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1350 Euro für die angehende Pfarrerin

Illustration: Federico Delfrati

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Sophia, 30, hat Theologie studiert, um evangelische Pfarrerin zu werden. Das erste kirchliche Examen hat sie bereits hinter sich, seitdem trägt sie den Titel „Vikarin“ und absolviert derzeit die praktische Ausbildung zur Pfarrerin in einer Kirchengemeinde in München.

Die Herausforderung

Gewöhnungsbedürftig an dem Job ist, dass man für viele Menschen eine richtige Glaubensautorität wird. Klar, es bekommt ja sofort so eine gewissen Nimbus, wenn man beim Gottesdienst am Altar steht und gewissermaßen im Angesicht Gottes oder am Grab an der Grenze von Leben und Tod agiert. Das verleiht einem schon schnell den Anschein eines Heiligen. Aber das birgt auch ein ziemlich großes Absturzpotential, gerade wenn man mal in eine sehr heftige Seelsorgesituation gerät, zum Beispiel bei einem Fall von Selbsttötung in der Gemeinde. Man kann den Schmerz ja nicht lindern, man kann es ja nicht ungeschehen machen. Man hat nur seine Ausbildung zur Hand, die sagt, dass einfaches Dasein wichtig ist, geduldiges Zuhören, das Anbieten von Unterstützung. Man lernt auch, die Menschen ihre eigene Lösung finden zu lassen, ihren eigenen Umgang mit der Situation.

Der Weg? 

Einige Theologiestudenten haben schon Pfarrer als Eltern, bei mir ist das nicht so. Meine Mutter ist Lehrerin und außerdem katholisch, mit der bin ich hin und wieder mal in die Kirche gegangen. Mein Vater ist Dozent für Altgriechisch an der Uni und Journalist. Mit ihm habe ich als Kind oft ein Abendgebet gesprochen, aber das war es dann auch schon. Ich bin eher zufällig nach der Konfirmation in eine evangelische Jugendgruppe gekommen, da hat es mir total gut gefallen. Man beschäftigt sich in solchen Jugendgruppen ja nicht damit, irgendwelche Bibeltexte auszulegen. Man möchte Spaß haben und gemeinsam etwas auf die Beine bringen. Ich habe mich schnell zur Gruppenleiterin ausbilden lassen und wurde schließlich Vorsitzende im Jugendausschuss.

Der Pfarrer unserer Gemeinde war ziemlich beeindruckt von meinem Engagement und hat mit allen Mitteln versucht, mich von dem Beruf zu begeistern. Ich fand den Beruf des Pfarrers zwar immer superinteressant, habe aber ernsthaft daran gezweifelt, ob ich gläubig genug bin, ihn mein Leben lang auszuüben. Unser Pfarrer hat mir aber immer wieder gesagt, dass es dieses „gläubig genug“ gar nicht gebe und die Frage danach auch nicht besonders sinnvoll ist. Er hat mich mehrere Male mit zur Thomasmesse genommen, das sind Gottesdienste für Zweifler. Ich hatte ‚gläubig sein‘ damals auf eine überprüfbare Übereinstimmung mit den theologischen Lehrsätzen oder auf die Kirchenbindung bezogen. Heute definiere ich das anders. Religiosität bedeutet für mich, mir bewusst zu sein, dass ich nicht selbst Herr meines Lebens bin und – bei aller Eigenverantwortung, die ich selbstverständlich übernehme – seinen Gang oft nicht selbst bestimme. Religiosität bedeutet für mich darauf zu vertrauen, dass ich fürsorglich geleitet bin.

Als ich mit der Schule fertig war, wollte ich direkt Theologie studieren. Ich bin dann aber doch zumindest für ein halbes Jahr noch mal zur Kirche gegangen und habe ein Orientierungshalbjahr im Pfarrberuf gemacht. Da ist man als Praktikantin bei allen Tätigkeiten eines Pfarrers dabei. So wollte ich sichergehen, ob ich das wirklich machen will. Es fühlte sich aber alles sehr natürlich und gut für mich an. Da war die Entscheidung gefallen.

Die Wirklichkeit

Nach dem Studium und dem ersten kirchlichen Examen fing letzten September die Vikariatszeit für mich an, das ist mit dem Referendariat im Lehrerberuf vergleichbar. Ich arbeite an der Seite meines Mentors, dem Pfarrer meiner Gemeinde. Nach und nach übernehme ich alle Aufgaben einer Pfarrerin. Ich halte Gottesdienste, Hochzeiten, Taufen, Beerdigungen, mache Hausbesuche, gehen auf runde Geburtstage älterer Menschen aus der Gemeinde und nehme an Sitzungen des Kirchenvorstands teil. Es gibt einen Bibelkreis, einen Seniorenkreis, einen Kindertag, besondere Veranstaltungen wie den Weltgebetstag und das Erntedankfest. Hinzu kommt das diakonische Handeln: Die Kirchengemeinde bietet Räume für Deutschkurse für Flüchtlinge, die Anonymen Alkoholiker treffen sich bei uns, und so weiter. Man schreibt einen Gemeindebrief, schreibt Predigten – es ist also insgesamt wirklich ein sehr vielfältiger und lebendiger Beruf.

Mich begeistert mein Job schon sehr. Man kommt mit Menschen aus jeder Altersgruppe in Kontakt, von dem Neugeborenen bei der Taufe bis hin zu den Alten am Sterbebett. Das ist das Schönste, das Berührendste an dem Beruf, dass man immer dann da ist, wenn das Leben wirklich wichtig wird. Ich setze mich ständig mit Ethik, Moral und auch mit Politik auseinander.

Im Moment bin ich außerdem in der Ausbildung zur Seelsorge. Dazu gehe ich entweder ins Krankenhaus oder mache Hausbesuche. Eine kranke, alte Frau hat mir kürzlich bei einem Besuch im Altersheim gesagt, dass sie unbedingt möchte, dass ich ihre Beerdigung mache. Das sind sehr erfüllende, sinnstiftende Momente. Und ich gebe auch Schulunterricht. In Bayern hat jeder Pfarrer die Pflicht, sechs Stunden Unterricht in der Woche zu geben. Das macht total viel Spaß.

Was meine früheren Zweifel an der Intensität meines Glaubens angeht muss ich sagen, dass sich zwar viele, aber noch nicht alle Fragen für mich geklärt haben. Ich nehme das aber so hin. Es kommt halt alles zu seiner Zeit. Und vielleicht klären sie sich auch nie.

Das Privatleben

Was leider nicht so leicht ist, ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Ich habe eine vierjährige Tochter und obwohl ich mir viele meiner Tätigkeiten in der Kirche sehr flexibel frei einteilen kann, ist das Arbeitspensum schon sehr hoch. Pfarrer haben mittlerweile eine sogenannte „oszillierende“ 48-Stunden-Woche. Weihnachten und Ostern ist es mehr, dafür im Januar und August weniger. Im Durchschnitt läuft es auf eine 6-Tage-Woche hinaus. Die jetzige Regelung ist eine Schutzregelung, bis vor kurzem galt die 54 Stundenwoche und es ist noch gar nicht so lange her, dass Pfarrer rund um die Uhr im Dienst waren. Wenn man in seinem Beruf mit dem Herzen dabei ist, ist ein hohes Arbeitspensum auch nicht so schlimm. Eine Herausforderung bleibt es trotzdem. Wenn ich zum Beispiel mal zwei Wochen am Stück mit dem Predigerseminar zu Ausbildungszwecken unterwegs bin, bin ich auf die volle Unterstützung von meinem Mann angewiesen. Alleinerziehend wäre das wohl nicht zu schaffen.

Das Geld

Das Gehalt ist so ein Punkt, den finde ich schon krass. Ich bekomme als Vikarin das A13 Anwärtergehalt, das sind 1350 brutto plus Ehegatten- und Kinderanteil und Mietzuschuss.  Für Unverheiratete ohne Kinder ist es entsprechend weniger. Ich habe mal versucht, herauszufinden, was man später bekommt, als ausgebildete Pfarrerin. Man steigt da mit 3945 Euro brutto plus Zulagen ein, das gilt aber nur, wenn man nicht im Pfarrhaus wohnt - bei der ersten Pfarrstelle ist das aber Pflicht. Und man hat natürlich Residenzpflicht, muss also im Gemeindegebiet wohnen. Im Vikariat und im darauffolgenden dreijährigen Probedienst wird man noch verschickt, danach kann man sich auf freie Stellen bewerben. Es gibt dann noch A14, die nächste Gehaltsstufe und natürlich gewisse Aufsteiger-Positionen. Man kann Dekan werden, also der Vorgesetzte mehrerer Gemeinden, oder in nächster Stufe Regional- oder Landesbischöfin werden. Das interessiert mich aber alles nicht. Ich möchte als Pfarrerin in einer Gemeinde arbeiten. Und damit habe ich auch sehr sichere Jobaussichten. Die Kirche braucht dringend Pfarrer.

Die Reaktion auf Partys

Der meistgehörte Satz ist wahrscheinlich: „Echt? Aber so siehst du ja gar nicht aus!“ Die meisten Menschen stellen sich eine Pfarrerin anscheinend wie eine graue Maus vor. Stets fromm, altmodisch gekleidet, so in der Art. Dass eine Pfarrerin auch mal auf eine Party geht und sich entsprechend kleidet, tanzt und trinkt, das bringen die Leute oft nicht zusammen. Oft nehmen sie meine Berufswahl auch zum Anlass, endlich mal so richtig darüber auszupacken, warum sie aus der Kirche ausgetreten sind, was sie alles nicht okay finden an der Kirche und so weiter.

Und was verdienen die anderen so?

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