ist die Formulierung „im Internet geboren“ zu einem so genannten Meme geworden, dessen geistiger Vater der bayerische CSU-Politiker ist. Nach den Anschlägen von Oslo hatte sich Uhl mit der Behauptung, diese Tat sei im Internet geboren, in die Liga derjenigen gespielt, die bisher die meiste Ablehnung aus dem Netz erfahren haben. Doch das reicht dem CSU-Innenpolitiker nicht.

Spätestens seit seinem Auftritt am Mittwoch im deutschen Bundestag ist Hans-Peter Uhl aus dem Schatten seiner Vorgänger herausgetreten. Seine Äußerungen zum so genannten Staatstrojaner haben ihn zur beliebtesten Hassfigur der Netzgemeinde in Deutschland gemacht.

Bisher waren Texte, die von einer vermeintlichen Netzgemeinde handelten, stets mit Vorsicht zu genießen. Denn diese angenommene Gruppe ist nicht nur sehr schwer greifbar, es gab auch kluge Stimmen, die Zweifel an ihrer bloßen Existenz äuerten. Das hat Hans-Peter Uhl spätestens am Mittwoch geändert. Mehr noch als es den Piraten durch ihren Wahlsieg in Berlin gelungen ist, Netzpolitik auf die Agenda zu bringen, eint Hans-Peter Uhl  nun die Netzgemeinde und schwört sie als Gemeinschaft zusammen – als  Feindbild, Gegenentwurf und Politiker-Typ, der in scheinbar allen Lebensbereich für das genaue Gegenteil dessen steht, was die "Piraten und Chaoten" für bedeutsam halten.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Diese Entwicklung ist von langer Hand geplant. Uhl, der elf Jahre als Kreisverwaltungsreferent in der bayerischen Landeshauptstadt tätig war – "gegen rotgrüne Spinner, Gutmenschen, Traumtänzer und Besserwisser" wie er mal bilanzierte – versteht sich als Mann klarer Worte. Nicht nur in Sachen Netzpolitik. Der Jurist brachte den undefined Fall Mehmet auf die Agenda und forderte, gewalttätige Jugendliche in geschlossenen Heimen unterzubringen.

Auf diese Art erledigen Politiker das, was gemeinhin als "Profilschärfung" bezeichnet wird. Die gleiche Methode kommt nun offenbar auch in Fragen der Netzpolitik zur Anwendung. Dabei bedient er einerseits die Ängste und Ressentiments des Teils der Bevölkerung, der sich der Digitalisierung am liebsten verschließen möchte. Andererseits scheut er aber auch vor der Ablehnung derjenigen nicht zurück, die er auf der Gegenseite vermutet. Im Gegenteil er wünscht sie sich förmlich herbei. Im Jahr 2008 stellte er zum Beispiel klar, dass er von einem freien Internet wenig hält. "Was die Chinesen können, sollten wir auch können", zitiert ihn die Frankfurter Rundschau im September 2008. "Da bin ich gern obrigkeitsstaatlich.

 

Es geht es nicht um eine differenzierte Diskussion über den Sinn von Netzpolitik. Es geht es um eine klare Abgrenzung: Hier Uhl, dort die „Piraten und Chaoten vom Computerclub“. Vor denen hat Hans-Peter Uhl am Mittwoch im deutschen Parlament gewarnt. In einer Debatte, in der es darum ging, dass deutsche Behören Software entwickeln ließen, die Heribert Prantl in der SZ als Staatskriminalität bezeichnete. Uhl ging darauf in seiner Rede, die sich rasant im Netz verbreitete, gar nicht wirklich ein. Er drehte die Realität einfach um und machte die Überbringer der schlechten Nachricht zum Übeltäter. Weil der Chaos Computer Club die unrechtmäßige Verwendung von Software ans Tageslicht gebracht hatte,  sah Uhl sich genötigt, vor ihm zu warnen. Die Sicherheitsbehörden jedenfalls – so muss man ihn verstehen – trifft definitiv keine Schuld.

 

Man muss kein Fachwissen im Detail mitbringen, um dazu eine Position zu entwickeln. So funktioniert politische Profilschärfung. Uhl erhofft sich davon vermutlich Aufmerksamkeit für seine Person. Der Angriff auf seine Website, der am Donnerstag bekannt wurde, passt da genau ins Bild. Ein sehr viel größerer Nutznießer dieser Rede ist aber die netzpolitische Bewegung in Deutschland. Sie ist nun in mindestens einem Punkt – im Widerstand gegen die Welt des Hans-Peter Uhl.

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